Retrospektive

Als Folter mainstream wurde: Ein Rückblick auf die "Saw"-Reihe

Papp-Puppe Billy ist aus dem Stand eine Horror-Ikone geworden.
Papp-Puppe Billy ist aus dem Stand eine Horror-Ikone geworden. Bild: © Steve Wilkie/StudioCanal 2017

Wegen der Coronakrise ist der Kinostart des nächsten "Saw"-Films auf unbestimmte Zeit verschoben. Nutzen wir die Zeit und blicken zurück auf eines der blutigsten, umstrittensten und profitabelsten Franchises des Horror-Genres: Was macht die "Saw"-Filme so speziell, was war die beste Falle und wie bekloppt ist die Story wirklich?

Nachdem meine Retrospektive zu den "Final Destination"-Filmen bei Euch so gut ankam (hey, wer hat da gelacht?), machen wir dasselbe doch mit "Saw", oder was meint Ihr? Ich habe neulich alle sieben Teile der Hauptreihe ge-rewatcht, mir ein paar Notizen gemacht und gehe hier alle Filme chronologisch durch. Es wird blutig, also halte am besten schon mal den Lappen bereit!

Am Anfang war ein Kurzfilm

2003 pitchten die jungen Filmemacher James Wan und Leigh Whannell einen Horrorfilm bei diversen Filmstudios. Und das mit einem ungewöhnlichen Mittel: einem selbst gedrehten Kurzfilm. In dem muss ein Mann dem sadistischen Spielchen eines irren Psychopathen entrinnen, der ihm eine umgekehrte Bärenfalle um den Kopf geschnallt hat, die nach 60 Sekunden aufschnappt.

Kommt Dir bekannt vor, oder? Logisch: Aus dem Shorty wurde ein gewisser Kinofilm namens "Saw" und eine Erfolgsstory sondergleichen nahm ihren Anfang. Die bislang erschienenen acht "Saw"-Filme spielten bis heute rund 980 Millionen Dollar ein. Zum Vergleich: Das Budget des ersten Teils betrug eine läppische Million.

Saw 1 fullscreen
"Ähm ... was hast Du gesagt, WIE VIEL habe ich als Drehbuchautor und Darsteller mit 'Saw' verdient ...?" Bild: © StudioCanal 2017

Kritiker haben die "Saw"-Reihe mit jeder Fortsetzung verrissen und schnell mit dem abwertenden Label "Torture Porn" versehen – meistens zu Recht, ganz selten zu Unrecht. Das Publikum war zwar nicht von jedem neuen Film begeistert und die Einspielergebnisse variieren recht stark (was mit einem gewissen anderen Horror-Megahit zusammenhängt, aber von dem wird später die Rede sein), trotzdem ist die "Saw"-Serie ein perfektes Beispiel dafür, wie eine gute Idee und eine noch bessere Vermarktungsstrategie die Kassen klingen lassen.

Okay, das weißt Du eigentlich alles schon, richtig? Dann lass uns die sieben Hauptfilme der Reihe nach durchgehen. Teil 8, "Jigsaw" von 2017, ignorieren wir, weil er für mich nicht mehr zur Kern-Story gehört. Okay. Bereit? Let's play a game.

"Saw"

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X marks the spot! Schon das allererste "Saw"-Spielchen war haarsträubend unfair. Bild: © StudioCanal 2017

Im Jahr 2004 begann alles. Und das vergleichsweise klein: Zwei Männer (Cary Elwes und Co-Autor Leigh Whannell) finden sich in einem versifften Badezimmer gefangen und müssen die perfiden Psychotricks ihres Entführers überstehen – was nur einem der beiden gelingen wird.

Teil 1 wird heute zwar als Meisterwerk gefeiert, ich fand den aber damals schon nicht so geil wie alle anderen. Und das hat sich mit dem erneuten Gucken nicht geändert: Die Logiklöcher sind so groß wie die Blutlachen der Opfer, schon die allererste Szene des Films ist kompletter Quatsch. Und über den finalen Schockertwist darf man auch keine zwei Sekunden nachdenken. Trotzdem krempelte der erste "Saw" mit einer wirklich originellen Idee und für damalige Verhältnisse geradezu schockierend expliziten Folter- und Schreiszenen inklusive hektischen Stakkato-Schnitten das gesamte Horror-Genre quasi über Nacht um. Und das war erst der Anfang.

Beste Falle: Im ersten "Saw" gibt es tatsächlich nur drei "richtige" Fallen. Und davon ist die Reverse Bear Trap natürlich die ikonischste. Shawnee Smith trägt sie erstmals, bevor sie zu einer Art inoffiziellem Markenzeichen wird. Und das, obwohl es noch bis "Saw 7" (!) dauern sollte, bis ihr tatsächlich mal jemand zum Opfer fällt.

Den ersten Teil gibt's im Director's Cut bei SATURN.

"Saw 2"

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Und Millionen von Leuten haben bei der Szene traumatische Flashbacks von ihren Besuchen beim Kinderarzt. Bild: © StudioCanal 2017

Das Sequel von 2005 variiert die Prämisse des ersten Teils: Diesmal sitzt Killer John Kramer alias Jigsaw in Polizeigewalt und liefert sich Wortgefechte mit dem hitzköpfigen Cop Matthews (Donnie Wahlberg). Derweil kämpfen ein paar ahnungslose Opfer um ihr Überleben in einem sadistischen Fallen-Parcour – aber es ist alles nicht ganz so, wie es scheint.

Achtung, Minderheiten-Meinung: "Saw 2" ist der beste "Saw". Mag daran liegen, dass Regisseur Darren Lynn Bousman das Skript eigentlich als eigenständigen Film namens "The Desperate" schreib, der mit "Saw" gar nichts zu tun hatte. Ein paar Änderungen hier und da – und schon wurde daraus "Saw 2". Trotz des größeren Casts wirkt die Folterparty präziser konstruiert, die Fallen sind fies einfallsreich und Shawnee Smith als Amanda zeigt ein weiteres Mal, was für eine sträflich unterschätzte Horror-Darstellerin sie ist. Mein Lieblingsteil der gesamten Reihe.

Beste Falle: Die Grube voller Spritzen, in die Shawnee Smith geworfen wird. Klar, andere Folterinstrumente sind cleverer, etwa der Glaskasten, aus dem man die Hände nicht mehr rausziehen kann. Aber Tausende von Spritzen, ganz normalen Spritzen – das ist ein so starkes Bild, das an kindliche Urängste rührt, dass da wohl auch den abgebrühtesten Gore-Fan ein Schauer überkommt.

Nicht mal 'n Zehner für den besten "Saw"? Hier bei SATURN!

"Saw 3"

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So ein Pistolenkragen um den Hals hilft natürlich ungemein bei der Konzentration. Bild: © StudioCanal 2017

Ein Jahr nach dem zweiten Teil brachte Regisseur Bousman schon die Fortsetzung ins Kino. Diesmal muss der traumatisierte Jeff Denlon (Angus Macfadyen) die sadistischen Tests über sich ergehen lassen. Doch weil Jigsaw immer ein paar ultrakomplexe Spiele gleichzeitig am Laufen hat, geht's auch um eine entführte Chirurgin, Jigsaws Ex-Frau und das ehemalige Opfer und jetzige Komplizin Amanda Young.

Für mich bilden die ersten drei Filme eine halbwegs geschlossene Einheit. Als Ende dieser "Mini-Trilogie" ist Teil 3 einigermaßen gelungen, trotz eines zu blassen Hauptdarstellers. Aber die Dynamik zwischen Jigsaw und Amanda macht die Schwächen im Skript halbwegs wett, und das Ende knallt dann auch ganz gut: Innerhalb von wenigen Sekunden sterben alle wichtigen Personen – inklusive Jigsaw und Amanda.

Beste Falle: Mal keine Messer, Kreissägen oder Spritzen – sondern aufgeblähte Schweinekadaver, die zerteilt werden und ihren halbflüssigen Innereien-Matsch über einem hilflosen Opfer ergießen, bis es in der verfaulenden Soße ertrinkt. Und wer jetzt immer noch nicht sehen will, was an den "Saw"-Filmen so viel Spaß macht, mit dem kann ich niemals wirklich befreundet sein.

Teil 3 auf Blu-ray in der schicken White Edition bei SATURN.

"Saw 4"

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"Haste mal ein bisschen Eis für meinen Kopf ...?" Bild: ©StudioCanal 2017

2007 ging die Story nahtlos in "Saw 4" weiter – und das, obwohl Jigsaw schon in der ersten, magenumdrehend überzeugenden Autopsieszene als Leichnam zu sehen ist. Und spätestens jetzt zerfasert die Story. Der zum Hauptdarsteller beförderte Polizist Riggs aus den ersten Teilen ist uninteressant, die Fallen beliebig und Jigsaw wird mittels verschwenderisch eingesetzter Flashbacks völlig entmystifiziert.

Ach ja, und "Saw" dürfte damit das erste, einzige und bislang letzte Horror-Franchise sein, in dem man den Penis des Killers sieht. Kleiner Fun Fact für die nächste Cocktailparty!

Beste Falle: Den Messerstuhl sieht man zwar nur in einer Rückblende, aber er hinterlässt den stärksten Eindruck. Vielleicht, oder gerade weil die Idee so simpel ist: Junkie Cecil muss sein Gesicht gegen acht massive Klingen drücken, um freizukommen.

Bei SATURN kriegst Du natürlich auch Teil 4.

"Saw 5"

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Der Einstiegs-Kill bedient sich Edgar Allen Poes "Die Grube und das Pendel". Bild: ©Steve Wilkie/StudioCanal 2017

2008 übernahm Regie-Neuling David Hackl das Szepter – und scheiterte. Ob an seiner Unerfahrenheit oder am schlechten Skript, ist schwer zu sagen. Mit dem eiskalten Agenten Hoffman (Costas Mandylor) wird ein neuer Gegenspieler etabliert, der Jigsaws Erbe antritt, dabei aber noch krudere "Moral"-Regeln hat als sein Mentor. Er schickt fünf Opfer durch einen Fallen-Parcour, die zu spät erkennen, dass der Schlüssel zum Überleben im Zusammenarbeiten gelegen hätte.

Aus komplex wird hier endgültig verworren, und was ein Aufriss gemacht wird, nur um Hoffman als Bösen zu etablieren (wussten wir schon) und Agent Strahm zu killen (wen?). Ach ja, und Julie Benz aus "Dexter" ist für einen Horrorfilm völlig ungeeignet – achte mal drauf, wie auffällig selten sie in Nahaufnahme zu sehen ist, wenn sie schreien und wimmern muss.

Beste Falle: Der Glas-Sarg im hydraulischen Quetsch-Raum am Ende. Nicht, weil er sonderlich originell oder fies wäre. Sondern weil diese Falle ein für alle Mal beweist, dass es in dieser Serie nicht um Logik geht, sondern einzig und allein um den krassen Damit-hast-Du-nicht-gerechnet-Twist am Ende, und wenn er noch so bescheuert ist. Nur beinharte Optimisten haben nach diesem Finale noch gehofft, dass die "Saw"-Reihe irgendwie zu einem sinnvollen, stringenten Ende kommen würde.

Fünf ist Trümpf – die Blu-ray bei SATURN.

"Saw 6"

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Tanedra Howard gewann die Reality-Show "Scream Queens" und damit eine Rolle in "Saw 6". Bild: ©Steve Wilkie/StudioCanal 2017

Durchhalten, wir haben's bald geschafft! 2009 nahm der bisherige Cutter des "Saw"-Franchise, Kevin Geutert, auf dem Regiestuhl Platz und lieferte ein Sequel, das besser war als Teil 5 und sogar kapitalismuskritische Töne anschlug. Stellvertretend für alle schlechten Menschen auf der Welt lässt hier der skrupellose Direktor einer Versicherung Blut und Leben.

Das ist alles nett gemeint und hat mehr Biss als Teil 5, aber dass Jigsaws völlig pervertierte Rechtfertigung für die Morde kein einziges Mal hinterfragt wird, ist schon auffällig – eines der Opfer muss sterben, weil es Raucher ist! Und Betsy Russell als Jigsaws Ex-Frau Jill ist immer noch der absolute Schwachpunkt im Cast. Die Frau kann ums Verrecken nicht schauspielen. An den Kinokassen zog ein anderer Horror-Untergrundhit an "Saw 6" vorbei: ein kleines Filmchen namens "Paranormal Activity".

Beste Falle: Die Sequenz auf dem Todeskarussell ist wirklich klasse, ganz unironisch. Nicht nur, dass jedes der sechs (!) Opfer zumindest ein winziges bisschen Charakterzeichnung bekommen hat, inszenatorisch ist die Falle eine clevere Umkehr des bisherigen Standards: In allen Filmen drehte sich die Kamera rasend schnell um die Opfer, diesmal bleibt sie jedoch starr – und dafür dreht sich das Karussell.

Auch "Saw 6" kostet nicht mal 10 Euro – bei SATURN.

"Saw 7"

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Jup, das ist Chester Bennington von "Linkin Park", der hier an den Autositz geklebt ist. Buchstäblich. Bild: ©StudioCanal 2017

Kevin Greutert beschließt mit dem 2010er "Saw 3D: Vollendung", wie der Film bei uns heißt, die Original-Heptalogie (habe ich gerade gegoogelt, das Wort gibt's wirklich und bedeutet Siebenteiler. Wieder was gelernt!). Und das natürlich stilecht mit einem finalen Super-Duper-Twist: Dr. Lawrence Gordon (Cary Elwes) aus dem allerersten Teil war die ganze Zeit der Komplize von Jigsaw! Agent Hoffman bringt es griffig auf den Punkt: "What the fuck." Genau, Agent Hoffman.

Und: Endlich, endlich killt die Reverse Bear Trap mal jemanden – und zwar Jill, Jigsaws Ex-Frau! Das dürfte wohl die einzige Szene sein, die "Saw"-Fans und -Hasser gleichermaßen feiern. Insgesamt ist Teil 7 kein triumphales Finale, aber auch keine totale Katastrophe. So oder so: Gut, dass es vorbei ist. Zumindest, wenn wir nach wie vor "Jigsaw" von 2017 ignorieren.

Beste Falle: Hm. Der Schlüssel am Angelhaken im Magen von Publizistin Nina? Beim Rausziehen darf sie kein Geräusch machen, weil ihr sonst massive Stahlrohre den Hals durchbohren. Natürlich schreit sie wie am Spieß und stirbt, woraufhin Trickbetrüger Bobby ihren Leichnahm anbrüllt: "Why didn't you just shut the fuck up?" Ich lachte.

Teil 7 ist natürlich auch bei SATURN erhältlich.

Damit ist meine persönliche Reihenfolge der "Saw"-Filme, vom besten zum schlechtesten, also 2, 3, 1, 6, 7, 4, 5.

Wie geht's weiter mit "Saw"? Die Zukunft

Wie gesagt: 2017 kam "Jigsaw" raus, der ein neues Kapitel der "Saw"-Saga aufschlug. Er gilt aber eher als lauwarmer Nachklapp, der die Reihe nicht wiederbeleben konnte. Der nächste Versuch wird in eine dezent andere Richtung gehen: "Spiral: From the Book of Saw" wird er heißen und auf einer Story von Comedian Chris Rock basieren. Rock war auch der ausführende Produzent und hat schon angedeutet, dass "Spiral" humorvoller sein wird als die vorigen Filme. Was genau das heißt, werden wir noch sehen, aber ich kriege jetzt schon Panik wie ein Jigsaw-Opfer. Wenn die Welt eines nicht mehr braucht, sind es missglückte Horror-Comedies, die weder lustig noch gruselig sind.

Wegen der Coronakrise ist der Kinostart von "Spiral" aber sowieso erst mal verschoben, also können wir ohnehin nur abwarten. Und wer weiß, vielleicht wird Chris Rocks "Spiral" ja genau die belebende Blut-Dusche, die das Franchise braucht, um wieder ganz vorne mitzuspielen im Horror-Zirkus.

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Chris Rock weiß auch nicht so recht, wohin das alles führt in "Spiral". Bild: © Lionsgate 2020

Aber selbst wenn "Spiral" floppen und die Hochphase von "Saw" endgültig vorbei sein sollte: Spaß hat's ja schon gemacht, bei aller Meckerei. Auch Kritiker müssen den Machern widerwillig Respekt zollen – Respekt für die Kreativität im Ersinnen fieser und fiesester Set Pieces, Respekt für eine neue Art von Horrorfilmen, Respekt dafür, den verwirrten, angespannten Zeitgeist der Nach-9/11-Ära erkannt und in eine Reihe extrem lukrativer Kinohits verwandelt zu haben.

Zwar gab es auch in den Jahrzehnten zuvor immer wieder harte Gewaltschocker, der verächtliche Begriff "Torture Porn" hielt aber erst mit der "Saw"-Reihe Einzug ins Vokabular der meisten Filmfans. Wenn "Saw" kein eigenes Genre geschaffen hat, so sind die Filme heute doch nahezu gleichbedeutend mit einer ganzen Sub-Sparte des Horrorfilms und haben sie erst so richtig bekannt gemacht. Und das kann auch nicht jedes Franchise von sich behaupten.

Mal die verstümmelte Hand aufs blutende Herz: Die "Saw"-Filme sind vielleicht nicht wirklich geil, aber wenn es gar keine mehr gäbe, würde uns doch schon irgendwie was fehlen, oder ...?

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"Ich will ein Spiel spielen. Oder einen Film gucken." Bild: © StudioCanal 2017
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