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"Anno 1800": Darum arbeiten Entwickler oft noch mit Scheuklappen

"Anno 1800" wurde in Zusammenarbeit mit der Fan-Community entwickelt.
"Anno 1800" wurde in Zusammenarbeit mit der Fan-Community entwickelt. Bild: © Ubisoft 2019

Am 16. April erscheint endlich "Anno 1800" – nach einigen Verschiebungen. Die Fans der traditionsreichen Strategie-Reihe wurden bereits früh in die Entwicklung eingebunden. Wie uns Ubisoft erklärte, führte die Transparenz zwar zu mehr Arbeit, aber auch zu einer gesunden Erwartungshaltung und einem konstruktiven Austausch mit den Spielern. Schade, dass das nicht längst so üblich ist.

Im edlen Nobelhotel am Pariser Platz in Berlin lud Ubisoft BlueByte zum exklusiven Preview-Termin für "Anno 1800". Dort durfte die Presse sich am neuesten Teil der traditionsreichen Strategie-Reihe versuchen. Dabei gibt es eine nicht unerhebliche Zahl an Fans, die den neuen "Anno"-Teil bereits lange vor Release spielen konnten. Einige der Features des Games sind für diese Spieler nicht nur ein alter Hut, sie wurden sogar von ihnen mitentwickelt.

Das Ubisoft-Studio in Mainz hatte bereits zu Beginn der Arbeiten an "Anno 1800" die Anno Union ins Leben gerufen, eine Art Community-Plattform, deren gesammeltes Feedback direkt Eingang ins fertige Spiel finden sollte. Modelle wie Early-Access oder ausgedehnte Beta-Phasen, in denen Spieler-Feedback gesammelt wird, sind natürlich nicht neu. Eine geschlossene Plattform, auf der sich Entwickler und Fans austauschen und moderierte Community-Wettbewerbe stattfinden, aus denen sogar Inhalte für das fertige Spiel hervorgehen, ist allerdings längst nicht üblich.

Spiel mit Vertrauen: Ist Nachbessern teurer als längere Vorarbeit?

Stattdessen gibt es immer wieder große Spieletitel, die den Käufern vor dem Release das Blaue vom Himmel versprechen und Hype aufbauen. Darüber, wie das fertige Produkt aussehen wird, soll dagegen oft Stillschweigen bewahrt werden. Aufseiten der Spieler wachsen derweil die Erwartungen an das Game. Anhand kleiner Teile eines Spiels, die etwa in öffentlichen Beta-Tests zugänglich sind, basteln sich die Fans dann ihre Meinung über einen Titel zusammen. Noch schlimmer ist es, wenn eine Vorab-Version als "Demo" bezeichnet wird, was eine gewisse Reife suggeriert – wie bei EAs "Anthem", das Monate nach dem Release noch immer unfertig ist.

Ubisoft aber scheint aus eigenen Erfahrungen lernen zu wollen: Das erste "The Division" oder "Rainbox Six: Siege" hatten zu ihrer Veröffentlichung mit Kritik zu kämpfen. Vor allem Umfang und Spieltiefe ließen anfangs zu Wünschen übrig. Mittlerweile, viele Updates und nachträgliche Verbesserungen später, sind beide Franchises unglaublich erfolgreich. Den dazu nötigen Aufwand hätte man bei frühzeitiger Einbindung der Fans sicherlich verringern können, wäre der Mut zur Transparenz da gewesen.

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Im Endgame von "Anno 1800" können verschiedene Monumente gebaut und erweitert werden. Bild: © Ubisoft 2019

Spiele entwickeln ist kompliziert – viel komplizierter, als Du denkst!

Aber wieso tun sich Entwickler und Publisher da eigentlich so schwer? In Berlin habe ich mit International Brand Manager Marcel Hatam aus dem "Anno 1800"-Team darüber gesprochen, was Transparenz für die Produktion des Strategie-Spiels bedeutet hat. Ich hatte vorher bereits ein Interview mit Hatam gelesen, in dem er bedauerte, dass viele Spieler eine unrealistische Auffassung vom Aufwand haben, der hinter der Entwicklung eines Spiels steckt. Fehlende Transparenz führe dann oft zu falschen Erwartungen an ein Game und dessen Entwicklungsprozess.

Darauf angesprochen verdeutlichte er das Problem: Die Spieler gingen oft davon aus, dass das, was sie in einer Beta sehen, so auch im fertigen Game auftauchen wird. Dabei arbeite quasi jede Abteilung eines Studios an einem separaten Build des Spiels, da andere Aspekte der Entwicklung für sie vorerst nicht wichtig seien. Erst später wird dann alles zusammengefügt – für einen Beta-Test zunächst mal nur die Teile, die benötigt werden, um den Betrieb sicherzustellen.

Oft kommen bei der Vorbereitung eines Beta-Builds organisatorische Faktoren ins Spiel – es dauert zum Beispiel, bis Spieleplattformen wie das PSN oder Xbox Live einen Beta-Build zulassen. Während sich die Beta-Version also noch in der Prüfung befindet, arbeiten die Entwickler schon an ihren verschiedenen Builds des Spiels weiter.

Schließlich geht es in einer Beta oft in erster Linie darum, ganz bestimmte Strukturen oder Mechaniken auf die Probe zu stellen und Daten auszuwerten. Nicht darum, den Spielern zu zeigen, wie das Spiel zum jeweiligen Zeitpunkt aussieht. Genau darum ist es auch ein Unterschied, ob es sich bei einer Anspielversion um eine Beta oder eine Demo handelt, wobei die Letztere eben dem Zweck der Vorführung vor einem möglichen Kauf dient.

20 Jahre 'Anno'
Diese Teile der Reihe gibt es:
  • "Anno 1602" (Max Design, 1998)
  • "Anno 1503" (Max Design, 2003)
  • "Anno 1701" (Related Designs, 2006)
  • "Anno 1404" (Related Designs/BlueByte, 2009)
  • "Anno 2070" (Related Designs/BlueByte, 2011)
  • "Anno 2205" (BlueByte, 2015)
  • "Anno 1800" (BlueByte, 2019)

Entwicklung mit den Fans: Anno Union steuerte 15.000 Kommentare bei

Bei "Anno 1800" setzte man früh auf eine andere Arbeitsweise. Auf der Plattform Anno Union tritt das Team in engen Austausch mit den Spielern. Mittlerweile wurden etwa 300 Blogbeiträge verschiedener Entwickler gepostet, rund 15.000 Zockerkommentare gingen ein. Bastian Thun ist als Community-Developer dafür zuständig, dass die Vorschläge und Bedenken der Fans auch Gehör bei den Spielemachern finden. Schließlich sei diese Arbeitsweise schon eine Umstellung für das Team, die meisten Entwickler sind eher herkömmlichere Strukturen gewöhnt, wie er berichtet.

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Mitglieder der Anno Union konnten auch an Kunstwettbewerben teilnehmen oder Schiffe mitgestalten. Bild: © Ubisoft 2019

Wieso wird das also nicht bei jedem Spiel so gemacht? Laut Hatam hat das unter anderem damit zu tun, dass viele Hersteller sich bisher ungern in die Karten haben schauen lassen. Außerdem bringt die Entwicklung mit der Community natürlich auch Nachteile mit: Der Prozess dauert länger – geben die Fans negative Rückmeldung auf ein Feature, sind Änderungen nötig, die man sonst, wenn überhaupt, erst nach dem Release durchgeführt hätte.

Außerdem müssen die Entwickler sich auch die Zeit nehmen, den Spielern ihre Arbeit zu erklären – wie etwa in einem ausführlichen Blog-Post über 3D-Architektur. Die Veröffentlichung von "Anno 1800" wurde bereits zweimal verschoben – aufgrund der Transparenz blieb Verärgerung darüber aber weitgehend aus.

Das neue Spiel soll wieder ein "richtiges Anno" werden

Die Zeiten, in denen mit Scheuklappen an den Bedürfnissen der Spieler vorbei gearbeitet wurde, scheinen bei BlueByte also vorüber zu sein. Für "Anno 1800" bedeutet das konkret, dass das Spiel auf drei Säulen aufbauen wird, die auf verschiedene Spielertypen ausgerichtet sind: Die Kampagne, für die sich den Erkenntnissen nach vor allem Einsteiger interessieren; das Endlosspiel, das Zuhause der Hardcore-Fans; und der Multiplayer-Modus inklusive Koop-Mode.

Viele Funktionen, die im Laufe der Reihe vernachlässigt wurden, kehren jetzt dank Spieler-Feedback in "Anno 1800" zurück. Handelsrouten, Piratenangriffe, komplexe KI-Gegner oder ausgeklügelte Katastrophen- und Waren-Systeme lassen den neuen Teil nun für viele Fans wieder als "richtiges Anno" erscheinen. Damit das Balancing genau den Geschmack der Community trifft, führen die Entwickler neben einer Closed-Beta zum Beispiel auch Fokus-Tests durch, bei denen Spieler aus der Anno Union das Game über mehrere Tage auf Herz und Nieren ausprobieren und detailliertes Feedback abgeben.

Jeder Wunsch kann aber nicht erfüllt werden. Durch die Erklärungen der Entwickler zu den Hintergründen wächst zumindest das Verständnis der Spieler dafür, die Transparenz zahlt sich aus. Viele andere aktuelle Top-Games könnten sich gerade hier eine Scheibe abschneiden. Ich bleibe gespannt, wie das fertige "'Anno' der Fans" am Ende aussehen wird.

Release
"Anno 1800" von Ubisoft BlueByte erscheint am 16. April exklusiv für Windows-PCs.
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