Clusters, vereinigt Euch! Denn endlich ist das mit Bangen und Spannung erwartete "Sense8"-Finale da. Ich habe mir Lana Wachowskis Abschluss für ihre global angelegte Sci-Fi-Serie angeguckt und fühlte viel Liebe – aber auch etwas Enttäuschung.
- Rückblick: Die Sensates kurz vorgestellt
- Kompromisslose Action in Wachowski-Manier
- 3 Staffeln mühsam in einem Finale komprimiert
- Zusammen ist man weniger allein
- Hauptfiguren bleiben auf der Strecke
- Liebe besiegt alles
- Mein Fazit
"Sense8" ist eine Serie der Superlative, die allein in der ersten Staffel an neun verschiedenen Locations weltweit spielt: von Nairobi in Kenia bis Mexico City, von San Francisco bis zu Islands Hauptstadt Reykjavík. Dass alle Folgen an Originalschauplätzen spielen, hat natürlich seinen Preis. Und das wurde dem Netflix-Format vermutlich auch zum Verhängnis.
Zu hohe Kosten und offenbar zu geringe Zuschauerzahlen führten zur Absetzung der Serie nach nur zwei Staffeln. Doch eine kleine treue Fangemeinde rief eine Petition ins Leben, die Netflix schließlich dazu bewegte, zumindest mit einem zweistündigen Finale für einen Abschluss der Sensates zu sorgen. Doch kann es alle Fanherzen glücklich machen?
Rückblick: Die Sensates kurz vorgestellt
Doch erinnern wir uns zunächst daran, worum es in "Sense8" geht. Von einem Tag auf den anderen sind acht Fremde aus unterschiedlichen Kulturen, die über den ganzen Globus verteilt sind, geistig und emotional miteinander verbunden. Da gibt es die kämpferische Sun (Doona Bae) in Seoul, die Tochter eines einflussreichen Geschäftsmannes, die aufgrund ihres Geschlechts aber nicht wegen ihres Könnens im Schatten ihres Bruders steht.
Der optimistische Capheus (ab Staffel 2 Toby Onwumere) ist der Fahrer eines Sammeltaxis in Nairobi und versucht – mit seinem Helden Jean-Claude Van Damme im Herzen – sich und seiner Mutter ein besseres Leben zu ermöglichen. Nomi (Jamie Clayton) hat als Transgender in San Francisco mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen. So akzeptiert ihre Mutter nicht, dass ihr ehemaliger Sohn Michael jetzt als Frau lebt.
Die Pharmazeutin Kala (Tina Desai) lebt in Mumbai, Indien, wo sie mit einem Mann verlobt ist, den sie nicht liebt. Der Berliner Wolfgang (Max Riemelt) ist ein Schlosser, der immer wieder mit dem organisierten Verbrechen in Berührung kommt. Der Schauspieler Lito (Miguel Ángel Silvestre) aus Mexico City führt das Leben eines Filmstars, muss seine Homosexualität jedoch vor seinem Publikum verbergen. Riley Blue (Tuppence Middleton) ist eine isländische DJane in London, die vor ihrer Vergangenheit flieht.
Der Chicagoer Cop Will (Brian J. Smith), der sich bald in Riley verliebt, macht die Runde komplett. Auf einmal können die Sensates, die gemeinsam ein sogenanntes Cluster bilden, sich nicht nur gegenseitig sehen und hören, sie teilen auch ihre Gedanken und Fähigkeiten miteinander. Und sie brauchen auch das Können jedes Einzelnen, denn neben ihren ganz eigenen Problemen trachtet die Geheimorganisation BPO (Biologic Preservation Organization) den Seelenverwandten schon bald nach dem Leben.
Kompromisslose Action in Wachowski-Manier
Staffel 2 endete mit der Gefangennahme von Wolfgang durch Whispers, einem der Anführer von BPO, an einer denkbar ungünstigen Stelle für ein Serienfinale. Insofern bin ich tatsächlich erleichtert, dass ich zumindest Wolfgangs Befreiung sehen durfte. Denn diese und die Entlarvung und Beseitigung der Hintermänner von BPO ist die Agenda des gut zweieinhalbstündigen Finales – unter anderem, doch dazu später mehr. Und diese Mission wird auch in Wachowski-Manier abgehakt.
Den genauen Body-Count kenne ich natürlich nicht, doch gemeinsam mit ihren Verbündeten hinterlassen die Sensates sowohl im Pariser BPO-Standort (Respekt: Wolfgang tötet im Alleingang die halbe Belegschaft) als auch im Showdown in einem neapolitanischen Palazzo ein Blutbad hinter sich. Die Schergen der Feinde rafft es in einem Kugelmeer regelrecht dahin, doch unsere Sensates bleiben nahezu unverletzt. Das ist noch überzogener als in den Staffeln zuvor, gehört aber wohl dazu, wenn man ein Werk der Wachowskis konsumiert – "Matrix" lässt grüßen.
3 Staffeln mühsam in einem Finale komprimiert
Was mir jedoch fehlte, war die Raffinesse. Denn außer viel Geballere standen Sun und Co. vor keinen großen Herausforderungen. Und das, obwohl das Finale inhaltlich durchaus vollbepackt ist. So werden die Beweggründe für die Kooperation von Cluster-Mama Angelica (Daryl Hannah) mit BPO beleuchtet – sie tat es natürlich nur, um sie von innen heraus zu zerstören. Und auch Jonas (Naveen Andrews), der Verbündete des Clusters, der sich in Staffel 2 vermeintlich gegen sie stellte, wird rehabilitiert.
Das ist alles schön und gut, hätte man im Finale aber vielleicht weniger ausführlich abhandeln können. Ganz zu schweigen von der Einführung mystischer Homo Sensorium, so der Fachbegriff für die telepathischen Sensates. An diesen Stellen merkt man, dass "Sense8" ursprünglich auf fünf Staffeln ausgerichtet war – und Lana Wachowski ihre Storylines trotz Absetzung noch in ihrem Sinne beenden wollte. Das sind dann 3 Staffeln in zweieinhalb Stunden gequetscht.
Zusammen ist man weniger allein
Für mich war es vor allem ungewohnt, das ganze Cluster tatsächlich real an einem Ort, nämlich Paris, zu sehen. Das Besondere der Serie war für mich immer, dass jeder der Sensates (bis auf Will und Riley ab dem Ende von Staffel 1) für sich blieb – aber trotzdem jederzeit mit der Unterstützung seiner Gefährten rechnen konnte. Dieses Getrennt- und trotzdem Beisammensein wurde dabei ohne große Effekte, aber dennoch kunstvoll eingefangen.
Das ging mir im Finale leider komplett ab. Es wurde regelrecht unübersichtlich mit allen Sensates an einem Standort. Und es sind ja nicht die acht Hauptfiguren allein. Auch Lebensgefährten und Freunde waren mit von der Partie.
Dass auch "normale" Menschen unsere geliebten Helden unterstützen, ist ja gut und schön. Nomis Verlobte Amanita war zum Beispiel von Anfang an in die Belange ihrer Freundin eingeweiht. Doch musste Kalas bis dahin ungeliebter Ehemann wieder auftauchen und selbst Nomis Hackerfreund Bug im Pariser Setting zur Runde stoßen? Alle Figuren zu vereinen und auch jedem Sensate noch sein Happy End (Sun und Mun werden zum Paar, yeah!) zu bescheren, scheint mehr Fanservice zu sein, als dass es der Handlung dient.
Hauptfiguren bleiben auf der Strecke
Versteht mich nicht falsch, ich liebe (fast) alle Figuren aus der "Sense8"-Serienwelt und gönne ihnen alles Glück der Welt. Doch sie alle auf Teufel komm raus noch irgendwie ins Finale zu integrieren, hat seinen Preis. Es ging auf Kosten der Screentime vieler Hauptdarsteller. So sind Capheus und Riley im Finale zu reinen Nebenfiguren verkommen. Das Wiedersehen oder vielmehr das erste echte Zusammentreffen von Wolfgang mit seiner großen Liebe Kala musste auf einmal mit ihrem Ehemann geteilt werden.
Trotzdem gab es viele emotionale Momente, auf die Lana Wachowski nach wie vor Wert legt. So feiert das Cluster die Befreiung Wolfgangs auf einem wunderschönen, französischen Landsitz und die Hochzeit von Nomi und Amanita wird gar auf dem Eiffelturm begangen. (Bei etwas weniger kostspieligen Locations hätte man ja vielleicht doch noch eine komplette weitere Staffel hinbekommen – nur ein Gedanke!)
Liebe besiegt alles
Und gerade die Liebe des Clusters zueinander, die Liebe über die Grenzen von Ländern, Kontinenten, Kulturen, Religionen und sexueller Ausrichtung hinweg, ist es, was "Sense8" so besonders macht. In Zeiten, in denen gefühlt wieder der Schwerpunkt auf Fremdheit statt auf Gemeinsamkeiten liegt, ist die Message von "Sense8" und damit auch Lana Wachowski wie Balsam für die Seele.
Das wird vor allem am Transgender-Charakter von Nomi deutlich, die auch von einer Transgender-Darstellerin dargestellt wird. Ihr Kampf um ihre Identität und der Trost, den sie in ihrer Ersatzfamilie des Clusters und ihrer Lebensgefährtin Amanita findet, trifft einen emotional umso mehr. Kein Wunder, haben doch die Wachowskis eine ähnliche Wandlung durchlaufen.
So verzeiht man es ihnen, dass für die Hochzeit von Nomi und Amanita, dem krönenden Abschluss der Serie, mit fast 30 Minuten ein enorm großer Teil des Finales abgezwackt wurde, der anderen Charakteren oder auch der Storyline fehlt. Lana Wachoswski nutzt die Worte ihrer Figuren ein letztes Mal, um ihre Werte zu vermitteln, nämlich dass "alle Unterschiede zwischen uns und alle Kräfte, die uns trennen wollen, niemals stärker sein können als die Kraft der Liebe, die uns verbindet".
Stattdessen sollen Menschen auf ihre Gefühle statt auf die Vernunft hören (Aminata) und sich nicht vor Veränderungen fürchten (Nomi). Denn wie es der Titel des Finales schon sagt: "Amor vincit omnia", Liebe besiegt alles. Manchmal sogar die Absetzung einer Serie.
Mein Fazit
Das "Sense8"-Finale hat das getan, was es sollte, und alle losen Fäden zusammengeführt – und das mit viel Action und Emotion. Manchmal wäre jedoch ein stärkerer Fokus auf die Handlung und die Hauptfiguren schön gewesen. So verliert sich die finale Episode oft in Nebensächlichkeiten und Randfiguren, für die eigentlich keine Zeit da ist. Doch vor allem der Zusammenhalt der Gruppe wird zweieinhalb Stunden zelebriert. "Sense8" endet damit so, wie es gestartet hat, mit bedingungsloser Liebe für seine Figuren und vor allem seine Fans.