Mit "Blade Runner" definierte Ridley Scott 1982 die Grenzen des Sci-Fi-Genres neu. Wie Regie-Wunderkind Denis Villeneuve 35 Jahre später mit diesen großen Fußstapfen zurechtgekommen ist, liest Du in unserer Filmkritik zu "Blade Runner 2049".
Von Marvin Mügge
- Achtung: Keine Spoiler!
- Fortsetzung oder Original?
- Jedes Bild ein Gemälde
- Hypnotische Sound-Illusionen
- Die Mutter aller Fragen
- Fazit zu "Blade Runner 2049"
Achtung: Keine Spoiler!
Dass man vor einer Pressevorführung gebeten wird, bei der Besprechung des Films keine Details über die Handlung des Films zu verraten, ist nichts Neues. Dass der Regisseur persönlich darum bittet, allerdings schon. Diese Nachricht wurde noch vor Beginn des Films an alle Filmkritiker gerichtet:
Hello my friends,
I am excited for you to see my film today. I have a favor to ask of all of you. I do not know what you will think of my movie, however, whatever you write, I would ask that you preserve the experience for the audience of seeing the film the way you see it today… without knowing any details about the plot of the movie. I know this is a big request, but I hope that you will honor it.
Best, Denis
Da wir die Meinung teilen, dass "Blade Runner 2049" am besten funktioniert, wenn man sich von dem Film überraschen lässt, gibt es hier also in Deinem Interesse nicht wie sonst üblich eine inhaltliche Zusammenfassung – und auch im weiteren Verlauf keine Spoiler.
Fortsetzung oder Original?
Wow. Einfach nur: Wow. Einen anderen Gedanken kann man kaum fassen, als die ersten Minuten von "Blade Runner 2049" sich episch über die Leinwand ausbreiten. Das Fantastische: Dieses Gefühl absoluter visueller, gedanklicher und emotionaler Überwältigung setzt sich über den kompletten Film hinweg fort. Und das ist schon ein Kunststück bei einer (selbst für heutige Verhältnisse) deutlichen Überlänge von zwei Stunden und 43 Minuten. Was Denis Villeneuve ("Arrival") hier geschaffen hat, ist weit mehr als das, was wir sonst von Sequels gewohnt sind.
"Blade Runner 2049" fühlt sich an wie ein Original. Es nimmt nicht nur das Vorhandene und mischt es neu, sondern denkt auf eine Art und Weise weiter, mit der man nicht gerechnet hat. Es ist ein filmisches Meisterwerk, das ohne jeglichen Kitsch und mit stoischer Ruhe voll in der Magengrube des verblüfften Zuschauers einschlägt.
Jedes Bild ein Gemälde
Die Bilder, die Villeneuve gemeinsam mit Kamera-Legende Roger Deakins ("Fargo", "Skyfall") inszeniert hat, besitzen eine Kraft, wie man sie im Sci-Fi-Genre vielleicht das letzte Mal bei Stanley Kubricks "2001: Odyssee im Weltraum" bewundern durfte. Die Bildkomposition als raffiniert zu bezeichnen, wäre noch untertrieben. Sie ist schlichtweg genial. Jede – wirklich JEDE – Kameraeinstellung wirkt wie ein Gemälde, mit dem man ohne zu zögern sein Wohnzimmer tapezieren möchte. Die visuellen Effekte sprengen teilweise nicht nur die Vorstellungskraft, sondern werden auch derart geschickt für das Storytelling eingesetzt, dass sie mehr als nur einmal eine Gänsehaut erzeugen.
Hypnotische Sound-Illusionen
Wie schon bei "Arrival" bettet Villeneuve seine monumentalen Bilder auf einen Klangteppich, der die Grenzen des Sounddesigns auslotet. In einer zentralen Szene bemächtigt sich das Komponistenduo Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch hierbei eines raffinierten Tricks, den sie schon bei Christopher Nolans "Dunkirk" anwendeten. Mittels einer sogenannten Shepard-Tonleiter erzeugen sie die akustische Illusion einer unendlich abfallenden Tonleiter. Doch während bei "Dunkirk" die Tonleiter immer weiter ansteigt und so die Spannung ins Unermessliche verstärkt, erleben wir bei "Blade Runner 2049" einen hypnotischen Sog, der die Hauptfigur immer weiter in den Abgrund zieht – und den Zuschauer buchstäblich in den Kinosessel presst.
Die Mutter aller Fragen
Ryan Gosling liefert in der Rolle von "Officer K" eine der stärksten Performances seiner Karriere ab. "Blade Runner 2049" ist ein Film, der mit wenig Worten auskommt. Umso bedeutungsvoller wirken die Dialoge: Villeneuve lässt seinen Schauspielern die nötige Zeit, um ihre Präsenz voll zu entfalten. Wie auch beim Storytelling setzt er darauf, was zwischen den Zeilen passiert. Ohne Hektik, aber mit umso mehr Dramatik und Intensität hämmert jedes einzelne Wort, jede Gesichtsregung, jede Geste auf das ein, was unter der Oberfläche des an sich nicht revolutionären Plots verborgen liegt.
Auch "Blade Runner 2049" ringt, wie schon zahllose Vertreter seines Genres vor ihm, mit der Frage, was eigentlich das Alleinstellungsmerkmal des menschlichen Daseins ist. Was unterscheidet uns von Maschinen? Ab wann darf – oder sollte man – künstliche Intelligenz als "Leben" bezeichnen? Im Unterschied zu den meisten anderen seiner Vorgänger tänzelt Villeneuve allerdings nicht verlegen um das Thema herum, sondern landet gleich eine ganze Reihe wuchtiger Treffer. Und am Ende des Films hängt diese Mutter aller Sci-Fi-Fragen tatsächlich wie ein angeschlagener Schwergewichtschampion in den Seilen.
"Blade Runner 2049": Fazit
"Blade Runner 2049" ist weit mehr als eine Fortsetzung: Es ist ein echtes Original und in jeglicher Hinsicht ein Meisterwerk. Atemberaubende Bilder, eine tiefgründige, packende Story und großartige Darsteller: Mehr "Wow!" geht nicht.