Mit "Carnival Row" geht Amazon in die Fantasy-Offensive. Die Serie rund um Menschen und die feenartigen Fae sowie die zum Teil sehr unfreundlichen Zusammenstöße zwischen beiden Arten glänzt mit hochkarätigem Cast und fantastischem Setting. Reicht das, um zu zünden? Ich habe mir die ersten drei Episoden angesehen.
- Darum geht's in "Carnival Row"
- "Ripper Street" meets "Penny Dreadful"
- Großartige Optik und ein rundes Gesamtbild
- Fazit
Lange standen die Vorzeichen für "Carnival Row" nicht besonders gut: 2005 verfasste Drehbuchautor Travis Beacham ohne Auftrag das Skript, das eigentlich für einen Film gedacht war. Erst 2015 nahm sich Amazon der Idee an und verpflichtete keinen Geringeren als Fantasy-Mastermind Guillermo del Toro als Co-Autoren, Regisseur und ausführenden Produzenten.
Aufgrund seines überaus gut gefüllten Kalenders kehrte del Toro dem Projekt 2017 jedoch den Rücken, ab da gaben sich mehrere Regisseure die Klinke in die Hand. Am Ende wuppte das Team aus Travis Beacham, René Echevarria und Jon Amiel das Projekt und brachte es zur Serienreife. Mit mehr als sehenswertem Ergebnis, wie ich finde.
Darum geht's in "Carnival Row"
Sieben Jahre ist es her, seit der Krieg zwischen den menschlichen Fraktionen der Burgue und des Pact um die Bodenschätze des Feenlandes Tirnanoc gewütet hat. Während sich die Soldaten der Burgue zurückgezogen haben, macht der Pact noch immer Jagd auf die Reichtümer sowie auf die Fae, Faune und übrigen fabelhaften Ureinwohner des Landes.
Das Resultat ist ein dauerhafter Strom von Flüchtlingen, der sich beständig in die Hauptstadt von Burgue ergießt – sehr zum Missfallen vieler Menschen. All die bisher nur aus Mythen bekannten Wesen sammeln sich im Stadtviertel Carnival Row, auch "The Row" genannt, das schnell zum sozialen Brennpunkt wird. Als ein Killer beginnt, auf die Feenartigen Jagd zu machen, droht das Pulverfass Carnival Row zunehmend zu explodieren.
Mitten in diesem Schlamassel stecken Polizeiinspektor Rycroft "Philo" Philostrate (Orlando Bloom), der den Morden auf den Grund gehen will, und Vignette Stonemoss (Cara Delevingne). Vignette ist eine Fae, die ihr eigenes Hühnchen mit Philo und den Menschen zu rupfen hat. Auf politischer Ebene kämpft der feenfreundliche Kanzler Absalom Breakspear (Jared Harris aus "Chernobyl") um seinen Einfluss im Parlament.
"Ripper Street" meets "Penny Dreadful"
Der Grundplot von "Carnival Row" ist wie eine Mixtur aus "Ripper Street" und "Penny Dreadful". Die Verweise auf Jack the Ripper sind durchaus nicht zufällig gewählt, auch der Name "Unseelie Jack", mit dem die Macher den Mörder zu Beginn von Staffel 1 vorstellen, erinnert an das historische Vorbild.
Doch mit einer so oberflächlichen Einordnung wäre der Serie Unrecht getan, so viel steht für mich nach drei Episoden bereits fest. "Carnival Row" setzt auf eine Mischung aus Steampunk-Elementen, Einflüssen aus dem Bereich der High Fantasy und Anleihen aus dem viktorianischen England. Auch in der irischen Sagenwelt haben sich die Macher fleißig bedient, wie zum Beispiel der Name Tirnanoc (vom irischen Tír na nóg) und die Verwendung keltischer Runen als Schrift der Feenartigen verraten. Das Monster, dem wir am Ende von Episode 2 erstmals begegnen, ruft Erinnerungen an Cthulhu von H. P. Lovecraft wach.
Die verschiedenen Elemente werden gekonnt zu einer eigenen Mythologie verwoben, wobei die Serie sich die Zeit nimmt, uns langsam in ihre komplexen Strukturen einzuführen. Mit jeder Episode gewährt uns Staffel 1 tiefere Einblicke in die Hintergründe ihrer vielschichtigen Figuren, wobei auch zum Teil sehr ausgiebige Flashbacks zum Einsatz kommen.
Großartige Optik und ein rundes Gesamtbild
Hinzukommt eine Optik, die bereits vermuten lässt, dass Amazon viel Geld für die Umsetzung von "Carnival Row" in die Hand genommen hat. Obwohl das Unternehmen selbst keine Zahlen nennt, sprechen die großartigen Szenerien und das detailverliebte Design etwa der Kostüme und Häuser eine eindeutige Sprache. Statt übermäßigen CGI-Effekten kommen handgemachte Hörner, Flügel und Hufe zum Einsatz, und das ist auch gut so!
Die fantastischen Elemente sind anders als in vielen Serien zu jeder Zeit präsent, fügen sich aber so selbstverständlich in das historische Setting ein, dass es nie zu einem Bruch im Gesamtbild kommt. Die musikalische Untermalung von Nathan Barr sorgt für den Rest.
Für alle, denen reine Fantasy nicht ausreicht, bietet "Carnival Row" zusätzlich Krimi- und Gore-Elemente im Rahmen der Mordermittlungen – und ein wohldosiertes Maß an nackter Haut, das aber meilenweit von Kalibern wie "Game of Thrones" entfernt ist.
Fazit: Durchdachte Fantasy mit Suchtpotenzial
"Carnival Row" wartet mit einer ganz eigenen Fantasy-Welt auf und lässt sich zu Beginn von Staffel 1 erfreulich viel (aber nicht zu viel!) Zeit, Geschichte, Figuren und Mythologie aufzubauen. Die Serie integriert gesellschaftspolitische Themen wie soziale Ungerechtigkeit, Krieg und Flucht ebenso selbstverständlich in ihre Handlung wie Faune, Kobolde, Fae und die übrigen magischen Wesen, die die Straßen und Winkel von The Burgue bevölkern.
Für alle Freunde durchdachter Fantasy bietet die Serie eine mehr als willkommene Abwechslung zum aktuellen Unterhaltungsangebot von Marvel bis DC. Ich freue mich sehr darauf, den Rest von Staffel 1 anzusehen – und bin schon voller Vorfreude auf die bereits bestellte zweite Staffel!