Der Teufel von Hell's Kitchen ist mit Staffel 3, die lose auf der "Born Again"-Storyline beruht, auf Netflix zurück. Von dem selbstbewussten, überzeugten Gerechtigkeitskämpfer von einst ist allerdings nicht mehr allzu viel übrig ... Plötzlich werden vielmehr die Nebencharaktere der Marvel-Serie zu den wahren Helden – und Super-Schurken.
- Der Teufel glaubt nicht mehr an Gott
- Die Neuzugänge stehlen dem Helden die Show (und die Identität)
- Visuell stärker denn je
- Fazit: Der Teufel läuft sich noch warm
Der Teufel glaubt nicht mehr an Gott
Nach den dramatischen Ereignissen am Ende der Team-Miniserie "The Defenders" ist Matt Murdock zwar wider aller Umstände am Leben, aber vollkommen am Boden zerstört. Die Nonnen des Waisenhauses, in dem er einst aufwuchs, päppeln ihn zwar körperlich wieder auf, doch den alten furchtlosen und entschlossenen Matt gibt es scheinbar nicht mehr. Der Titelheld der Serie verliert seinen Glauben an Gott und wie "Daredevil"-Fans wissen, war der bislang ein elementarer Teil seiner Persönlichkeit. Fortan zweifelt der selbst ernannte Retter am großen Ganzen und an sich selbst. Er versinkt geradezu im Selbstmitleid – und das zerrt teilweise ebenso an den Nerven der Zuschauer wie an denen der bissig-sympathischen Schwester Maggie.

Einzig eine actionreiche Sequenz, die an den Hallway-Fight aus Staffel 1 angelehnt ist, erinnert kurz an die glorreichen Zeiten des Helden. Diese sorgt für eine Hochstimmung, die aber schnell wieder verfliegt, wenn Matt Murdock Karen zum x-ten Mal düster erklären will, warum sie nicht befreundet sein können. In solchen Momenten reißt nicht nur Karen der Geduldsfaden.
Der lang ausgebreitete Selbstkonflikt des eigentlichen Helden ist einer der Gründe, warum die Handlung nur sehr langsam in Gang kommt. Die ersten drei Episoden fühlen sich wie eine endlose Einleitung der eigentlichen Story an. Erst ab Folge 4 nimmt das Geschehen wieder an Fahrt auf. Und das, obwohl – oder gerade weil? – der Titelheld in einer der folgenden Episoden gerade mal 60 Sekunden Screen-Time bekommen hat.
Die Neuzugänge stehlen dem Helden die Show (und die Identität)
Wesentlich interessanter und sympathischer als Charlie Cox als Matt Murdock aka Daredevil präsentieren sich nämlich die diversen Neuen im Cast der Marvel-Serie. Allen voran: Schwester Maggie, gespielt von Joanne Whalley. Die harte, aber gerechte Ordensschwester sorgt für die dringend benötigten Lacher beim Zuschauer, wenn Matt Murdock sich einmal mehr in seinem Selbstmitleid und seiner Wut auf Gott ergeht und rückt dem Teufel von Hell's Kitchen mehr als einmal den Kopf zurecht.
Einen neuen Sympathieträger zum Mitleiden gibt es unterdessen in Form von FBI-Agent Rahul "Ray" Nadeem (Jay Ali). Der Ermittler versucht ständig gestresst, Familienprobleme, Geldsorgen und berufliche Mammutaufgaben zu bewältigen – und ist damit in den ersten Folgen der neuen Staffel nahbarer als alle anderen Figuren der Serie.

Der dritte starke Neuling ist Benjamin "Dex" Poindexter, verkörpert von Wilson Bethel. Nach außen hin wahrt dieser die Fassade des pflichtbewussten FBI-Agenten, doch schnell wird klar, dass Dex ein dunkles Geheimnis hat. Schon in seiner Jugend wurde bei ihm eine Borderline-Persönlichkeitsstörung samt einem ausgeprägten Hang zur Gewalt diagnostiziert – was ihn zur perfekten Marionette von Oberschurke Wilson Fisk (Vincent D'Onofrio) macht. Die Interaktion der beiden fiesen Charaktere gehört eindeutig zu den Highlights der dritten Staffel. Bethel und D'Onofrio legen eine absolute Gänsehaut-Performance hin – und ihre Charaktere bedrohen letztlich alles, wofür Daredevil als Held steht ...

Visuell stärker denn je
Aber nicht nur der Cast hat Verstärkung bekommen. Mit "Man in the High Castle"-Macher Erik Oleson wurde – mal wieder – ein neuer Showrunner für "Daredevil" verpflichtet. Und der setzt neben starken Nebenfiguren auf ungewöhnliche Effekte, die den Zuschauer über den ungewohnt schwächelnden Helden hinwegtrösten.
So verschwimmt gleich zu Beginn der dritten Staffel unsere Sicht und die Kameraführung ist gezielt wackelig, wenn Matt Murdock vergeblich versucht, seine angeschlagenen Sinne – das Super-Gehör samt seiner räumlichen Wahrnehmung – zu fokussieren. Ein anderes Mal wiederum beginnt das Bild, sich wild zu drehen, wenn Agent Poindexter droht, seine hart erarbeitete Fassung zu verlieren. Die durchdachte Inszenierung zieht den Zuschauer mitten ins Geschehen – und hält die Spannung hoch, während die Fans darauf warten, dass ihr "echter" Held, Matt Murdock aka Daredevil, endlich "wiedergeboren" wird.
Fazit: Der Teufel läuft sich noch warm
Staffel 3 von "Daredevil" startet deutlich schwerfälliger als die bisherigen zwei Staffel der Soloserie, doch das Dranbleiben lohnt sich. Die neuen Charaktere sind bis ins Detail ausgearbeitet und auch visuell hat Neu-Showrunner Erik Oleson die Serie zu alter Stärke zurückgeführt. Wer an den Straßenkämpfen in der ersten Staffel von "Daredevil" Spaß hatte und die Story von "Marvel's The Defenders" etwas zu weit hergeholt fand – Geheimorganisationen, die den Tod überwinden, sind nicht jedermanns Sache –, ist hier genau richtig.
Wir hoffen allerdings weiterhin, dass sich Daredevil wieder aufrappelt, denn vor allem in den ersten fünf Folgen ist ausgerechnet der Titelheld das schwächste Glied in der Kette von Staffel 3.