Nach sechs Jahren Wartezeit ist "Days Gone" Ende April endlich für die PS4 erschienen. Der ganz große Hype blieb eher aus, restlos begeistert sind nur wenige Gamer. Ein Vorwurf, der immer wieder laut wird: Gerade der Anfang sei viel zu lahm. Ich halte dagegen: Der bedächtige Start ist das Beste am Spiel.
Ich lobe mich ja nur ungern selber, aber da hatte ich wirklich mal den richtigen Riecher, als ich im März "Days Gone" einen Wertungsschnitt irgendwo in den 70ern prognostizierte. Rund drei Wochen nach Release steht Sonys PS4-exklusives Zombiespektakel auf Metacritic bei 72%. Wir haben hier also offensichtlich ein gutes Spiel – keinen absoluten Überhit, aber doch ein solides Open-World-Game, das mehr richtig als falsch macht. Das habe ich erwartet, und das habe ich mit "Days Gone" auch bekommen.

Viele der geäußerten Kritikpunkte teile ich sogar: Richtig originell ist nichts an diesem Spiel, technisch geht das alles heutzutage besser und unser Protagonist Deacon St. John hat so ein starkes Mitteilungsbedürfnis, dass einem sein Dauergelaber schon nach kürzester Zeit massiv auf den Keks geht. Vor allem, wenn er mal wieder über wirklich wichtige Story-Infos drübersabbelt, sodass man kein Wort versteht. Kotaku hat's treffend zusammengefasst: Shut the hell up, Deacon.
"Es ist dieses prickelnde Element des Unbekannten, der Reiz der Gefahr, der mich gerade zu Anfang ans Pad fesselt."
Dass der Anfang des Spiels so lahm und uninteressant sei, dass man sich regelrecht durchquälen müsse, kann ich hingegen nicht unterschreiben. Ich finde sogar: Im ersten Kapitel, in dem die Story noch mysteriös, das Figurenpersonal überschaubar und die Map schön aufgeräumt ist, macht "Days Gone" am meisten Spaß.

Klar, es dauert schon ein bisschen, bis wir ein paar handfeste Hinweise auf das Schicksal von Deacons Frau Sarah bekommen. Die vom Publisher im Vorfeld so massiv beworbenen Zombiehorden (und ja, ich weigere mich immer noch, sie im Einklang mit dem Marketing "Freaker" zu nennen) lassen sich erst nach mehreren Spielstunden blicken. Und wenn Du Dich nicht einen ganzen Abend lang an einem aussichtslosen Kampf gegen diese Übermacht abmühen willst, musst Du nochmals einige Stunden investieren – das Rüstzeug für diese XXL-Kämpfe kriegst Du nämlich erst später im Spiel.
"Vom verschüchterten Pfadfinder zum abgebrühten Survival-Profi."
Aber es ist dieses prickelnde Element des Unbekannten, der Reiz der Gefahr, der mich gerade zu Anfang ans Pad fesselt. Deacon kennt diese tödliche, brutale Welt schon, aber ich lerne erst, mich in ihr zurechtzufinden. Übermütig renne ich in eine Zombietraube und hauche schon nach ein paar Angriffen mein virtuelles Leben aus – okay, interessant, schon drei oder vier Infizierte können ein ernsthaftes Problem darstellen. Wölfe? Sind flink, gefährlich und greifen gerne in den unpassendsten Momenten an. Alles klar, gecheckt.

Und so, wie sich Outlaws im Wilden Westen an ein neues Pferd gewöhnen mussten, lerne ich nach und nach die Vorzüge und Macken meines Motorrads kennen, ohne das ich im weitläufigen Oregon völlig aufgeschmissen bin: wie es sich steuert, wann es bockt, wann ich den Tank auffüllen sollte (immer).
"Wenn die virtuelle Welt noch unerforscht und reizvoll ist, entfaltet 'Days Gone' seine Sogwirkung."
Die Folge: Vom verschüchterten Pfadfinder werde ich allmählich zum abgebrühten Survival-Profi. Ich feiere ekstatische Triumphe und erleide bitterste Niederlagen, schalte immer mehr Verbesserungen für Deacon frei und räuchere ein Zombienest nach dem anderen aus – alles in meinem eigenen Tempo und ohne, dass mich das Spiel permanent von einer Storymission zur nächsten schubst. Und genau so mag ich es am liebsten.

Etwa ab der Hälfte zieht sich "Days Gone" dann leider ganz schön. Gegen Ende wünsche ich mir gar eine Vorspulfunktion – aber in den ersten Spielstunden, wenn die virtuelle Welt noch unerforscht und reizvoll ist, entfaltet Sonys Zombie-Ballade eine Sogwirkung, der ich mich kaum entziehen kann.
Es muss eben nicht alles immer mit 'nem Knalleffekt anfangen und bis zum Ende nicht mehr nachlassen. Da könnte ich mir ja auch einen Film von Michael Bay angucken – und das ist schlimmer als jede Zombiehorde.