Mit "inFinite" veröffentlichen Deep Purple das 20. Album in fünf Jahrzehnten Bandgeschichte. Es könnte durchaus ihr letztes Werk sein, wie es aus dem Lager der Rocklegenden heißt. Ob "inFinite" einen würdigen Karriereabschluss für Deep Purple markieren würde und warum ihr Produzent sie davon überzeugte, nie wieder einen Song wie "Smoke on the Water" aufzunehmen, erfährst Du in unserer Albumkritik.
Deep Purple sind eine der letzten großen Rockbands des Planeten – und vielleicht schon bald Geschichte. "The Long Goodbye" heißt die kommende Welttournee der Briten. Drummer Ian Paice erlitt letztes Jahr einen leichten Schlaganfall. Gitarrist Steve Morse, mit 62 Jahren der Jüngste der Gruppe, kämpft mit einer schmerzhaften Arthrose in den Fingern. "Machen wir uns keine Illusionen: Wir werden alt. Ewig werden wir nicht mehr weitermachen...", bekannte der 71-jährige Bassist Roger Glover kürzlich in einem Interview mit der Berliner Morgenpost.
Das Ende von Deep Purple wäre das Ende einer Ära
1968 gegründet, erfand die Gruppe zusammen mit Led Zeppelin und Black Sabbath Hardrock und Heavy Metal. Ihre Alben "Machine Head" und "Deep Purple in Rock" gehören nicht erst seit Deep Purples Aufnahme in die Rock N'Roll Hall of Fame im vergangenen Jahr zu ewigen Klassikern der Rockgeschichte. Darauf enthalten: "Child in Time", "Highway Star" und natürlich "Smoke on the Water", dessen Riff bis heute jedes Kind mitsummen kann. Keine andere Rockband hat so viele Streitigkeiten, Besetzungswechsel und Comeback-Versuche überlebt wie Deep Purple. Nachdem Gitarrengott Richie Blackmore 1993 die Band verließ, und Gründungsmitglied Jon Lord im Jahr 2002 ebenfalls die Segel strich, hat sich mit der Besetzung Ian Gillan (Gesang), Roger Glover (Bass), Don Airey (Keyboards), Steve Morse (Gitarre) und Ian Paice (Schlagzeug) seit 2003 eine späte Kontinuität eingestellt. Für ihr 20. Studioalbum "inFinite" wurden Deep Purple abermals von Produzentenlegende Bob Ezrin unterstützt.

Mit ihm hatten sie schon auf dem Vorgänger "Now What?!" zu alter Spielfreude zurückgefunden, einfach dadurch, dass Ezrin sie überzeugte, dass sie nie wieder einen Song wie "Smoke on the Water" schreiben werden – und es auch nicht müssen. "So ein Hit kommt nur alle paar Millionen Jahre und ihr hattet euren", erinnert sich Drummer Ian Paice im Gespräch mit dem Focus-Magazin an die weisen Worte des Produzenten. Ein 90-minütiger Dokumentarfilm mit dem Titel "From Here to Infinite", der der Deluxe-Version des neuen Albums beiliegt, zeigt, welche zentrale Rolle Ezrin auch bei der Entstehung von "inFinite" spielte. Wie eine Mischung aus Regisseur und Fußballtrainer treibt er die Band im Studio zu Höchstleistungen an, er dirigiert, kritisiert, unterbricht und führt Deep Purple unnachgiebig jenen Klangvisionen zu, die er für sie im Kopf hat. Wenn Ezrin etwas nicht gefällt, verzieht er das Gesicht. Ohne ihn, so viel steht fest, würden die Rockgiganten im Jahr 2017 völlig anders klingen.
Während der losrockende Opener "Time for Bedlam" und das bissige Beziehungsdrama "All I Got is You" mit Bluesgitarren und Hammond-Orgel klassisches Purple-Material darstellt, öffnen sich Songs wie "Birds of Prey" und "The Surprising" einer epischen Weite, deren sphärische Keyboardflächen und vertrackte Zwischenspiele zuweilen an Progrock-Bands wie Rush erinnern. Für Produzent Ezrin, der auch Pink Floyds Doppelalbum "The Wall" seinen Stempel aufdrückte, ist der Sound mindestens so wichtig wie das Songwriting. So wurde das donnernde Schlagzeug von "Birds of Prey" in "einem hohen Raum aus echtem Stein" aufgenommen, wie der begeisterte Drummer Ian Paice dem Rock Hard Magazin verriet. Die bei Live-Auftritten bisweilen ins Uferlose driftenden Improvisationen der Gruppe sind auf "inFinite" fast durchweg in satt produzierte Rhythmusgerüste eingebettet. Statt in virtuose Soli zu zerfasern, graben sich die 10 Songs kompakt in die Gehörgänge, dem durchs ewige Eis brechenden Schiff auf dem Albumcover nicht unähnlich.
Besonders die Texte auf "inFinite" sind großes Rock N'Roll-Kino
Ein weiterer Bonus des klar ausgearbeiteten Klangbilds ist die Tatsache, dass das Storytelling zunehmend in den Vordergrund rücken darf. "Time for Bedlam" und "Birds of Prey" setzten sich inhaltlich mit "politischem Wahn" und "ewigem Kriegsspiel" auseinander. Das dem frühen Rock N'Roll der 1950er-Jahre verpflichtete "Johnny's Band" reflektiert die lange Karriere einer Rockband, die auch in hohem Alter nicht aufhören will. "Making rounds with that old fashioned sound / and here we are singing along" singt Texter und Sänger Ian Gillan mit rührender Bescheidenheit in der Stimme. Und dann ist da noch das staubtrockene "One Night in Vegas", in dem eine Absturznacht in Las Vegas nacherzählt wird, die in einer 30 Jahre währenden Ehe gipfelt. Großes Rock N'Roll-Kino. Nur das träge Cover des Doors-Klassikers "Roadhouse Blues" am Ende des 45-minütigen Albums hätte es nicht gebraucht, zumal es einen Eindruck hinterlässt, den Deep Purple auf "inFinite" sonst sehr gut vermieden haben: den einer gealterten Muckerband, die der Vergangenheit und längst verstorbenen Kollegen nacheifert.
Fazit: Ein originelles und würdevolles Alterswerk
Tatsächlich sind Deep Purple im Jahr 2017 immer dann am besten, wenn sie gar nicht erst versuchen an Großtaten wie "Smoke on the Water" anzuknüpfen (auch wenn das Gitarrenriff von "Birds of Prey" durchaus bemerkenswert ist), sondern sich für Klangexperimente und neue Ansätze öffnen. So ist den Rock-Dinosauriern mit "inFinite" auf weite Strecken ein originelles Hardrock-Album gelungen, das sich nur selten in Virtuosität und Rockstandards verliert. Ob für die heutige Musikwelt relevant oder nicht: Falls "inFinite" das letzte Album von Deep Purple sein sollte, ist es ein würdevoller Abgang.