Was passiert, wenn künstliche Menschen wie echte fühlen? "Detroit: Become Human" stellt die ganz großen Zukunfts-Fragen und lässt die Spieler in Dialogen und mit Quicktime-Events ihre eigenen Antworten finden. Ob Quantic Dreams neuer interaktiver Science-Fiction-Film im Test überzeugt, liest Du hier.
Spätestens seit dem überwältigenden Erfolg des interaktiven Psychothrillers "Heavy Rain" aus dem Jahr 2010 gelten Entwickler David Cage und sein Studio Quantic Dream als Experten für Games auf der Grenze zwischen Spiel und Film. Verschachtelte Story-Fäden, die abhängig von den Entscheidungen der Spieler und ihrer Performance in kleinen Geschicklichkeitsspielen zu unterschiedlichen Enden führen, wurden zum Markenzeichen der Franzosen. Auch "Detroit: Become Human" weicht von dieser Formel nicht ab – und wie immer ist das Segen und Fluch zugleich.
Wann ist der Mensch ein Mensch?
Schauplatz von "Detroit: Become Human" ist die titelgebende US-Metropole im Jahr 2038. Nachdem die einstige Hochburg der Autoindustrie jahrzehntelang brach lag, ist sie nun wieder im Aufschwung – dank CyberLife, einem Unternehmen, das menschenähnliche Roboter anfertigt.
Obwohl eigentlich als Helfer und Arbeitssklaven gedacht, sind diese Androiden äußerlich nur noch durch eine LED-Anzeige an der Schläfe von echten Menschen zu unterscheiden. Seit sich Fälle von kriminell gewordenen und verschwundenen Androiden häufen, deutet vieles darauf hin, dass auch das seelische Innenleben von Mensch und Maschine sich mehr ähnelt als gedacht ...
Die Grundidee von Maschinen auf dem Weg zur Menschlichkeit ist natürlich nicht neu und wurde schon von Sci-Fi-Autoren wie Isaac Asimov und Philip K. Dick ausgiebig ergründet. Die Umsetzung in einem interaktiven Medium hat aber einen ganz eigenen Reiz, denn die Spieler schlüpfen abwechselnd in die Kunststoff-Körper dreier Androiden und lernen die Welt mit deren Augen kennen. Auf diese Weise gelingt es Quantic Dream, in dem vermeintlich vertrauten Thema eigene Akzente zu setzen.
Zukunftsvision mit vertrauten Problemen
Gerade zu Beginn exerziert jedes Kapitel eine Chance oder Gefahr von künstlicher Intelligenz und menschenähnlichen Robotern durch: Für die Reichen sind die Androiden Hilfen im Alltag, viele ärmere Bürger verlieren dagegen ihre Jobs an sie. Einige Menschen behandeln die Roboter liebevoll wie Mitmenschen. Gleichzeitig werden Androiden hinter verschlossenen Türen misshandelt, in der Öffentlichkeit herrscht eine strikte Klassengesellschaft mit Hotelverbot und eigenen Bus-Abteilen für die künstlichen Intelligenzen – eine kaum verhüllte Parabel auf Apartheid und Rassismus.
Vom ersten Kapitel an nimmt mich die Spielwelt von "Detroit: Become Human" gefangen. Die Entwickler haben sich größte Mühe gegeben, ihr Detroit der Zukunft auf der PS4 Pro in beinahe fotorealistischer Grafik zu erschaffen und sich auch sonst interessante Gedanken zum Leben in 20 Jahren gemacht. Dass in der Arktis ein Krieg zwischen den USA und Russland droht, wie in Nachrichtensendungen zu hören ist, oder Live-Konzerte nach einem kurzen VR-Boom ihr Revival feiern, hat für die eigentliche Story kaum Relevanz. Details wie diese füllen die Welt aber mit Kontext und erheben sie damit über die bloße Kulisse, die sie – zumindest rein vom Gameplay her gesehen – eigentlich ist.
Gameplay: Navigieren durch den Sci-Fi-Film
Viele Möglichkeiten der Interaktion bietet das nur scheinbar offene Detroit nämlich nicht. In den meisten Kapiteln gibt es wenige vorgezeichnete Pfade, von denen ich kaum abweichen kann. Ich steuere meinen Androiden mit dem linken Analog-Stick durch die Gegend, über eine zuschaltbare Scanner-Ansicht kann ich sehen, mit welchen Gegenständen ich gerade interagieren kann und soll. Die Immersion erhöht "Detroit: Become Human" dadurch, dass viele Aktionen nicht per Knopfdruck, sondern durch kleine "Gesten" mit dem rechten Stick oder Wischen auf dem Touchpad des PS4-Controllers ausgeführt werden.
Das ist zunächst gewöhnungsbedürftig: Türen mit dem Stick zu öffnen erscheint umständlich, generell geraten auch die Bewegungs- und Kamerasteuerung gelegentlich hakelig. Wenn ich später tatsächlich minutenlang Geschirr spüle und dafür über den Controller wische, kommt es mir vor, als würde hier bewusst Spielzeit geschunden. Nach einer Weile geht die Steuerung aber besser von der Hand, der immersive Effekt stellt sich ein und die frühen Kapitel erweisen sich als kleines Tutorial für die mit der Zeit immer häufiger werdenden Quicktime-Sequenzen.
Steuerung: Durchwachsen mit Aussicht auf Quicktime-Events
Diese Geschicklichkeits-Passagen unter Zeitdruck werden bei "Detroit: Become Human" wieder die Geister spalten. Ja, sie lenken das anfangs sehr filmhafte Game nach und nach mehr in Richtung Videospiel und unterstützen dramatische Szenen, indem sie den Puls in die Höhe treiben. Aber sie nehmen mir als Spieler auch ein Stück weit die Kontrolle über meine Entscheidungen – plötzlich zählt nur, ob ich in hektischen Sequenzen schnell genug erkenne, welcher Knopf zu drücken ist.

Ein bisschen ärgerlich ist dabei auch, dass im Getümmel nicht immer ganz deutlich ist, ob Tasten nur kurz gedrückt oder gedrückt gehalten werden sollen (und wenn ja, wie lange). Unklarheit herrscht auch in manchen Dialogen, bei denen aus den Ein-Wort-Zusammenfassungen nicht immer klar erkennbar ist, wie meine eigentliche Antwort letztlich aussehen wird. Das sorgt gelegentlich für Wendungen, die ich eigentlich gerade vermeiden wollte und lässt den Figuren im schlimmsten Fall ein Schicksal angedeihen, das mir das Herz bricht.
Detroits größte Stärke: Toll geschriebene Charaktere
Das wiederum kann die Charakter-Abteilung von Quantic Dream als großen Verdienst verbuchen: Alle drei Hauptfiguren – der programmtreue Androiden-Polizist Connor, der willensstarke Haushalts-Helfer Markus und die verantwortungsvolle Kara – sind glaubhafte Charaktere, mit denen ich mitfiebere und deren Reise durch eine ihnen feindlich gesinnte Welt mich emotional mitnimmt. Der Einsatz von Motion-Capturing und die gelungene deutsche Synchronisation tragen dazu eine Menge bei und lassen auch die unzähligen Nebenfiguren glänzen.
Klar, es gibt in "Detroit: Become Human" – wie in so ziemlich jedem Film – ein paar Logiklücken, über die man aber gut hinwegsehen kann. Auch ein paar Klischees tauchen auf: etwa der knurrige Kommissar mit Alkoholproblem oder der drogenabhängige, immer klamme Sohn des reichen Künstlers. Im Großen und Ganzen bleiben Story, Cast und Dialoge aber angenehm Fremdscham-befreit – die filmische Herangehensweise zahlt sich hier aus und erzählt die spannende, gelegentlich weit ausgreifende Geschichte in einer Qualität, die bei Games immer noch nicht selbstverständlich ist.
Story: Gefangen zwischen Stringenz & Entscheidungsfreiheit
Auf dem Erzählen dieser Geschichte liegt entsprechend auch das Hauptaugenmerk des Spiels, was gelegentlich mit dem Anspruch kollidiert, den Spieler über ihren Fortgang entscheiden zu lassen. So ist die Tragweite mancher Entscheidungen nicht immer einleuchtend: Manchmal habe ich das Gefühl, mich schon sehr unintuitiv verhalten zu müssen, um die Handlung auf einen anderen Pfad zu bringen. Vor allem gegen den eigenen moralischen Kompass und die Sympathien mit den Figuren zu handeln, fällt schwer – aber gerade daraus ergeben sich oft die spannendsten Wendungen.
Denn natürlich gibt es spielentscheidende Schicksalsmomente und oft sind sie so clever eingeflochten, dass erst über Kapitelgrenzen hinweg spürbar wird, was meine Handlungen angerichtet haben. Meine Entscheidungen verändern dazu das Verhältnis der Charaktere zueinander und beeinflussen einen Indikator, der die Haltung der Öffentlichkeit gegenüber Androiden abbildet.
Aus diesen Werten errechnet sich dann, wie "Detroit: Become Human" weitergeht – und das funktioniert dann doch erstaunlich flüssig und organisch. Welche Tragweite meine Entscheidungen wirklich haben, ist nicht immer sofort ersichtlich und manchmal sind es gerade die kleinen Handlungen, die sich am Ende als wegweisend herausstellen.
Fazit: Immer noch ein Kompromiss – aber ein richtig guter
"Detroit: Become Human" überzeugt mit seiner lebendigen Spielwelt, mitreißenden Hauptcharakteren, technisch beeindruckender Präsentation und einer vielschichtigen Science-Fiction-Story, die den Abgründen der Menschheit mindestens so viel Raum einräumt wie Meditationen über Chancen und Risiken der Technik. Diese filmischen Qualitäten machen es auch verschmerzbar, dass meine Entscheidungen manchmal aufgrund uneindeutiger Anweisungen und Dialogmarker unfreiwillig getroffen werden und oft weniger Einfluss haben als erwartet. Wie kunstvoll das Geflecht aus Ursachen und Wirkungen wirklich ist, wird wohl eh erst nach mehreren Spieldurchläufen ganz ersichtlich.
- Hier erfährst Du, ob "Detroit: Become Human" auch für Xbox One & PC erscheinen könnte.
- Außerdem beschreiben wir, worüber man sich vor dem Kauf des Spiels klar sein sollte.
Die spielerische Seite von "Detroit: Become Human" fällt dagegen etwas ab. Die Steuerung lässt manchmal den nötigen Überblick und Präzision vermissen, die regelmäßig in Zeitdruck-Hektik ausartenden Quicktime-Events können für Frust sorgen, wenn man wirklich "nur" die Story erleben und aktiv mitgestalten will. Andererseits sorgen sie für ein bisschen Nervenkitzel zwischen all dem passiven Zuschauen und Zuhören. Ein kleines Manko, das zeigt, dass Quantic Dream das ideale Mischverhältnis hier nach wie vor nicht gefunden hat.
Letztlich steht "Detroit: Become Human" wie seine Vorgänger als eine Art Kompromiss zwischen Film und Game. Die Unzulänglichkeiten beider Medienformen zeigen sich an verschiedenen Stellen, zum Verhängnis können sie dem ungewöhnlichen Spiel aber nicht werden – dafür überzeugen seine Qualitäten zu sehr.