Wie ergeht es Jesse Pinkman nach "Breaking Bad"? "El Camino" erweitert die Kultserie um einen Film, der sich ganz dieser Frage widmet. Fans verbringen zwei unterhaltsame Stunden, alle anderen sind eh raus. War das wirklich nötig? Nein. Aber besser wäre es wohl auch nicht gegangen.
- Jesse Pinkman auf der Flucht
- Moment mal, war das in der Serie?
- Schaulaufen ohne Umwege
- Das wäre doch nicht nötig gewesen ...
"El Camino" beginnt mit der Zusammenfassung von "Breaking Bad" im Extremzeitraffer: Chemielehrer Walter White (Bryan Cranston) bekommt Lungenkrebs, kocht mit seinem ehemaligen Schüler Jesse Pinkman (Aaron Paul) das beste Meth der Welt, wird zum Amphetamin-Lord von Albuquerque, reißt alle um sich herum ins Elend, stirbt. Jesse reift vom Drogen-Dude zum moralisch halbwegs gefestigten Erwachsenen, leidet wie ein Hund, kommt am Ende davon – zauselbärtig, vernarbt, hysterisch lachend, mit dem Fuß auf dem Gaspedal eines Chevrolet Camino.
Ende von "Breaking Bad" – und der Anfang von "El Camino".

Die Synopsis hätte sich Serienschöpfer Vince Gilligan sparen können, aber sie richtet sich wohl eh in erster Linie an Fans der Serie. Wer ganz neu ist bei "Breaking Bad" wird im nachgeschobenen Film jedenfalls nichts verstehen. Das ist okay und war von Anfang an so kommuniziert. Gilligan erzählt die endgültige Erlösung des Jesse Pinkman für "Breaking Bad"-Liebhaber, die es kaum als Spoiler empfinden werden, dass es zu dieser Erlösung am Ende tatsächlich kommt.

Jesse Pinkman auf der Flucht
Das hat den Nachteil, dass die Einsätze von vornherein gering sind. Es ist gesetzt, dass Jesse durchkommt. Kämpfen muss er trotzdem für sein halbwegs glückliches Ende: Nach seiner Flucht im Camino kommt er zunächst bei seinen alten Kumpels Badger (Brandon Mayhew) und Skinny Pete (Charles Baker) unter.
Geduscht und rasiert sieht die Welt schon besser aus, aber nicht viel: Die Polizei fahndet nach Jesse und um sich endgültig abzusetzen, braucht er die Hilfe von Ed Galbraith (Robert Forster in seiner letzten Rolle). Der Staubsaugerverkäufer und Fachmann für frische Identitäten ließ schon Saul Goodman und Walter White in der Serie erfolgreich neu anfangen. Seine Dienste haben allerdings ihren Preis.

Moment mal, war das in der Serie?
Der Grundplot von "El Camino" kommt "Breaking Bad"-Kennern bekannt vor: Ein manischer Verfolgter sucht Geld. Jesse stellt erst die Wohnung seines ehemaligen Peinigers Todd (Jesse Plemons) auf den Kopf und als die gefundene Beute nicht reicht, schaut er noch bei ein paar alten Bekannten vorbei.
Dass jede seiner Stationen mit irgendeiner Serienfigur zu tun hat, gibt Gilligan Gelegenheit, bewährte Erzählmittel aus der Serie einzubringen. Kunstvolle Kamerawinkel gehören natürlich dazu, vor allem aber verschaltet er Jetztzeit und Rückblenden immer wieder so miteinander, dass man sich kurz nicht sicher ist, ob man eine Szene in der Serie schon einmal gesehen hat.
Manchmal verraten sichtlich gealterte Schauspieler den Kniff, manchmal nicht. Worauf jetzt schon wieder angespielt wird, erschließt sich auch nicht immer sofort. Und angespielt wird viel in "El Camino" – etwa auf eine Schweißer-Firma, die in der Serie mal kurz am Rande vorkam, in "El Camino" aber ziemlich zentral ist. Da müssen selbst Fans nachschlagen.
Schaulaufen ohne Umwege
Das Schaulaufen in den Rückblenden ist pures Crowdpleasing – selbst Jesses tragisch verstorbene Freundin Jane (Krysten Ritter) und Schrottplatzbesitzer Old Joe (Larry Hankin) haben Auftritte. Und ja, natürlich ist auch Walter White in einer gelungenen nostalgischen Szene noch einmal dabei. Die Rückschau trägt aber naturgemäß wenig dazu bei, die Gegenwart voranzutreiben. Und weil die Sympathien von Anfang an klar bei Jesse liegen, das Happy End also unausweichlich ist, fehlt der filmische Spannungsbogen.

"El Camino" wirkt daher nicht wie ein Film, sondern wie eine Reihung von Szenen, die das eigentlich perfekte Ende von "Breaking Bad" ausschmücken, abfedern und noch etwas abschließender machen. Es ist kein Zufall, dass Jesse am Ende von "El Camino" wieder im Auto sitzt und ins Ungewisse fährt – nur, dass ihn jetzt eben eine schönere Zukunft erwartet. Solche Spiegelungen können Gilligan und sein Team gut und als Fan freut man sich schon allein über die Handwerkskunst in der Inszenierung.
Das wäre doch nicht nötig gewesen ...
"Gebraucht" im erzählerischen Sinne hätte es "El Camino" aber nicht. Alles, was passiert, ist letztlich ein bisschen egal – ein filmisches Achselzucken, das trotzdem ein gutes Gefühl hinterlässt: Der Film nimmt ernst, dass "Breaking Bad" eigentlich auserzählt war. Er verhebt sich nicht an einer zu großen Story und spart sich reißerische Enthüllungen oder Twists. Wenn er Ereignisse aus der Serie aufgreift, sind die neuen Informationen unspektakulär – dass Walter White wirklich tot ist, haben wohl nur Reddit-Foristen noch einmal ausbuchstabiert gebraucht.

Als wirklich endgültiges Finale einer genialen Serie und unaufgeregter letzter Abschwung in Jesse Pinkmans persönlichem "redemption arc" hat "El Camino" eine Daseinsberechtigung. Jetzt darf aber auch wirklich Schluss sein – und "Better Call Saul" als wirklich würdiges Nachfolge-Prequel endlich in die nächste Staffel gehen.