"Far Cry New Dawn" malt die Spielwelt aus "Far Cry 5" in grellen Farben an und streut etwas Endzeit-Flair sowie neue verrückte Schurken ein. Reicht das für ein stimmiges Sequel? Ich habe das generalüberholte Hope County mit dem Sägeblattwerfer im Anschlag durchstreift – hier liest Du meinen Test.
- Setting: Nach dem Ende geht's weiter wie vorher
- Spielwelt: Alles so schön bunt hier!
- "Far Cry" und Postapokalypse: Ein perfektes Duo
- "Far Cry New Dawn" verfeinert die Ubisoft-Formel
- Das Unvermeidliche: Mehr RPG im FPS
- Schlaue Systeme im Dienste der Kurzweil
- Fazit: "Far Cry 5 Reloaded" – nicht mehr, aber auch nicht weniger
Leidenschaftlichen Zynikern bereitete "New Dawn" schon vor dem Release reichlich Freude: Billiger als ein bunter Reskin des Vorgängers wird's nicht, oder? Und in Zeiten, in denen in Hoffnungen auf einen guten Endzeit-Shooter ein "Fallout 76"-förmiges Loch klafft, ist ein postapokalyptisches "Far Cry" doch eine bombensichere Bank! Die Abzocke-Vorwürfe waren schnell da, nun muss das Spin-off beweisen, dass es Spaß bringen und aus seiner recycelten Karte etwas Eigenes machen kann.
Setting: Nach dem Ende geht's weiter wie vorher
Die Story in aller Kürze: 17 Jahre nach den Atomschlägen am Ende des Vorgängers sind der Gegner nicht mehr Joseph Seed und sein Weltuntergangskult, sondern die anarchischen Schwestern Mickey und Lou. Die führen eine Gang namens "The Highwaymen" an, die Hope County fest im Griff hat und den sonstigen Überlebenden in der provisorischen Siedlung Prosperity das Leben zur Hölle macht. Klar, dass ich mal wieder als Außenstehender in den Konflikt gerate und alles regeln muss – ist schließlich "Far Cry".

Es gibt nun zwei Wege, sich einem neuen Spiel der traditionsreichen Shooter-Serie zu nähern: Einerseits über das Gameplay, das typischerweise explosiv ausfällt und von chaotisch eskalierenden Massenschlachten lebt. Andererseits über die bierernsten (und reichlich brutalen) Stories, die vom Marketing des Publishers Ubisoft ständig betont werden und die typischerweise eine Tiefe vorgaukeln, die einfach nicht vorhanden ist. Der Spagat zwischen beidem geht in der Regel schief, schlimm ist das aber nicht: In der Sparte "spielbarer Actionfilm der Marke 'Dumm aber lustig'" braucht "Just Cause" schließlich auch etwas Konkurrenz.
Spielwelt: Alles so schön bunt hier!
Es überrascht daher nicht, dass das postapokalyptische Design in "Far Cry New Dawn" vor allem ein Anlass für gepflegtes Freidrehen ist. Die im atomaren Regen gegen jede Erwartung aufgeblühte Landschaft strotzt vor Leben und ist auf unverbrauchte Art und Weise wirklich schick. Die Stützpunkte der Highwaymen sind wilde Containerbauten voller farbenfroher Graffiti. Ich baue skurrile Waffen mit witzigen Namen – darunter eine Sägeblätter verschießende Armbrust – und setze mich in abgefahrene Vehikel wie einen aufgemotzten Traktor oder einen schwer gepanzerten Truck.

Weil "New Dawn" relativ kurz nach dem Zusammenbruch der Zivilisation spielt, ist natürlich nicht viel Platz für grotesk mutierte Kreaturen, denn dafür ist der Untergang einfach noch nicht lange genug her. Deswegen müssen ein paar Albino-Hirsche mit buntem Geweih und Büffel mit seltsamer Fellfarbe reichen – das ist okay, aber eben auch keine große Änderung im Vergleich zur Tierwelt von "Far Cry 5".
"Far Cry" und Postapokalypse: Ein perfektes Duo
Die großen philosophischen Fragen der Endzeit, die etwa die "Fallout"-Reihe satirisch pointiert diskutiert, stellen sich hier höchstens als Andeutung im klassischen Gut-gegen-Böse-Konflikt. Dabei fühlt sich das Setting wie eine natürliche Entwicklung, fast wie ein Nachhausekommen an. "Far Cry"-Games waren schließlich schon immer irgendwie postapokalyptisch: Sie spielten stets in Szenarien, in denen die übliche Ordnung durch irre Overlords abgeschafft wurde. Ob das nun Pagan Min im Himalaya, Joseph Seed in Montana oder jetzt eben Mickey und Lou sind, macht kaum einen Unterschied. Böse gesagt: Es ändert sich vor allem das Aussehen der Schergen, die mir vor die Flinte laufen.
- Plattformen: PC, PS4, Xbox One (getestet auf PS4 Pro)
- Release: 15. Februar 2019
- Besonderheiten: Spin-off-Sequel zu "Far Cry 5", Koop-Modus für alle Inhalte
- Performance auf Konsolen: 1080p/30 FPS (PS4, Xbox One), 4K/30FPS (PS4 Pro, Xbox One X)
- USK: keine Jugendfreigabe
- Optionale Mikrotransaktionen: Ja (für kosmetische & spielentscheidende Items)
Wenn man nur aufs Gameplay schaut, ist das aber eh weitgehend egal: Haufenweise "Mad Max"-Karikaturen in quietschbunten BMX-Rüstungen zum Hip-Hop-Soundtrack mit halb-improvisierten Wummen umzumähen, hat einen ordentlichen Unterhaltungswert. Wer einen Ego-Shooter mit knackigem Gameplay in hübscher Open-World sucht, ist hier eben immer noch richtig. Lager voller Gegner mit schwerem Gerät aufzumischen macht einen Riesenspaß – vor allem, weil Angriffe stets blitzschnell von vermeintlich gut geplanten Hinterhalten zu absurden Schlachten skalieren.

"Far Cry New Dawn" verfeinert die Ubisoft-Formel
Dazu hat Ubisoft seine Erfolgs-Formel für Fortschritt in offenen Spielwelten weiter optimiert. Das Vorankommen in "Far Cry New Dawn" wird zum Teil über den schrittweisen Ausbau der Basis Prosperity gesteuert: Ich ziehe über die Karte, plündere Gegner aus und stecke die erbeuteten Ressourcen in verschiedene Gebäude, wie die Waffen-Werkbank oder die Garage. Ab einem bestimmten Ausbau-Fortschritt geht die Hauptstory weiter, wie ich dorthin komme, ist mir völlig selbst überlassen. An anderen Stellen der Geschichte habe ich es dagegen selbst in der Hand, die entsprechende Quest anzunehmen. Insgesamt ist das System deutlich eleganter als die ständigen Entführungen in "Far Cry 5".

Das Unvermeidliche: Mehr RPG im FPS
Neue Rollenspiel-Elemente, durch die mir Gegner, herstellbare Waffen, Gegenstände und selbst Wildtiere in vier verschiedenen Stufen präsentiert werden, sorgen dazu für erhöhten Wiederspielwert. Ich kann ein Lager nach der Eroberung zum Beispiel als Schnellreisepunkt behalten oder aber komplett leerräumen, woraufhin sich Gegner höherer Stufen dort niederlassen und für noch mehr Beute erneut besiegt werden können. Waffen niedriger Stufen verursachen bei Gegnern höherer Stufen außerdem weniger Schaden, was ständiges Aufrüsten notwendig macht.

Wer unrealistische Nebeneffekte von RPG-Systemen (vor allem die berüchtigten "Bullet-Sponges" und fliegende Schadensnummern) nicht mag, wird das nicht als Verbesserung empfinden. Und ja: Es nervt, wenn man auf dem Weg durch die Wildnis plötzlich von einem unnatürlich mächtigen Puma angefallen wird, gegen den das eigene Arsenal kaum etwas ausrichtet. Dass das System Motivation zum Weiter- und Nochmal-Spielen mit sich bringt und "Far Cry New Dawn" einen reizvollen Loop aus Sammeln, Craften und – natürlich – Ballern beschert, lässt sich aber nicht bestreiten.
Schlaue Systeme im Dienste der Kurzweil
Überhaupt gibt mir das Spiel echt viel zu tun: Neben großen und kleinen Gegnerlagern gibt es schließlich auch noch Nebenquests, in denen ich vor allem alte Mitstreiter aus "Far Cry 5" wieder rekrutieren muss, woraufhin sie mich auf Wunsch im Kampf unterstützen. Dazu kommen Schatzsuchen und ständig aufploppende kleine Events, in denen ich Versorgungslieferungen kapere oder Gefangenentransporte der Highwaymen abfange. Im Rahmen der sogenannten "Expeditionen" kann ich Hope County zudem per Hubschrauber verlassen und Mickey und Lou auf einem alten Flugzeugträger oder in einem überwucherten Vergnügungspark um ihre Ressourcen bringen.

Und dann gibt es da eben auch immer noch die alles überspannende Hauptstory von gewohnt mittlerer Qualität, die ziemlich konventionell beginnt, sich dann aber mit Anlauf in eine irrwitzige Odyssee wirft, bei der ein alter Bekannter, bewusstseinserweiternde Drogen und mutierte Äpfel tragende Rollen spielen. Dass das bei so viel Ablenkung fast schon in den Hintergrund gerät, spricht Bände über die Vielfalt der sonstigen Beschäftigungsmöglichkeiten.
Fazit: "Far Cry 5 Reloaded" – nicht mehr, aber auch nicht weniger
Die Spielwelt mögen die Macher aus "Far Cry 5" kopiert, neu bemalt und sogar etwas verkleinert haben. An so gut wie allen anderen Punkten haben sie aber angebaut – und das macht "Far Cry New Dawn" zu einem ungemein kurzweiligen Spin-off, das sich vor seinem Vorgänger nicht verstecken muss. Tiefschürfende Meditationen über den Zustand der Menschheit im Angesicht der Apokalypse sollte man hier nicht erwarten und der düstere Ton der Zwischensequenzen kollidiert auch äußerst unschön mit dem Hirn-aus-Feuer-frei-Gameplay. Aber das wissen "Far Cry"-Kenner ja eh schon.
Das hat mir gut gefallen | Das hat mir weniger gefallen |
+ spaßiges, explosives Shooter-Gameplay | - mäßige Story und Abziehbild-Charaktere |
+ schöne Open-World und interessantes Design | - tonaler Kontrast zwischen spaßiger Action und brutaler Story |
+ hoher Wiederspielwert durch Crafting, Expeditionen und neue RPG-Systeme | - RPG-Systeme sorgen für teils frustrierende Bullet-Sponge-Erlebnisse |