Google Pixel 5 im Test: Das Anti-Flaggschiff-Flaggschiff

Franziska Peix26. NOVEMBER 2020
Das Google Pixel 5 aus der Vogelperspektive auf einem Tisch mit den Buchstaben G, O, O, G, L, E.

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Das neue Google Pixel 5 ist anders als alle Pixel-Phones zuvor. Inwiefern Google seine Strategie mit dem neuen „Flaggschiff“ verändert hat und warum man das Android-Smartphone dennoch nicht sofort abschreiben sollte, verrate ich dir im Test.

Jahrelang hat Google in der Smartphone-Oberklasse mitgemischt. Es gab jährlich ein neues Pixel-Phone, das es mit dem jeweils aktuellen iPhone und den unzähligen Android-Flaggschiffen da draußen aufgenommen hat. Mitte 2019 folgte dann das Pixel 3a, ein technisch abgespecktes Pixel 3 für die Mittelklasse – mit Erfolg. Für circa 450 Euro weniger gab es viel Technik aus dem Flaggschiffmodell des Vorjahres, das kam an.

Die Enttäuschung beim Launch des nächsten Flaggschiffs war dafür umso größer. Das Pixel 4 wirkte wie ein unausgereiftes Technikexperiment und versagte in wichtigen Punkten wie der Akkulaufzeit. Die Enttäuschung ging so weit, dass darüber diskutiert wurde, ob Google die Pixel-Reihe überhaupt fortführen sollte (wobei mein Kollege Patrick in seinem Test des Pixel 4 nicht so weit ging). Die Pixel-Reihe wurde nun fortgeführt – aber anders als zuvor.

Schwierige Abgrenzung zum Google Pixel 4a

Die neue Ausrichtung des Google Pixel 5 als gehobene Mittelklasse kommt allerdings zu einem denkwürdigen Zeitpunkt: Das diesjährige „Flaggschiff“, mit dem sich Google eigentlich aus dem Flaggschiff-Wettbewerb verabschiedet, erschien nur kurze Zeit nach dem Pixel 4a, das sich noch deutlicher in der Mittelklasse einordnet.

Das Google Pixel 5 mit geöffnetem Web-Browser.

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Zudem kündigte Google auf seinem Hardware-Event Ende September das Pixel 4a 5G an, das ebenso wie das neue Google Pixel 5 das schnelle 5G-Netz unterstützt. Die Abgrenzung der verschiedenen Google-Neuheiten fällt also gar nicht so leicht. Daher schauen wir uns im Folgenden das diesjährige Topmodell von Google noch einmal ganz genau an.

Design: Aluminium, das sich nach Plastik anfühlt?

Neu beim Pixel 5 ist zum Beispiel das Design. Während Google seiner grundlegenden Linie treu bleibt und alles immer etwas anders macht als der Smartphone-Mainstream, kommt dieses Jahr ein anderes Material zum Einsatz. Das Gehäuse des Pixel 5 besteht laut Hersteller zu 100 Prozent aus recyceltem Aluminium.

Moment mal! Das Pixel fühlt sich gar nicht danach an. Das liegt daran, dass zusätzlich ein Deckglas verwendet wurde. Aber auch an Glas denkst du nicht zuerst, wenn du das Google-Phone in die Hand nimmst. Mir persönlich gefällt die Haptik, die eher an Kunststoff-Handys erinnert.

Der USB-C-Anschluss des Google Pixel 5 in der Nahaufnahme.

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Netter könnte man sagen: Die Rückseite des Pixel 5 fasst sich wie Papier leicht rau an. Das macht sie nicht nur unempfindlich für Fingerabdrücke. So liegt das Smartphone auch sicherer in der Hand als die glatten 1.000-Euro-und-aufwärts-Boliden von Samsung und Apple.

Das Pixel 5 ist in zwei Farben erhältlich: Just Black und Sorta Sage, einem pastelligen Mintgrün. Der Power-Button sticht farblich nicht mehr so deutlich hervor wie noch beim Pixel 4. Wer diesen Look vermisst, kann aber ein passendes Google-Textilcase nutzen, das in meinen Augen ebenfalls ein echter Handschmeichler ist.

Display: Das Pixel-Phone mit den schmalsten Rändern

Mit dem Pixel 5 hat Google zudem etwas geschafft, womit sie bislang noch hinterherhinkten. In der Vergangenheit haben wir die Pixel-Phones häufig dafür kritisiert, dass das Design nicht ganz zeitgemäß war. Vor allem die Displayränder fielen lange Zeit deutlich größer aus als bei der Konkurrenz. Beim Pixel 5 ist das zum Glück nicht mehr der Fall.

Der 6 Zoll große OLED-Screen findet in einem kaum größeren Gehäuse Platz. Die Ränder fallen zu den Seiten sowie oben und unten endlich gleich klein aus und die Frontkamera kommt unauffällig in einem kleinen runden „Punch Hole“ in der oberen linken Ecke unter.

Schrägperspektive auf ein auf einem Tisch liegenden Google Pixel 5.

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Zeitgemäß ist auch die Displaytechnologie. Der OLED-Screen bietet eine Full-HD+-Auflösung von 1.080 x 2.340 Pixeln, eine Always-On-Funktion, eine Bildwiederholungsfrequenz von 90 Hz und unterstützt HDR. Damit ist das Pixel 5 in der oberen Mittelklasse durchaus konkurrenzfähig.

Performance: Hardware vs. Software

Als Pluspunkt rechne ich Google den Verzicht auf Experimente beim Pixel 5 an. Es fühlt sich in diesem Jahr nicht mehr an, als würde der Konzern alles an Hardware in sein Topmodell packen, woran die Ingenieure gerade werkeln.

Es gibt keine fragwürdigen Features mehr à la drückbarer Rand für den Google Assistant oder die Gestensteuerung mittels Radar. Auf Letzteren hat Google in diesem Jahr komplett verzichtet, statt der Gesichtserkennung gibt es wieder einen soliden Fingerabdrucksensor auf der Rückseite. Das ist nicht innovativ, funktioniert aber.

Das Google Pixel 5 mit einer Übersicht zur 5G-Funktion.

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Deutlich bemerkbar macht sich der Paradigmenwechsel bei der Wahl des Prozessors. Statt eines Oberklasse-Chips kommt im Pixel 5 ein Mittelklasse-Prozessor zum Einsatz. Der Snapdragon 765G ist immerhin 5G-fähig und wird von 8 GB Arbeitsspeicher unterstützt, für Pixel-4-Besitzer würde der Wechsel aufs neue Modell aber einen Performance-Rückschritt bedeuten.

Bei einem Geekbench-5-Test schlug das Pixel 5 zwar mein Pixel 3 – allerdings nur im Single-Core-Test. Der Multi-Core-Score fiel bei meinem zwei Jahre alten Pixel höher aus als beim neuen Smartphone. In anderen Tests wurde das Topmodell sogar vom günstigeren Pixel 4a mit Snapdragon 730 abgehängt.

Geekbench-Vergleich zwischen Google Pixel 3 und Pixel 5.

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Allerdings muss ich das nach meinem Test alles etwas relativieren. Wenn man heutzutage von langsam und schnell spricht, dann doch meist auf einem sehr hohen Niveau. In der Benutzung des Pixel 5 konnte ich kaum Unterschiede zum Alltag mit dem Pixel 3 feststellen, mit dem ich immer noch zufrieden bin. Für Hardcore-Handyfilmer mit Ambitionen zur mobilen Videobearbeitung und Mobile Gamer ist das Pixel 5 vielleicht nichts. Für fast alle anderen – zumindest leistungstechnisch – schon.

Das hat sicher auch damit zu tun, dass Google-Handys die reinste Android-Version bekommen. Der Fokus liegt beim Pixel 5 stärker denn je auf dem, was Google gut kann: Software. Das macht das aktuelle Pixel-Phone ausgesprochen nutzerfreundlich. Android 11 läuft smooth und macht Spaß. Nicht zu vergessen: Google verspricht drei Jahre Updates für das Smartphone. Du hast also nicht nur jetzt ein aktuelles Gerät, sondern wirst es – zumindest softwareseitig – auch 2023 noch haben.

Kamera: Hardware vs. Software ... again

Bei der Kamera kann ich mich eigentlich nur wiederholen: Die Software ist top, die Hardware naja. Im Google Pixel 5 steckt nämlich ein Kamerasensor von Sony, der mittlerweile vier Jahre auf dem Buckel hat. So kriege ich die Frage nicht aus meinem Kopf, wie gut die Kamera des Pixel mit aktueller Hardware wohl wäre.

Das Google Pixel 5 mit geöffneter Foto-App.

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Versteh mich nicht falsch: Die Hauptkamera macht einen wirklich guten Job. Lobenswert finde ich etwa die Entscheidung, die Telefotolinse des Pixel 4 gegen eine Ultraweitwinkellinse zu tauschen. Das Pixel 5 besitzt eine 12,2-Megapixel-Hauptkamera mit optischer Bildstabilisierung und eine 16-Megapixel-Linse für Weitwinkelaufnahmen. Damit bekommst du besonders viele Freunde, besonders viel Landschaft oder besonders viel von einem engen Raum aufs Bild.

Die Hauptargumente für die Pixel-Kamera liefert aber wieder die Software. Googles Nachtsicht-Modus beispielsweise knipst erstaunlich tolle Fotos bei wenig Licht und mit dem Astrofotografie-Modus kannst du sogar den Sternenhimmel fotografieren.

Porträtfotos kannst du dank der Software auch ohne Telefotolinse schießen – die Ergebnisse sind im Schnitt gut, hier und da gibt es einige Ausreißer, bei denen der Übergang zwischen Vorder- und Hintergrund nicht richtig erkannt wird. Für Porträts gibt es außerdem neue Bearbeitungsoptionen, etwa die Möglichkeit, die Beleuchtung im Nachhinein für einzelne Bildbereiche zu optimieren und das Gesicht hervorzuheben.

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Videos lassen sich jetzt erstmals mit einem Pixel auch in 4K60fps aufnehmen. Das Pixel 5 setzt immer noch auf einen Mix aus optischer und elektronischer Bildstabilisierung, die Software bringt aber auch hier neue Funktionen mit. Zum Beispiel einen Cinematic-Pan-Modus – im Deutschen schlicht: Kinoeffekt – für cinematische Schwenks ohne Ton. Die Kamerafahrten werden stabilisiert, langsamer abgespielt und wirken dadurch sofort dramatischer.

Aber: Aus der Riege der Top-Kamera-Smartphones muss sich Google wohl so langsam verabschieden. Die höherpreisige Konkurrenz bietet mittlerweile einfach mehr. Mehr Linsen, mehr Auflösung, mehr Zoom oder andere Features. Bei DxOMark landet das Pixel 5 daher im Mittelfeld der aktuellen Smartphones und schneidet nur noch bei den Kamera-Basics wie Belichtung, Farbwiedergabe und Autofokus überdurchschnittlich ab.

Einen Vorsprung auf die Konkurrenz, wie ihn die Pixel-2-Kamera noch hatte, hat Google längst nicht mehr. Bleibt die Frage, was wäre, wenn der Hersteller beim nächsten Pixel auch die Kamera-Hardware endlich aufrüstet.

Akku: Macht alle Pixel-4-Käufer neidisch

Wenig Kritik bekommt der Akku des Pixel 5 ab. Der Energiespeicher des neuen Modells fasst mindestens 4.000 mAh – warum mindestens? Aufgrund einer Produktionspanne kann der Hersteller nicht sagen, wie viel der Akku jedes einzelnen Pixel-Exemplars genau fasst. Die Spanne liegt jedoch nur bei 4.000 bis 4.080 mAh. Das sollte in jedem Fall für einen Tag regulärer Nutzung reichen, dank der schlauen Software ist mit einigen Einstellungen auch hier noch einmal deutlich mehr drin.

Google Pixel 5 mit Übersicht zu Reverse Charging.

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Der Hauptkritikpunkt am Pixel 4, nämlich seine unterdurchschnittliche Akkulaufzeit, wurde also ausgemerzt. Gleichzeitig hat Google es geschafft, dass Pixel 5 Wireless-Charging-fähig zu halten – trotz seines Gehäuses aus Aluminium. Das neue Pixel-Phone lädt zwar nicht so schnell wie andere aktuelle Android-Smartphones. Das ist aber ein Abstrich, den ich für den gesunkenen Preis gerne mache. Und hey, liebe Pixel-4-Besitzer, dank der Akku-teilen-Funktion könnt ihr euch bei Pixel-5-Nutzern ja etwas Akku schnorren.

Fazit: Ein Schritt zurück in die richtige Richtung

Das Pixel 5 ist anders als seine Vorgänger. Es ist Googles Topmodell für dieses Jahr, mischt aber nicht mehr in der Smartphone-Oberklasse mit. Statt es also mit dem neuen iPhone 12 zu vergleichen, ist eine Gegenüberstellung mit dem iPhone 11. Das Pixel 5 kostet beim Hersteller aktuell 613,14 Euro und sucht sich damit einen Platz in der oberen Mittelklasse.

Doch das ist gar nicht so einfach. Es gibt Smartphones in dieser Klasse, die ähnlich viel kosten, aber mehr bieten – zum Beispiel das Samsung Galaxy S20 FE, das iPhone 12 mini oder das OnePlus 8T – oder die ähnlich viel bieten, aber weniger kosten – zum Beispiel das Samsung Galaxy A71 oder das OnePlus Nord.

Die größte Konkurrenz für das Pixel 5 kommt aber vermutlich aus dem eigenen Hause. Das nur kurz zuvor präsentierte Pixel 4a bringt fast dieselben Features mit und das Pixel 4a 5G unterstützt sogar 5G. Wer auf die hochwertigere Haptik und das schickere, schlankere Design des Pixel 5 verzichten kann, spart hier bis zu 270 Euro.

Auf dem Google Pixel 5 läuft ein TURN-ON-YouTube-Video.

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Trotz der durchwachsenen Berichte, was die Leistung des Pixel 5 angeht, gebe ich das neue Google-Phone nach dem Test nur ungern wieder her. In meinen Augen zeigt Google mit dem Pixel 5, dass ein Schritt zurück manchmal gar nicht so verkehrt ist.

Statt auf Krampf innovative, teils unausgereifte Hardware zu verbauen, besinnt sich der Konzern auf das Wesentliche. Die Software ist es, die das Android-Smartphone extrem nutzerfreundlich und zukunftssicher macht. Beim Pixel 5 könnte man sagen: Denke nicht nur an das Smartphone, das du heute kaufst, sondern an das, das du in ein bis zwei Jahren noch haben willst. Softwareseitig wird das Pixel-Phone noch lange aktuell bleiben. Nur über die Kamera müssten wir wirklich noch einmal reden, Google ...

Das hat mir gut gefallen

  • Body aus recyceltem Aluminium mit leicht rauer Papier-Haptik
  • schöner Formfaktor dank schmaler Displayränder
  • Kamera-Software mit vielen Optimierungsoptionen
  • drei Jahre sichere Android-Updates
  • lange Akkulaufzeit
  • Wireless und Reverse Charging

Das hat mir weniger gefallen

  • vergleichsweise langsamer Prozessor
  • veralteter Kamerasensor
  • nur eine Speicheroption (128 GB) verfügbar
  • zweifelhafte Produktpolitik (Pixel 5 vs. 4a vs. 4a 5G)
  • höherer Preis als technisch vergleichbare Konkurrenz

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