Er kam aus dem Nichts und revolutionierte praktisch über Nacht ein Genre: Ari Aster hat mit "Hereditary" und "Midsommar" zwei der besten Horrorfilme des vergangenen Jahrzehnts abgeliefert. Wer ist der Mann mit der Vorliebe für emotionalen Terror? Und was macht seine Filme so unverwechselbar? Ein Porträt.
- Kubrick, Polański ... Aster?
- Unglaublich, aber wahr: Horror ohne Jumpscares!
- Drama, Baby
- Wenn Angst der ständige Begleiter ist
- Der Horror des Schlussmachens
- Schrecklich schön und schön schrecklich
Kubrick, Polánski ... Aster?
Wer auch nur minimalstes Interesse an Horrorfilmen hat, dürfte den Namen Ari Aster zumindest schon einmal aufgeschnappt haben – es gibt wohl keinen anderen Autoren und Regisseur des Genres, der in so kurzer Zeit einen derart kometenhaften Aufstieg hingelegt hat. Und das mit nur zwei Spielfilmen! Einige Filmfreunde bezeichnen Aster sogar als Horror-Heilsbringer, sein Kinodebüt "Hereditary" wird oftmals in einem Atemzug mit absoluten Klassikern wie "Shining" und "Rosemaries Baby" genannt.
Woher kommt diese Begeisterung? Was haben Asters Filme, was andere nicht haben? Die einfachste – und unbefriedigendste – Antwort: Sie sind einfach anders.

Unglaublich, aber wahr: Horror ohne Jumpscares!
Horrorfilme sind seit einigen Jahren wieder schwer in Mode und lassen die Kinokassen klingeln. Der erste Teil von Stephen Kings "Es" gilt als erfolgreichster Horrorfilm aller Zeiten, die enorm beliebten "Conjuring"-Sequels und -Spin-Offs haben aus einer im Grunde sehr simplen Gespenstergeschichte ein regelrechtes Filmuniversum gemacht. Und je mehr wir von diesem "neumodischen" Horror sehen, desto mehr fällt auf: Die sehen irgendwie alle gleich aus. Und fühlen sich auch so an.
Die meisten jüngsten Horror-Blockbuster setzen auf schicke Optik, überdreht-spektakuläre Bösewichte (die sich, natürlich rein zufällig, klasse vermarkten lassen) und vor allem auf Jumpscares. Kein moderner Horrorfilm ohne Jumpcares. Du kennst das: Der Film wird verdächtig leise, ein paar Sekunden passiert nichts auf der Kinoleinwand – und dann wird es ganz plötzlich ohrenbetäubend LAUT, etwas Gruseliges passiert, und wir verschütten vor Schreck das Popcorn. Das ist nicht kunstvoll oder clever, es nervt, und zwar tierisch – zumindest mich.

Drama, Baby
Ari Aster denkt Horror neu. "Hereditary" von 2018 ist ein waschechter Horrorfilm mit einigen der entsetzlichsten Einstellungen der jüngeren Vergangenheit – und gleichzeitig ein niederschmetterndes Drama, das die Zersetzung einer Familie beschreibt. Tatsächlich zeigte Aster seiner Crew zum Drehstart als Referenz keine anderen Horrorfilme, sondern schwere Tragödien wie Ang Lees "Der Eissturm" von 1997. "Der Film sollte sich böse anfühlen", erklärte der Ari Aster in einem Interview. Das ist ihm eindeutig gelungen.
In "Hereditary" fühlt der Zuschauer vom ersten Moment an die Schlinge, die sich langsam, unendlich langsam zuzieht und das schockierende Finale rückblickend unausweichlich macht. Wie die Figuren in den Puppenhäusern, die Annie Graham (Toni Collette mit einer oscarwürdigen Performance) liebevoll modelliert, sind auch die handelnden Personen nur Spielbälle einer finsteren Macht – was weder der unglücklichen Familie Graham noch dem Zuschauer zunächst bewusst ist.
Der langsame Wandel von einem häuslichen Drama zu einem abgrundtief schwarzen Alptraum vollzieht sich schleichend und mit tödlicher Konsequenz. Aster wollte laut eigener Aussage mit "Hereditary" einen Horrorfilm drehen, wie er ihn selbst gern sehen würde – keine billigen "Buh!"-Erschreckszenen, kein albernes CGI-Monster, sondern pure emotionale Folter. Und was ist grauenvoller, als machtlos ansehen zu müssen, wie alles zerfällt, was man liebt?

Wenn Angst der ständige Begleiter ist
Ari Aster sagt von sich, dass er ein fortwährendes, unbestimmtes Gefühl der Angst habe. Die düstere Gewissheit, verdammt zu sein, bezeichnet er als "Grundrauschen" in seinem Leben. Das bedeutet zum einen, dass ihm der Stoff für deprimierende Horrortragödien so schnell nicht ausgehen wird – tatsächlich hat er rund zehn fertige Filmskripte herumliegen. Und zum anderen, dass folgerichtig auch der Nachfolger von "Hereditary" ein filmischer Schlag in die Magengrube ist.
"Midsommar", bei uns ab 26. September in den Kinos, erzählt von der Studentin Dani (Florence Pugh), die eine grauenvolle Familientragödie verarbeiten muss. Um auf andere Gedanken zu kommen, reist sie mit ihrem Freund und dessen Kumpels nach Schweden. Eine ländliche Gemeinde feiert dort gerade das Sommersonnenwendefest (was für ein Wort). Und wer jemals DEN Kultfilm des Folk-Horror-Genres, "The Wickerman" von 1973, gesehen hat, der ahnt schon: Die heidnischen Rituale halten eine makabere Schlusspointe für Dani und ihre Freunde bereit.

Der Horror des Schlussmachens
Einige Kritiker sind von "Midsommar" ziemlich enttäuscht. Sie bemängeln, dem Film würde das Überraschungsmoment fehlen, das "Hereditary" so unberechenbar und so unheimlich macht. Und es stimmt ja auch: Für jeden Genrefan ist von Anfang an klar, dass die anthropologische Völkerkunde in "Midsommar" für die amerikanischen Studenten nicht gut ausgehen wird. Das ist und war aber nie der Punkt. Aster setzt als gegeben voraus, dass nicht alle Protagonisten das Ende des Films erleben werden – Du weißt das, er weiß das, wir alle wissen das. In "Midsommar" geht es aber um etwas anderes.
"Midsommar" ist die Geschichte einer zerbrechenden Beziehung, ein Schauermärchen über das Schlussmachen. Die emotional angeknackste Dani und ihr distanzierter Freund Christian, die Hilf- und Sprachlosigkeit, die dem Ende einer Liebe vorausgeht – Aster seziert das Trauma einer gescheiterten Beziehung und spiegelt es in ähnlich traumatischen Bildern. Die sonnendurchfluteten Einstellungen erzeugen eine fast träumerische Leichtigkeit, die langsam abrutscht, erst ins Skurrile und schließlich in einen reinrassigen Alptraum.
Außenstehenden mögen die emotionalen Tiefen in der Endphase einer Beziehung zwischen zwei Menschen kaum nachvollziehbar erscheinen, egozentrisch und irrelevant und ein bisschen kindisch. Aber steckst Du mittendrin, ist es die Apokalypse.

Von einem hypnotischen Klangteppich und dynamischer Kameraführung begleitet verlieren wir gemeinsam mit Dani langsam die Kontrolle über das, was wir zu wissen glauben. Aster verwischt die Grenzen zwischen Realität und Halluzination mit bizarren Verfremdungseffekten, sodass wir uns irgendwann nicht mehr sicher sind: Passiert das groteske Geschehen wirklich oder nur in Danis Kopf?
Schrecklich schön und schön schrecklich
Der Schluss schlägt dann thematisch eine Brücke zurück zu "Hereditary" und beweist endgültig, dass Ari Aster ein Genie ist: Wir werden Zeuge brutalster Grausamkeiten – und haben das fast schon perverse Gefühl, gerade ein Happy End zu sehen. Diese Ambivalenz ist es, die "Midsommar" so eindringlich macht, die den Film so lange nachwirken lässt. Trauer, Verlustangst, Hilflosigkeit und Wut, vielleicht sogar Hass – all das bricht sich am Ende Bahn, und doch entlassen uns die letzten Einstellungen mit einem versöhnlichen, beinahe sogar bestärkenden Gefühl. Ari Aster findet Schönheit im Schrecken und Schrecken im Schönen – schwächere Filmemacher wären an dieser diffizilen Aufgabe krachend gescheitert.

Mit nur zwei Filmen hat sich Ari Aster als einer der talentiertesten, aufregendsten und eigensinnigsten Regisseure des Horrorgenres etabliert. Seine Filme handeln von emotionalen Narben, die wir erlitten haben, von Kontrollverlust, von der Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit und von einer idealisierten Vorstellung von Familie, wie verdreht und monströs sie Außenstehenden auch erscheinen mag. Und da er seine eigenen Krisen stets als Inspiration nimmt, hat Aster sicherlich noch einige emotionale Dampfhämmer für uns in petto – auch wenn Film Nummer drei gern ohne einen sinisteren Kult religiöser Fanatiker auskommen darf.
Also, Ari: Bitte mach noch lange nicht Schluss – wir Horrorfans brauchen Dich!