Nachdem wir in Folge 4 den Aeronauten Lee Scoresby und Panzerbär Iorek Byrnison kennenlernen durften, bringt Folge 5 von "His Dark Materials" direkt zwei weitere wichtige Neuzugänge ins Spiel. Vorerst bleiben die beiden allerdings eine Randnotiz, denn letztlich dreht sich in Folge 5 und 6 alles um Dæmonen – oder deren Abwesenheit. Die Umsetzung dieser zentralen Momente gelingt der Serie mal mehr, mal weniger gut.
- In getrennten Welten
- Die Geister, die sie riefen
- Hinter den Mauern von Bolvangar
- Eine Ballonfahrt, die ist nicht so lustig.
- Fazit
- Gedanken, die mir noch im Kopf herumschwirren
In getrennten Welten
Folge 5 von "His Dark Materials" beginnt mit einer Überraschung: Erstmals sehen wir Will Parry, den "Jungen, dessen Schicksal mit [Lyras] eng verwoben ist", live und in Farbe. Der Teenager und seine Mutter werden von Boreal und seinem Kumpanen beschattet. Eine mutige Entscheidung der Serienmacher! Denn: Hier wird parallel zum eigentlichen Handlungsstrang in Lyras Welt, der Plot des zweiten Romans angerissen und damit gehörig am Zeitstrahl von Autor Philip Pullmans Geschichte gerüttelt.
Fortan springt die Serie immer zwischen Lyras und Wills Welt hin und her. Wir sehen, wie Boreal Wills labile Mutter nach ihrem Mann, John Parry alias Grumman, ausfragt und wie Will sich beim Boxtraining mit einem anderen Jungen prügelt, der seine Mutter für verrückt hält.
Mit schnellen Cuts zwischen Lyras und Wills Leben wird deutlich wie nah und gleichzeitig fern ihre Welten einander sind. Eine kreative Idee – und dennoch wünschte ich mir, Wills Debüt wäre anders inszeniert worden. Die ruhigen Sequenzen, mit denen sein Charakter eingeführt wird, unterbrechen in Folge 5 immer wieder das weitaus spannendere Geschehen rund um Lyra. Mehr als einmal ertappe ich mich dabei, wie ich ungeduldig auf das Ende einer Will-Szene warte.
Die Geister, die sie riefen
Lyra erfährt unterdessen von ihrem Alethiometer von einem "Geist", der in einem nahe gelegenen Fischerdorf umherirrt. Nach anfänglichem Zögern willigen die Gypter schließlich ein, Lyra mit Iorek zum Dorf gehen zu lassen. Dort lauert ein echter Schock – nicht nur für Lyra und Pan, sondern auch für alle Kenner der Buchvorlage. "Der verlorene Junge", von dem im Episodentitel die Rede ist, ist nämlich keinesfalls ein unbekanntes Kind, sondern Billy Costa! Mit Schrecken stellt Lyra fest, dass der Sohn von Ma Costa keinen Dæmon mehr hat und kaum ansprechbar ist. Nun ist klar, welches grausige Schicksal die entführten Kinder in Bolvangar erwartet ...

Trotz der düsteren Szenerie verpulvert "His Dark Materials" hier einiges an emotionalem Schock-Potenzial. Lyras Entsetzen über ihren Fund wird in der Buchvorlage wesentlich deutlicher: Dort muss sie "den Brechreiz unterdrücken" und kann es kaum begreifen, dass sie tatsächlich einen Menschen ohne Dæmon vor sich hat. Auch drückt das verlorene Kind im Roman wimmernd einen toten Fisch als kläglichen Dæmon-Ersatz an sich – für mich eine viel tragischere Inszenierung als das stumpfe Zählen von Billy in der Serie.
Zudem wollen die Roman-Gypter das abgeschnittene Kind zunächst gar nicht berühren, so sehr fürchten sie sich vor einem solch "unnatürlichen" Wesen. Die TV-Show hingegen beschränkt sich auf einen plumpen Erklärungsversuch von Lee: "Es geht um Kontrolle, oder? Denn wenn du jemandem seine Seele wegnehmen kannst, dann kannst du alles tun."
Ma Costa muss unterdessen schmerzlich erkennen, dass ihr Kind mehr tot als lebendig ist, ein Schatten seiner selbst. Schweren Herzens nimmt sie Abschied von dem "Geist", der einst Billy Costa war. Der Junge stirbt – und ich gebe zu: Dieser emotionale Schlag sitzt. Das Wehklagen von Ma Costa würde wohl selbst Mrs. Coulters Eisherz einen Sprung versetzen.
Apropos Geist: Wie ein Geist aus Farder Corams Vergangenheit taucht ganz nebenbei Serafina Pekkala erstmals auf, die Hexe, mit der der alte Mann einst einen Sohn hatte. Serafina erklärt sich allerdings selbst für den kommenden Kampf zur neutralen Schweiz. Das ändert sich jedoch schnell, als Lyra bei Nacht und Nebel verschleppt wird – und in Bolvangar wieder zu sich kommt.
Hinter den Mauern von Bolvangar

Folge 6 widmet sich ganz und gar dem düsteren Gefangenenlager, denn nichts anderes ist Bolvangar. Hier haben die Kulissen- und Kostümdesigner ganze Arbeit geleistet: Von den flimmernden Elektrospulen an den Wänden über den Guillotine-artigen Separator und die grauen verschachtelten Gänge bis hin zum Sträflingsoutfit der Kinder schreit hier alles geradezu "Hoffnungslosigkeit!"
Umso skurriler erscheint die feste Überzeugung der Wissenschaftler, dass sie "das Richtige" tun. "Wir werden Generationen vollkommen von der Tyrannei der Sünde befreien", erklärt die Leiterin der Einrichtung im Brustton der Überzeugung. Hier klingt deutlich Pullmans Religionskritik durch, um die der Film von 2007 noch einen großen Bogen machte.
An diesem finsteren Ort findet Lyra endlich ihren Freund Roger wieder. Gemeinsam machen sie sich während eines Probealarms auf die Suche nach einem Ausgang – und stoßen auf die abgeschnittenen Dæmonen und ihre Kinder. Letztere zählen wie Billy mit rasiertem Schädel regungslos vor sich hin. Mit dem Einheitslook vermittelt die Serie mehr denn je, dass die traumatisierten Kinder jetzt wie Zombies ohne jegliche eigene Persönlichkeit sind.

Dann überschlagen sich die Ereignisse. Es wird laut und turbulent! Lyras Beinahe-Abtrennung von Pan, die gerade noch von der eintreffenden Mrs. Coulter verhindert werden kann. Der Trick mit dem fliegenden Spion. Lyras und Mrs. Coulters einstimmiges Wutgebrüll. Die explosive Zerstörung der Separator-Maschine. Die chaotische Schlacht zwischen den Tataren-Wachen und den Gyptern, die Bolvangar stürmen (hieß es nicht, so vielen Tataren sind sie nicht gewachsen?!).
Und mittendrin Serafina Pekkala, die aus dem Nichts auftaucht und im besten "Jumper"-Teleport-Stil mehrere Tataren mühelos ausschaltet. All diese Szenen sind spektakulär und actiongeladen und doch ist es die ruhigste Szene der Folge, die sich mir am meisten ins Gedächtnis brennt: das Mutter-Tochter-Gespräch zwischen Marisa Coulter und Lyra nach der verhinderten "Operation".
Jede noch so kleine Regung im Gesicht der Darstellerinnen Ruth Wilson und Dafne Keen spricht Bände. Wenn Mrs. Coulter von ihrem Vorhaben, "die Welt zu korrigieren" und "notwendige Opfer" spricht, dreht sich mir beinahe der Magen um. Und trotzdem schafft es Ruth Wilson dem Charakter der sonst eiskalten Schurkin einmal mehr eine verletzliche Seite zu verleihen. Sie liebt Lyra und wünscht sich ihre Liebe. Eine echte Gänsehaut-Performance, Chapeau!
Eine Ballonfahrt, die ist nicht so lustig.

Kaum sind die Kinder befreit, stürzen sich Lyra, Roger, Iorek und Lee auch schon ins nächste Abenteuer: Sie machen sich in Lees Ballon auf nach Svalbard, die Hochburg der Panzerbären, wo Lord Asriel gefangen gehalten wird. Kaum ist dem Aeronauten jedoch eine folgenschwere Erkenntnis gekommen ("[Lyra] ist für das Schicksal von allen verantwortlich und ich bin für sie verantwortlich."), wird das Quartett von Klippenalben attackiert und Lyra plumpst aus dem Ballon. Das fängt ja gut an, Papa Scoresby.
Fazit: Wetzt die Krallen für Folge 7!
Alles in allem war Folge 6 für mich deutlich stärker als Episode 5, zusammengenommen ergibt sich deshalb ein durchschnittlicher Score. Reichlich Action und überragende Darbietungen der Hauptdarsteller machen die sechste Folge für mich zu einer der bislang besten Episoden der Serie – aber da geht noch was. "His Dark Materials" steuert geradewegs auf das nächste Abenteuer in Svalbard zu – und auf diese Episode freue ich mich mehr denn je!
Gedanken, die mir noch im Kopf herumschwirren
- Übernimmt Wills einfühlsamer Boxtrainer die Rolle von Wills Klavierlehrerin aus den Büchern?
- Seit wann können Hexen eigentlich völlig ohne Wolkenkiefernzweig fliegen?!
- Ist das etwa ein Anflug von Reue in Mrs. Coulters Gesicht, als sie Lyra zusammen mit den Gyptern und den abgeschnittenen Kindern sieht? Ist sie getroffen, weil Lyra sich für "ihre Seite" entschieden hat? Diese verletzlichen, menschlichen Momente unterscheiden die Serien-Marisa stark von der Roman-Mrs.-Coulter – und machen sie zu einer noch spannenderen Schurkin!