Ein Smartphone, zwei Kameras, drei Linsen: Das Huawei P9 steigt mit einer Dual-Kamera ins Rennen der Top-Smartphones 2016 ein. Dafür setzte der Hersteller auf eine chinesisch-deutsche Partnerschaft. Im Test gehen wir der Frage nach, ob nicht nur Leica draufsteht, sondern auch Leica drinsteckt – und was das Android-Smartphone sonst noch so kann.
Nur wenige Monate nach dem Deutschlandstart des Huawei Mate 8 bringt der chinesische Hersteller bereits ein weiteres High-End-Smartphone auf den Markt – beziehungsweise zwei, um genau zu sein. Am 6. April enthüllte Huawei das P9 und das P9 Plus bei einem Event in London. Alex und Jens konnten sich direkt vor Ort einen ersten Eindruck vom P8-Nachfolger verschaffen, jetzt haben auch wir ein Test-Gerät in die Finger bekommen.
Zwei Linsen, ein großer Name: Dual-Cam fürs Huawei P9
Thema Nummer eins – nicht nur bei der Huawei-Pressekonferenz, sondern auch in der Gerüchteküche vor dem Release – war die Dual-Kamera des P9. Während einige frühere Smartphone-Modelle einen ähnlichen Ansatz verfolgten, um 3D-Effekte zu erzielen, gehen heutige Dual-Cams wie die des LG G5 oder eben des Huawei P9 meist einen anderen Weg. LG setzt beim G5 etwa auf zwei Linsen mit unterschiedlicher Brennweite, um mit den kleinen Smartphone-Optiken einen möglichst großen Zoombereich abzudecken. Huaweis Dual-Kamera hingegen soll zwei Aufgaben erfüllen: mehr Licht einfangen und mehr Tiefeninformationen liefern als eine einzelne Linse. Wie gut das klappt und ob auch Kameraspezialist Leica stolz sein kann, seinen Namen so groß neben der Rückkamera stehen zu sehen, klären wir später im entsprechenden Abschnitt unseres Tests.
Design & Handling: Ein Mix aus iPhone und Galaxy?
Zunächst einmal werfen wir einen Blick auf das Design. Bei seinem ersten Hands-On in London bezeichnete Alex den Look & Feel des Huawei P9 als eine Mischung aus iPhone und Samsung Galaxy. Im Grunde hat der Hersteller im Vergleich zum Vorgängermodell aber gar nicht so viel verändert – und das ist ganz gut. Das weniger als sieben Millimeter dicke Smartphone besitzt wieder einen Unibody aus Aluminium, die Vorderseite wird von Gorilla Glass geschützt. Das im Vergleich zum P8 leicht rundlichere Design steht dem Nachfolgemodell gut zu Gesicht und tut dank angeschliffener Kanten auch dem Handling keinen Abbruch. Das Smartphone, das fast genauso schwer wie das iPhone 6s ist, rutscht dadurch nicht so leicht aus der Hand wie das iOS-Gerät. Vom Handling her ist das P9 eher mit dem Samsung Galaxy S7 vergleichbar.
Auf der Rückseite ist die Dual-Kamera natürlich das augenscheinlichste Merkmal des Huawei-Handys – zumal sie auch bei den helleren Varianten des Smartphones in einen schwarzen Streifen integriert ist. Während einen auf der linken Seite zwei Kameralinsen anblicken, ist auf der rechten Seite das Leica-Logo prominent platziert. In der Mitte sitzt der Dual-tone Flash von Huawei. Etwas unterhalb ist der quadratische Fingerabdrucksensor zu finden, an den schlanken Seiten kommen Lautstärketasten, Power-Knopf und SIM/microSD-Schacht unter. Die Unterseite bietet Platz für Lautsprecher, Kopfhöreranschluss – und: einen USB Typ-C-Port.
Display: Kein QHD, kein OLED, kein Press Touch
Die Vorderseite des Huawei P9 wird vom 5,2 Zoll großen Display dominiert. Hier gibt es keine Hardware-Buttons und die seitlichen Display-Ränder fallen extrem schmal aus. Zwar begnügt sich der chinesische Hersteller mit Full HD-Auflösung, bei dieser Screen-Größe ist das allerdings vollkommen ausreichend. Die Pixeldichte des P9 liegt damit immerhin noch bei 424 ppi. Schade könnte man hingegen finden, dass nur das 5,5 Zoll große Huawei P9 Plus ein AMOLED-Display spendiert bekommen hat. Der kleinere Modellbruder muss sich mit einem LCD-Panel begnügen. Doch auch dieses hinterlässt im Test erst einmal einen guten Eindruck. Der Screen ist ausreichend hell, kontrastreich und stellt kräftige Farben dar. Im Vergleich zu anderen Top-Smartphones wie dem Galaxy S7 muss es sich dennoch leicht geschlagen geben. Ebenfalls dem teureren P9 Plus vorbehalten: die Press Touch-Funktion, die iPhone 6s-Nutzer unter dem Namen 3D Touch kennen.
Hardware & Software: Android 6.0 im iOS-Look
Die restliche Hardware des Huawei P9 kann sich jedoch sehen lassen – auch wenn sie nicht ganz das Niveau erreicht, das Konkurrenten wie Apple, Samsung, LG und HTC mit ihren aktuellen Smartphone-Flaggschiffen vorlegen. Der hauseigene HiSilicon Kirin 955, ein Octa-Core-Prozessor mit viermal 2,5 und viermal 1,8 GHz, arbeitet flott, führt aber keine Benchmark-Rankings an. Zur Seite stehen ihm 3 GB RAM, 4 GB gibt es nur im P9 Plus. Der interne Speicher fasst 32 GB, kann aber per microSD-Karte erweitert werden. Erstmals bei einem Modell der Serie verbaut Huawei im P9 einen Fingerabdrucksensor. Der arbeitet flott, aber auch nicht so fix wie die High-End-Konkurrenz, die schon länger auf diese Technik setzt.
Als Betriebssystem gibt es Android 6.0 Marshmallow mit Huaweis EMUI-Oberfläche on top. Diese erinnert auch in der aktuellen Version 4.1 noch stark an Apples iOS – Benachrichtigungszentrale und Apps auf dem Home-Screen lassen grüßen. Einen App-Drawer hat man auf dem Huawei-Smartphone trotz Android-Systems nicht. Einen Workaround gibt es dennoch: Wer EMUI nicht leiden mag, kann sich einen alternativen Launcher aus dem Google Play Store herunterladen. Abgesehen von den anders aussehenden Icons und Menüs bietet das Huawei P9 aber natürlich auch alle Vor- und Nachteile von Android 6.0.
Das kann die Dual-Kamera des Huawei P9
Zu den Highlights des Huawei-Modells gehört aber ein ganz besonderes Feature, das den Smartphone-Markt 2016 zu bestimmen scheint: die Dual-Kamera auf der Rückseite. Große Erwartungen weckt vor allem der Leica-Aufdruck neben den beiden Linsen. Dabei kam mittlerweile heraus: So groß wie der Name des deutschen Optikspezialisten auf das P9 gedruckt ist, war der Anteil an der Kameraentwicklung wohl gar nicht. Hergestellt wurden die Linsen von Sunny Optical, dem weltweit größten Smartphone-Kamera-Zulieferer, die Sensoren stammen von Sony. Was "in Zusammenarbeit mit Leica" daher genau bedeutet, können sicher nur Huawei und Leica selbst beantworten. Es wird dabei wohl aber vor allem um Software und Know-how-Transfer gehen. Machen wir uns für den Test also erst einmal los von den Erwartungen, die man an eine Kamera mit dem Aufdruck Leica stellt.
Denn auch so erledigt die Dual-Kamera des Huawei P9 einen eindrucksvollen Job. Beide Linsen fangen 12 Megapixel ein, der RGB-Sensor liefert die Farbinformationen, der monochrome Sensor ergänzt zusätzliche Lichtinformationen. Das macht sich in hellen und dunklen Bildbereichen bemerkbar. Hier würde manch anderes Smartphone-Foto leicht ausgewaschen wirken. Die zwei Kameras des Huawei-Modells können aber nicht nur mehr Licht einfangen – laut Hersteller bis zu 300 Prozent mehr als das iPhone 6s und 70 Prozent mehr als das Galaxy S7. Zwei Linsen können auch die Entfernung zu einem Objekt besser bestimmen als eine einzige Kamera. Das verleiht den Fotos mehr Tiefe und erlaubt das Herumspielen mit Tiefenunschärfe- und Bokeh-Effekten. Auch RAW-Fotos schießt die Kamera.
Die zwei P9-Kameras machen insgesamt gute Fotos mit kräftigen Farben. Und im separaten Monochrom-Modus lassen sich tatsächlich Bilder mit einem gewissen Leica-Flair knipsen. Ein anderer Modus erlaubt das nachträgliche Verschieben des Fokus – auch das ist nur dank zweier Linsen möglich. Wenn die Lichtverhältnisse schwierig werden, gerät aber auch das Huawei P9 an seine Grenzen. Etwas mehr lässt sich dann immer noch mit dem Pro-Modus herausholen, der manuelle Einstellungsmöglichkeiten für ISO-Wert, Belichtungszeit, Fokus und mehr bietet. Besser als die Low-Light-Bilder des Galaxy S7 mit seiner lichtstarken f/1.7-Blende sind die P9-Fotos allerdings nicht. Am meisten punktet das Huawei-Modell daher mit seinem Kamera-Kreativ-Potenzial in der Schwarz-Weiß-Fotografie und mit den Fokus-Optionen, die DSLR-Look simulieren. Ein Schwachpunkt ist der Video-Modus. Ohne 4K und ohne optischen Bildstabilisator schöpft das P9 hier nicht aus dem Vollen.
Akkulaufzeit: Starker Akku im schlanken Gerät
Im Vergleich zum Vorgängermodell ist das Huawei P9 minimal dicker geworden. Dafür bringt es aber auch einen größeren Akku mit. Der Energiespeicher fasst 3000 mAh und soll laut Hersteller für anderthalb Tage intensiver Nutzung reichen. Was wir im Test feststellen konnten: Bei Wenignutzung ist das 5,2-Zoll-Smartphone extrem ausdauernd. Mit größtenteils deaktiviertem Display, aber aktiviertem WLAN und gelegentlicher Kameranutzung hatte der Akku selbst nach sechs Tagen noch etwa 45 Prozent. Deutlich mehr verbraucht das P9 allerdings, wenn der Prozessor – zum Beispiel beim Spielen – unter Hochlast läuft. Insgesamt ist die Akkuleistung aber durchaus konkurrenzfähig. Darüber hinaus gibt es eine Schnellladefunktion per USB Typ-C. Kabelloses Laden ist hingegen nicht möglich.
Fazit: Ein Smartphone für Foto-Fans
Dass man mit den Top-Smartphones von Huawei keine größeren Kompromisse mehr eingehen muss, sollte mittlerweile auch in Europa angekommen sein. Mit dem P9 geht der chinesische Hersteller sogar in die Offensive und führt ein Feature ein, das bisher wenige andere High-End-Modelle besitzen. Die Dual-Kamera macht aus dem edlen und hochwertig verarbeiteten Android-Smartphone auch tatsächlich eine interessante Alternative zu iPhone 6s, Galaxy S7, Nexus 5X, Lumia 950 oder LG G5. Die Kamera liefert nicht nur tolle Schnappschüsse aus dem Stand, sie bietet auch zahlreiche kreative Fotografie-Möglichkeiten.
Dafür kann das Huawei P9 in anderen Bereichen nicht ganz das Niveau der Top-Konkurrenz erreichen. Der Prozessor dringt nicht in die Leistungssphären aktueller Apple- oder Qualcomm-Chips vor und zeigt sich unter Volllast sehr energiehungrig. Das Display bietet keine QHD-Auflösung, der Kamera fehlen 4K-Videofunktion und Bildstabilisator. Dafür liegt aber auch der Preis des Huawei P9 mit 569 Euro leicht unter dem der Konkurrenz. Die Frage für oder gegen das neue China-Handy ist also eine Frage der Prioritäten. Für Foto-Fans ist das Dual-Cam-Smartphone durchaus zu empfehlen.