Aller guten Dinge sind drei. Dieses Motto scheint Huawei zumindest bei seiner aktuellen Flaggschiff-Reihe zu verfolgen. Neben dem Huawei P9 protzt das P9 Plus mit aufgebohrten Specs und das P9 Lite mit einem attraktiven Preis. Kann es einen Gewinner geben? Das wollen wir im Test herausfinden.
Huawei P9 Lite macht das Dreierpack komplett
Die große Bühne des diesjährigen MWC gehörte Samsung und LG, die dort ihre 2016er Flaggschiff-Modelle Galaxy S7 und G5 präsentierten. Huawei stieß erst Anfang April dazu – aber dann gleich doppelt: mit dem P9 und dem P9 Plus. Kritiker könnten den Chinesen auch hier wieder vorwerfen, sich vom iPhone 6s und iPhone 6s Plus "inspiriert" haben zu lassen. Allerdings ist eine solche Produktpolitik mittlerweile weit verbreitet. Neben dem Standard-Modell, dem 5,2 Zoll großen Huawei P9, gibt es also auch ein technisch aufgebohrtes P9 Plus mit 5,5-Zoll-Display.
Als dritte Modellvariante stieß im Mai schließlich das Huawei P9 Lite dazu, das – wie der Name schon andeutet – mit "leichterem" Preis lockt. Aber eben auch mit "leichterer" Technik. Macht nichts, solange das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Das haben wir nun, da die P9-Familie komplett ist, bei allen drei Modellen unter die Lupe genommen. Uns interessiert im Test: Wo liegen die Unterschiede im Detail? Sind 299 Euro fürs Huawei P9 Lite, 569 Euro fürs P9 und 699 Euro fürs P9 Plus gerechtfertigt? Gibt es also eine klare Kaufempfehlung?
Designfrage: Wie soll es aussehen?
Natürlich machen sich Preisunterschiede von 150 Euro und mehr bei Materialauswahl und Design bemerkbar. So muss sich das günstigste Modell im Bunde, das P9 Lite, mit einem Aluminiumrahmen begnügen, der für Stabilität sorgen soll. Auf der Rückseite findet der Käufer Plastik vor. In der Preisklasse darüber gibt es einen Metall-Unibody beim P9. Und wer noch mehr Geld in die Hand nimmt, erhält das P9 Plus mit Metallgehäuse und zusätzlicher Schicht 2.5D-Glas.
Von der Verarbeitungsqualität nehmen sich die P9-Modelle alle nichts. Das günstigste Smartphone ist ebenso sorgfältig und passgenau gefertigt wie das High-End-Gerät. Unterschiede gibt es hingegen bei Optik und Haptik. Während die Rückseiten von P9 und P9 Lite beide matt wirken, glänzt das P9 Plus mit seinem Glasrücken. Dieser macht es allerdings auch am rutschigsten im Vergleich. Einsteiger- und Standardmodell liegen daher ein wenig sicherer in der Hand. Zudem sind sie etwas leichter und kleiner. Auffällig am P9 Lite: die fehlende Dual-Kamera inklusive Leica-Branding auf der Rückseite sowie der Micro-USB-Port an der Unterseite. Hier findet sich bei P9 und P9 Plus ein USB Typ-C-Anschluss.
Display: Wie scharf darf es sein?
Neben der Glasrückseite besitzt das Huawei P9 Plus ein weiteres Merkmal, das im Test sofort ins Auge springt. So misst das Display des Topmodells nicht 5,2 Zoll wie bei den Modellbrüdern, sondern 5,5 Zoll. Die Auflösung ist dennoch bei allen drei Smartphones identisch: 1920 x 1080 Pixel sorgen für eine Pixeldichte von 424 ppi bei P9 und P9 Lite, beim P9 Plus sinkt diese auf 401 ppi. Aber keine Sorge: Damit liegt das High-End-Gerät immer noch über dem iPhone 6s, das mit seinen 326 ppi sehr gut auskommt.
Dass das Topmodell im Familienvergleich dennoch die Nase vorn hat, liegt daran, dass Huawei hier auf ein AMOLED-Display setzt. Das beeindruckt besonders bei der Wiedergabe dunkler Farbtöne und überzeugt mit einem hohen Kontrast. Zudem bietet es eine etwas größere Blickwinkelstabilität als P9 und P9 Lite – die wiederum punkten bei ihren LCD-Screens mit höherer maximaler Helligkeit. Das von Apple bekannte 3D Touch-Feature, das Huawei Press Touch nennt, bringt aber nur das P9 Plus mit.
Hardware & Software: Wie schnell muss es sein?
Das Press Touch-Feature ist eines der Alleinstellungsmerkmale des Huawei P9 Plus, das es nicht nur von seinen Modellbrüdern, sondern auch von fast allen anderen Android-Smartphones abhebt. Wie das iPhone 6s erkennt das Display des Premium-Phablets unterschiedlich starken Druck auf das Display. Auf diese Weise kann man beispielsweise mit nur einem Finger in Fotos der Galerie reinzoomen. Schade nur, dass die Funktion bislang auf Huawei-eigene Apps beschränkt ist.

Verarbeitet werden solche Nutzerbefehle im Huawei P9 Plus von einem Kirin 955-Prozessor mit acht Kernen, die mit maximal 2,5 GHz getaktet sind. Der gleiche Prozessor werkelt auch im Standard-P9. Allerdings sind ihm hier nur 3 GB Arbeitsspeicher zur Seite gestellt, im Topmodell gibt es 4 GB RAM. Der Einsteigervariante machen ebenfalls 3 GB Arbeitsspeicher Beine, hier kommt jedoch ein etwas schwächerer Prozessor zum Einsatz. Der Kirin 650 besitzt zwar auch acht Kerne, diese sind aber mit maximal 2 GHz getaktet. Der Performance im Alltag tut das jedoch kaum einen Abbruch. Während P9 und P9 Plus ihren kleinen Bruder in Benchmark-Tests deutlich abhängen, macht sich der Leistungsunterschied in der Praxis nur selten bemerkbar. Auch das Huawei P9 Lite ist mit seinem Prozessor in der Lage, aktuelle Smartphone-Spiele ruckelfrei auszuführen.
Die Software ist auf allen drei P9s identisch. Android 6.0 wird jeweils um Huaweis eigene EMUI-Oberfläche in der Version 4.1 ergänzt. Damit erinnern alle drei Modelle stark an Apples iOS und bieten dieselben Funktionen, sofern sie – wie Press Touch – nicht von der Hardware abhängig sind. Unter diesem Gesichtspunkt hat das Huawei P9 Lite nämlich in einer weiteren Kategorie das Nachsehen: der Smartphone-Fotografie. Ohne die Dual-Kamera, die P9 und P9 Plus besitzen, gibt es auch keine Spielereien wie die nachträgliche Fokusverschiebung oder den monochromen Modus für waschechte Schwarz-Weiß-Bilder.
Kamera: Wie viele Linsen braucht der Mensch?
Der große Preissprung zwischen P9 Lite und P9 bedeutet also auch: keine Dual-Kamera mit Leica-Branding beim Mittelklasse-Modell. Zwar wurde viel geschimpft, als herauskam, dass der deutsche Kameraspezialist wahrscheinlich viel weniger mit der Entwicklung der Smartphone-Kamera am Hut hatte, als gedacht. Das macht die Dual-Kamera in P9 und P9 Plus aber nicht weniger beeindruckend. Die beiden 12-Megapixel-Linsen liefern nicht nur scharfe und besonders kontrastreiche Bilder und fangen selbst bei schwierigen Lichtverhältnissen noch vergleichsweise viel Licht ein. Die Doppelkamera erweitert den Funktionsumfang auch um zwei nette Spielereien: den monochromen Modus und die nachträgliche Fokusverschiebung.
Denn im Gegensatz zum LG G5, dessen Dual-Kamera sich aus einer Standard- und einer Weitwinkellinse zusammensetzt, kommen bei Huawei Optiken mit identischer Brennweite zum Einsatz. Stattdessen besitzen die P9-Flaggschiffe einen monochromen und einen RGB-Sensor. Auf Wunsch entstehen also schwarz-weiße Bilder mit nur einer Linse oder Fotos mit mehr Licht- und Tiefeninformationen mit beiden Linsen. Ist der spezielle Fokus-Modus durch einen Tipp auf das Blendensymbol in der Kamera-App aktiviert, kann man nicht nur den zu fokussierenden Bereich auswählen und unterschiedliche Blendenöffnungen simulieren. Dieselben Möglichkeiten bietet Huawei auch im Nachhinein noch. Das nachträglich veränderte Bild wird dann als zusätzliche Datei in der Galerie hinterlegt.
Das Huawei P9 Lite muss sich hingegen mit nur einer 13-Megapixel-Hauptkamera begnügen – für ein Mittelklasse-Smartphone absolut ausreichend. Dem Hersteller gelang es sogar, die Fotoqualität im Vergleich zum Vorgänger, dem Huawei P8 Lite, noch etwas zu verbessern. So entstehen auch mit dem günstigsten der drei P9s ansehnliche Fotos und Schnappschüsse. Sichtbar wird der Qualitätsabfall gegenüber P9 und P9 Plus etwa beim Hereinzoomen in Bilder oder beim Fotografieren in der Dämmerung. Der 08/15-Kamera gelingt es natürlich nicht, ebenso viele Details und genauso viel Licht wie die zwei Linsen der Flaggschiff-Modelle einzufangen. Pluspunkt: Auch die Einsteigervariante besitzt den Pro-Modus und sämtliche Software-Features, die nicht erst durch den Einsatz der Dual-Kamera möglich werden. Viele Kreativoptionen wie Lichtmalerei, HDR oder Verschönerungsfilter finden sich also ebenso im P9 Lite.
Akkulaufzeit: Wie lange soll das Handy durchhalten?
In der Kategorie Akkulaufzeit treten an: Zwei 3000-mAh-Akkus in Huwaei P9 Lite und P9 gegen einen 3400 mAh fassenden Energiespeicher im größeren P9 Plus. Schon in unserem ersten Test des P9 stellten wir fest, dass man mit dem Android-Smartphone gut über anderthalb Tage kommt. Insbesondere im Stand-by erweist sich das Gerät als durchaus genügsam. Anders sieht das unter Volllast aus. Der High-End-Prozessor in P9 und P9 Plus ist eben nicht nur leistungsstark, sondern auch energiehungrig. Wer ständig spielt, surft oder Videos streamt, wird die beiden Flaggschiffe schneller leer bekommen, als ihm wahrscheinlich lieb ist.
Klarer Akku-Sieger ist das Huawei P9 Lite, das mit der gleichen Kapazität wie im P9 besser haushaltet. Grundsätzlich saugt der schwächere Prozessor weniger am Akku – wobei sich auch hier zeigt: Im Stand-by hält das Smartphone eine gefühlte Ewigkeit, unter Volllast sinkt die Akkuanzeige sehr viel schneller. Dennoch hatten wir im Test kein Problem, das Huawei P9 zwei Tage am Stück unter die Lupe zu nehmen, zu fotografieren, Testfotos zu schießen und Games anzuspielen. Wer nach ausdauernden Smartphones sucht, ist in der Mittelklasse also besser aufgehoben als im Premium-Segment.
Fazit: Für jeden das passende Modell

Gibt es also einen Gesamtsieger? Wie zu erwarten: nicht wirklich. Während die teuren Modelle mit Leistung, Kamera und Display punkten, ist die günstige Einsteigerversion klarer Sieger in Sachen Akkulaufzeit und Preis. Statt nach der besten Modellvariante sollte man also eher nach den individuellen Kaufkriterien fragen. Muss oder will ich beim Smartphone-Kauf auf den Preis achten, greife ich zum Huawei P9 Lite für unter 300 Euro. Dafür erhalte ich ein wirklich gutes Mittelklasse-Smartphone, das technisch absolut hält, was es verspricht, und für ein Gerät seiner Preisklasse durchaus auch mit seinem Design und der Verarbeitungsqualität punkten kann.
Zum Huawei P9 und P9 Plus folgt dann ein gewaltiger Preissprung. Mit seiner UVP von 569 Euro, aber auch qualitativ, spielt das P9 in der Smartphone-Oberliga mit. Gründe für das Upgrade könnten der stärkere Prozessor oder USB Typ-C, aber mehr noch die Dual-Kamera des Modells sein. Die Kamera liefert nämlich nicht nur tolle Bilder, sondern bietet auch viel kreatives Potenzial.
Der nächste Schritt zum P9 Plus fällt nun nicht mehr so gewaltig aus. Für 130 Euro mehr gibt es ein größeres Display mit AMOLED- und Press Touch-Technik, mehr Arbeitsspeicher, mehr internen Speicher und einen größeren Akku. Wer jedoch auf die zugegebenermaßen coole, aber noch von wenigen Apps unterstützte Touch Press-Funktion verzichten kann, und Phablets nicht grundsätzlich besser findet als kleinere Smartphones, ist mit dem Huawei P9 mindestens ebenso gut beraten.
Huwaei P9 Lite: Für Sparfüchse
Huawei P9: Für Fotofreunde
Huawei P9 Plus: Für Phablet- und Design-Liebhaber