Das Echtzeitstrategiespiel "Iron Harvest" entführt uns in eine alternative Zeitlinie nach dem Ersten Weltkrieg. Drei Nationen kämpfen mit dieselbetriebenen Robotern um die Vorherrschaft in Europa, das klingt nach einem herrlich frischen Setting. Ob "Iron Harvest" auch spielerisch überzeugt, erfährst Du in meinem Test.
- Story: Drei tolle Helden im Krieg der Maschinen
- Strategische Tiefe: Weniger ist mehr
- Gameplay: Entspannt in der Deckung den nächsten Zug planen
- Multiplayer: Wir brauchen mehr Maps!
- Fazit: Nicht perfekt, aber das beste RTS-Game seit Jahren
Nachdem sich die Wiederbelebung des RTS-Genres durch "Warcraft 3: Reforged" als Schuss in den Ofen herausgestellt hatte, war ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass die glorreichen Zeiten von Echtzeitstrategiespielen endgültig gezählt sind. "Iron Harvest" hat mich eines Besseren belehrt: Das Spiel ist ein absoluter Knaller, den ich RTS-Fans wärmstens empfehlen kann. Was an dem Game so genial ist, verrate ich Dir jetzt.
Story: Drei tolle Helden im Krieg der Maschinen

"Iron Harvest" spielt in einer alternative Zeitlinie nach Ende des Ersten Weltkriegs. Zu einem wirklichen Frieden ist es nie gekommen, die fiktiven Fraktionen Polania, Sächsisches Imperium und Rusviet kämpfen erbittert um die Vorherrschaft in Europa. Die verfeindeten Nationen fechten ihre Konflikte nicht nur mit Soldaten aus, sondern schicken auch dieselbetriebene Mechs in die Schlacht. Die Kampfroboter zählen spielerisch zu den interessantesten Einheiten im Spiel, in den drei Kampagnen stehen aber drei menschliche Helden im Mittelpunkt.
In der Polania-Kampagne ziehen wir mit Anna Kos und ihrem treuen Bären Wojtek in den Kampf. Annas Geschichte ist die emotionalste der drei Kampagnen. Die junge Frau wird durch die Gefangennahme ihres Vaters durch die Rusviet in den Krieg hineingezogen. Ihre Geschichte und Charakterentwicklung haben mich wirklich berührt.
Olga Romanova, die Heldin der Rusviet-Kampagne, ist das genaue Gegenteil von Anna: skrupellos und kaltblütig. Die Spionin, die von dem Tiger Changa begleitet wird, steht im Dienst des Tsaren Nikolaj. Ihr Auftrag ist es, die Unruhen im rusvietischen Reich zu schlichten. Spielerisch finde ich Olga am interessantesten, da sie als Spionin ihre Gegner aus dem Hinterhalt ausschaltet. Ihr Gameplay und Charakter haben mich ein wenig an Nova aus "Starcraft 2" erinnert.
In der Kampagne des Sächsischen Imperiums ziehen wir mit Gunter von Duisburg und seinen beiden Wölfen Tag und Nacht in die Schlacht. Gunter ist ein geheimnisvoller Charakter. Der Meisterstratege gerät im Verlauf der Geschichte in einen Konflikt mit Prinz Wilhelm, der in den Augen von Gunter auf unehrenhafte Strategien im Krieg zurückgreift. Gunters Kampagne ist die am stärksten politische. Wer Intrigen und Machtspielchen mag, wird an seiner Geschichte großen Gefallen finden.

Die drei sehr unterschiedlichen Kampagnen von "Iron Harvest" haben mir wirklich gut gefallen. Die Geschichten von Anna, Olga und Gunter sind mindestens genauso interessant und spannend wie die Storys aus den RTS-Legenden "Warcraft 3" und "Starcraft" – teilweise sogar besser.
Strategische Tiefe: Weniger ist mehr
Besonders gut gefallen mir an "Iron Harvest" das unkomplizierte Gameplay und die geringe strategische Tiefe. Alle Fraktionen haben ähnliche Einheiten, die sich nach dem Schere-Stein-Papier-Prinzip schlagen. Außerdem gibt es nur wenige Upgrades für Einheiten. Gewöhnliche Einheiten und Helden können im Kampf Erfahrungen sammeln und in höhere Ränge aufsteigen. Dabei erhöhen sich ihre Basiswerte, und sie erhalten einmal eine neue Spezialfähigkeit. Auf komplexe Fähigkeiten- und Technologiebäume verzichtet "Iron Harvest". Das erlaubt es Spielern, sich vollständig auf die Kämpfe zu konzentrieren.

Auch der Bau von Basen ist erfrischend unkompliziert. Im Hauptquartier können Spieler einfache Soldaten ausbilden, in den Baracken stehen komplexere Einheiten zur Wahl, und in den Werkstätten werden die mächtigen Mechs zusammengeschraubt. Ingenieure können zudem weitere Gebäude wie Bunker und Verteidigungselemente wie Stacheldrahtabsperrungen und Geschütztürme errichten. Mehr Gebäude und Strukturen gibt es nicht.
Damit Du Gebäude errichten und Einheiten herstellen kannst, benötigst Du die Rohstoffe Eisen und Öl. Diese werden automatisch in Minen und an Pumpen gefördert. Damit die Ressourcen auf Deinem Konto landen, musst Du die Standorte allerdings zuerst mit Deinen Einheiten einnehmen. Nachdem Du Dir die Rohstoffvorkommen unter den Nagel gerissen hast, solltest Du Dich aber nicht zurücklehnen. Werden die Rohstoffe knapp, versucht Dein Gegner, Dir die wertvollen Rohstoffe abzuluchsen. Plane also genug Einheiten zur Verteidigung ein.

Die Einheiten der drei Fraktionen sind sich ähnlich, aber jede Fraktion hat verschiedene Stärken und Schwächen. Die polanischen Einheiten sind recht günstig, und die Infanterie verfügt über eine hohe Reichweite, dafür halten die Einheiten vergleichsweise wenig aus. Die Sachsen haben sehr starke Mechs, die sich hervorragend zur Belagerung und Verteidigung von Territorien eignen. Allerdings sind ihre Einheiten im Vergleich zu den beiden anderen Fraktionen ziemlich lahm. Die Rusviet setzen mit ihren Exoskeletten auf Geschwindigkeit. Sie sind am effektivsten, wenn sie ihre Gegner flankieren und in den Nahkampf zwingen. Im Fernkampf ziehen sie gegen Polania und Sachsen den Kürzeren.
Alle drei Fraktionen verfügen über gewöhnliche Infanterie, Grenadiere, Kanoniere, MG-Schützen und Flammenwerfer sowie die Hilfseinheiten Sanitäter und Ingenieure. Ein besonders cooles Feature ist, dass Soldaten auf dem Schlachtfeld die Waffen gefallener Gegner aufsammeln und so ihre Klasse wechseln können.
Am deutlichsten unterschieden sich die Fraktionen bei den Exoskeletten und Mechs. Da wären zum Beispiel die polanischen Smialys, die wie laufende Blechdosen mit Bajonetten aussehen. Sie zählen zu den leichteren Einheiten und sind recht flink. Aber die Polanier haben auch richtig dicke Mechs im Aufgebot. Der Tur bietet beispielsweise eine dicke Panzerung, viel Lebenspunkte und ist gegen jeden Rüstungstyp gleich effektiv. Die Maschine kostet aber auch einen dicken Batzen Rohstoffe und bewegt sich recht langsam über das Schlachtfeld.
Bei den Rusviet sorgt besonders der Serp bei Gegnern für Angst und Schrecken. Der riesige Roboter verfügt über zwei gigantische Sicheln, die problemlos durch den dicksten Stahl schneiden. Die Groza eignen sich besonders für Guerilla-Taktiken. Die Soldaten in den Exoskeletten besitzen ein Jetpack, mit dem sie blitzschnell hinter feindliche Linien gelangen. Die Mechs des Sächsischen Imperiums finde ich am eindrucksvollsten. Mein absoluter Favorit ist der Kaiser, eine wandelnde Stahlfestung, die mit einer gigantischen Kanone, MGs und sogar Raketen ausgestattet ist.
Gameplay: Entspannt in der Deckung den nächsten Zug planen
Okay, "Iron Harvest" hat eine gute Story und coole Einheiten, aber wie ist das Gameplay? Erstaunlich gut, muss ich sagen. Besonders gefällt mir das gemächliche Spieltempo. Ich habe zuvor einige Jahre "Starcraft 2" gezockt, irgendwann hat mich das hektische Gameplay zu sehr gestresst. Dagegen ist "Iron Harvest" Entspannung pur. Die Einheiten trotten gemächlich über das Schlachtfeld, und ich habe immer genug Zeit, mir eine gute Strategie zu überlegen.

Ansonsten spielt sich "Iron Harvest" beinahe wie jedes andere RTS-Game: Ressourcen sammeln, Einheiten bauen, die Karte erkunden und mit Gegnern kämpfen. Eine kleine Besonderheit ist das Deckungssystem, das ähnlich wie in "Company of Heroes" funktioniert. Du kannst Deine Infanterie-Einheiten hinter Mauern, Sandsäcken, Felsen und anderen Objekten in Deckung gehen lassen. Diese Option solltest Du auch unbedingt nutzen, denn hinter einer Deckung nehmen Deine Einheiten weniger Schaden. Ob sich ein Objekt als Deckung eignet, zeigen Dir kleine grüne Symbole, die Dir gleichzeitig auch verraten, wie sich Deine Soldaten hinter dem Objekt platzieren werden.
Hier zeigen sich auch kleine Schwächen im Spiel, teilweise sind das Pathing (Wegfindung der Einheiten) und die Positionierung der Einheiten ausbaufähig. Manchmal setzen sich Soldaten beispielsweise vor anstatt hinter eine Mauer, was bei einem Feuergefecht nicht so clever ist. Und auch für Mechs sind Mauern gelegentlich ein Rätsel. Normalerweise können die größeren Roboter problemlos durch Gebäude laufen und sie dem Erdboden gleich machen – was ein sehr befriedigendes Gefühl ist. Manchmal laufen die Metallkolosse jedoch planlos vor winzigen Mauern auf und ab, durch die sie locker durchlaufen oder über die sie zumindest herüberschießen könnten. Das Pathing ist ein wenig nervig, aber das bekommen die Entwickler wahrscheinlich noch in den Griff.
Multiplayer: Wir brauchen mehr Maps!
Im Gegensatz zur genialen Singleplayer-Kampagne lässt der Multiplayer von "Iron Harvest" zu wünschen übrig. Momentan gibt es gerade einmal sechs Karten, auf denen sich nur der Capture-the-Flag-Modus zocken lässt. Die Zerstörung des gegnerischen Lagers kann zwar als zusätzliche Siegesbedingung aktiviert werden, weitere Modi und Karten täten dem Spiel aber gut. Momentan unterstützt der Multiplayer die Spielformate 1vs1, 2vs2 und 3vs3. Fehlende Mitspieler lassen sich durch KIs mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden ersetzen.

Eine tiefgehende Analyse zum Multiplayer kann ich an dieser Stelle nicht liefern, dafür habe ich noch zu wenig gezockt. Das Balancing fühlte sich aber ausgeglichen an. Technische Mängel konnte ich auf den ersten Blick nicht feststellen.
Neben den Kampagnen und dem Multiplayer kannst Du im Hauptmenü unter dem Punkt Missionen außerdem Gefechte und Herausforderungen spielen. Bei den Gefechten erwarten Dich die gleichen Maps wie im Multiplayer, allerdings zockst Du hier nur gegen KI-Gegner. Die Herausforderungen sind spannender: Das Spiel wirft Dich in bestimmte Szenarien mit besonderen Siegesbedingungen. In der Mission "Bis zum letzten Mann" beispielsweise musst Du eine bestimmte Menge an Rohstoffen sammeln, während Du ständig von Gegnern angegriffen wirst. Je mehr Rohstoffe Du förderst, desto mehr Punkte erhältst Du am Ende der Herausforderung. Leider gibt es in "Iron Harvest" bisher erst drei Herausforderungen.
Fazit: Nicht perfekt, aber das beste RTS-Game seit Jahren
Trotz kleinerer Mängel ist "Iron Harvest" für mich das beste Strategiespiel seit Jahren. Das Spiel bietet drei spannende und emotionale Geschichten mit tollen Hauptfiguren, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Das Dieselpunk-Setting ist nach unzähligen Strategiespielen aus dem Fantasy-Bereich eine willkommene Abwechslung.
Die geringe strategische Tiefe wirkt sich positiv auf das Gameplay auf. Statt Bauen und Forschen stehen die Kämpfe im Mittelpunkt. Das entspannte Gameplay bietet immer genug Zeit, den nächsten taktischen Zug zu planen. Hektisch wird das Spiel nur selten.
Für Spieler, die RTS-Games am liebsten im Multiplayer zocken, könnte "Iron Harvest" momentan noch ein wenig uninteressant sein. Sechs Mehrspieler-Maps und nur ein Spielmodi sind eindeutig zu wenig. Die Entwickler-Roadmap für September verrät aber bereits, dass King Art Games eine Menge Multiplayer-Content in der Hinterhand hat.
Wer über die derzeit fehlende Vielfalt im Multiplayer hinwegsehen kann, erhält ein wirklich geniales Strategiespiel. Wer hätte das gedacht? Anscheinend steckt im RTS-Genre doch noch mehr Leben als erwartet.
Das hat mir gut gefallen | Das hat mir weniger gefallen |
+ Frisches Dieselpunk-Setting | - Zu wenige Multiplayer-Maps |
+ Mitreißende Kampagne | - Pathing könnte besser sein |
+ Coole Mechs | |
+ Gute deutsche Synchro | |
+ Stimmiger Soundtrack | |
+ Wenig bauen, viel kämpfen |