"Just Cause 4" angespielt: Im Paradies ist wieder die Hölle los

Ein ganz normaler Arbeitstag für Rico Rodriguez: "Just Cause 4" ist nicht für seine Zurückhaltung bekannt.
Ein ganz normaler Arbeitstag für Rico Rodriguez: "Just Cause 4" ist nicht für seine Zurückhaltung bekannt. Bild: © Square Enix 2018

Die Gegner ballern aus allen Rohren, Explosionen zerreißen die Luft und zu allem Überfluss kommt auch noch eine Kuh angeflogen – willkommen bei "Just Cause 4"! Wir konnten das neue Open-World-Geballer von Avalanche Studios bereits anspielen und haben uns dabei ordentlich durchpusten lassen.

Ich könnte jetzt wieder ganz von vorne anfangen. Die Geschichte der "Just Cause"-Reihe rekapitulieren, die bisherige Story zusammenfassen, Hauptfigur Rico Rodriguez, das charmante Schlitzohr, im Detail vorstellen. Aber wenn Du auf diesen Text geklickt hast, interessiert Dich aller Wahrscheinlichkeit nach eigentlich nur eins:

Bietet auch "Just Cause 4" wieder herrlich überzogen-beknackte Actionsequenzen, die mit Realismus so gar nichts zu tun haben? Sind die Explosionen diesmal noch größer, noch saftiger, noch fetter? Kurz: Ist "Just Cause 4" wieder ein einziges Effekte-Brett? Die Antwort lautet: Ja – zumindest in großen Teilen. Das ist toll, aber in gewisser Weise auch problematisch.

Dein Auftrag: Alles in Schutt und Asche legen

In "Just Cause 4", das am 4. Dezember erscheint, legt Rico Rodriguez wieder einen sonnendurchfluteten Inselstaat in Schutt und Asche. Auf Solis (sprich "So-lies") unterhalten die fiesen Terroristen der sogenannten Schwarzen Hand ihre Basis und haben offenbar Ricos Papa entführt.

Als wäre das alles nicht frech genug, spielen sie nun auch noch Gott und experimentieren mit Wetterphänomenen herum. "So nicht", denkt sich Rico, packt die Bewaffnung einer mittelgroßen Privatarmee ein und zieht in einen explosiven Vernichtungskrieg.

Zwei aus allen Rohren ballernde Helikopter gegen Rico Rodriguez – unfair. Für die Helikopter. fullscreen
Zwei aus allen Rohren ballernde Helikopter gegen Rico Rodriguez – unfair. Für die Helikopter. Bild: © Square Enix 2018

So weit alles bekannt, denn schon die Beschreibung des Vorgängers aus dem Jahr 2015 las sich nur unwesentlich anders. Doch zwei große Neuerungen haben dann doch den Weg ins Spiel gefunden: Du kannst Ricos Waffenarsenal nun noch weiter verändern und Deinen persönlichen Wünschen anpassen. Außerdem gibt es jetzt Stürme – und die werden sehr schnell zum heimlichen Star von "Just Cause 4".

Wer Wind sät, wird Sturm ernten

Beim Anspieltermin in Hamburg halten sich die Entwickler von den Avalanche-Studios, die stolz ihr neues Baby präsentieren, nicht lange mit Nebensächlichkeiten auf und lenken die Aufmerksamkeit der anwesenden Journalisten gleich auf das neue Wetter-Feature. Solis besteht aus vier Klimazonen – Grasland, Wüste, Berglandschaft und Regenwald –, und in jeder dieser Zonen kommt es immer wieder zu massiven Tornados, die eine Schneise der Verwüstung durch das Land schlagen.

Zieht so eine optisch imposante Sturmfront auf, solltest Du schnellstens das Weite suchen, denn ein virtueller Sturm entscheidet nicht zwischen Freund und Feind, sondern reißt gnadenlos alles mit sich, was nicht festgenagelt ist: Dich, Deine Gegner, Autos, Passanten und – natürlich – Kühe. Der Film "Twister" aus dem Jahr 1996 lässt grüßen!

The Wind of Change: Dieses Szenario hatten die Scorpions sicher nicht im Sinn. fullscreen
The Wind of Change: Dieses Szenario hatten die Scorpions sicher nicht im Sinn. Bild: © Square Enix 2018

Besonders beeindruckend: Die Stürme tauchen teilweise zwar an festgelegten Punkten innerhalb der Story auf, sind also nicht wirklich zufällig generiert. Sie basieren aber trotzdem auf Berechnungen der brandneuen Apex-Engine. Sie werden dadurch zwar nicht streng physikalisch "korrekt" dargestellt, bleiben aber trotzdem immer unberechenbar passen und sich stets den topografischen Begebenheiten der Spielwelt an.

Einen Rico Rodriguez kann das aber nicht schocken: Stellst Du Dich geschickt an, kannst du einen Tornado sogar "reiten" – Ricos Wingsuit macht's möglich. Realistisch? Nein, natürlich nicht. Spaßig? Absolut!

Welchen Haken haben die Haken?

Zweite große Neuerung: Ricos patentiertes Hakensystem, mit dem er Objekte miteinander verbinden und manipulieren kann, ist nun noch flexibler. Je mehr Missionen Du abschließt, desto mehr Upgrades schaltest Du für deine Haken und Seile frei. So wird das Hakensystem, fast unbemerkt, zum komplexesten Spielelement in "Just Cause 4".

Du verfügst über drei verschiedene Konfigurationen mit jeweils mehreren Mods, zwischen denen Du mit nur einem Knopfdruck wechseln kannst. Dämliche Gegner an explodierende Propangasflaschen binden, schnell die Konfiguration wechseln und sich aus ein paar Seilen, Luftballons und einem Kettenfahrzeug einen fliegenden Panzer basteln – das geht in "Just Cause 4" innerhalb von ein paar Sekunden.

Mit etwas Spucke und Einfallsreichtum bringst Du den Kampf vom festen Erdboden in luftige Höhen. fullscreen
Mit etwas Spucke und Einfallsreichtum bringst Du den Kampf vom festen Erdboden in luftige Höhen. Bild: © Square Enix 2018

Deiner Kreativität – oder sollten wir besser von Zerstörungwut sprechen? – sind dabei kaum Grenzen gesetzt: Fast jedes noch so kleine Detail kannst Du nach Deinen persönlichen Vorlieben anpassen: Wie schnell sollen sich die Stahlseile nach dem Anbringen wieder zusammenziehen? Sollen sich Objekte bei Berührung abstoßen oder reglos verharren?

Wenn Du einen Gegner in "Metal Gear Solid 5"-Manier an einen Luftballon fesselst – soll der arme Tropf dann an Ort und Stelle schweben, Dir folgen oder direkt in den Himmel abzischen? Und wenn ja, wie schnell? Und die Luftballons – sollen die bei Feindbeschuss kaputtgehen? Oder nur, wenn Du auf sie schießt...?

In "Just Cause 4" sind Experimente nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. Bei meinem Probespiel bin ich über einen kleinen Jahrmarkt mit Karussell und Schiffschaukel gestolpert. An dieser Stelle nur so viel: Dort, wo einst der Jahrmarkt stand, klafft jetzt nur noch ein rauchender Krater. Dafür hat das betagte Karussell die Schallmauer durchbrochen!

Viel Bumm-Bumm – und sonst ...?

Klingt ja soweit alles super, oder? Trotzdem beschlich mich beim Probespiel eine gewisse Ernüchterung. "Just Cause 4" unterstreicht die Stärken der Reihe ein weiteres Mal, ignoriert die Schwächen jedoch auch in Teil 4 wieder beharrlich. Das könnte in Zeiten, in denen ein Open-World-Epos wie "Red Dead Redemption 2" völlig zurecht Höchstwertungen kassiert und die Grenzen des Mediums austestet, langsam zu einem Problem werden.

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Hoffentlich hat Rico sein Oropax dabei – hier knallt's eigentlich alle paar Sekunden. Bild: © Square Enix 2018

"Just Cause 4" versteht sich als zugänglicher, krawalliger Fast-Food-Happen für Freunde krachiger Action und völlig übertriebener Set Pieces – Hirn aus und Spaß haben lautet die Devise. Dagegen ist prinzipiell auch absolut nichts einzuwenden, doch auch die schönsten Explosionen nutzen sich irgendwann ab und man entwickelt einen gewissen Blick für Details und Feinheiten. Und hier liegt's bei "Just Cause 4" ein wenig im Argen.

Just Cause – Der Film...?
War da nicht was? Seit dem Jahr 2011 machen immer wieder mal Gerüchte über einen "Just Cause"-Film mit Jason "Aquaman" Momoa in der Hauptrolle die Runde. Da es auch sieben Jahre später keine neuen Infos gibt, dürfen wir das Projekt wohl unter "War wohl nix" abhaken. 

Dass die Story auch diesmal keinen Literaturpreis bekommen wird – geschenkt. Aber warum wirken die meisten Figuren wie aufgesetzte Klischees statt wie Menschen aus Fleisch und Blut? Wieso laufen zu viele Missionen nach dem immer gleichen Muster ab – rein, alles in die Luft sprengen, raus? Und warum sind die feindlichen Soldaten immer noch eine gesichts- und hirnlose Masse, die weder clever noch überraschend agiert?

Mit dicker Wumme ganze Autokorsos plattmachen: In "Just Cause 4" fast schon unspektakulär. fullscreen
Mit dicker Wumme ganze Autokorsos plattmachen: In "Just Cause 4" fast schon unspektakulär. Bild: © Square Enix 2018

Schon klar: Die Action, die Explosionen sind der Star. Aber der extreme Fokus auf diesen einen Teilaspekt sorgt leider dafür, dass viele andere unverzichtbare Bestandteile eines im Gameplay wahrhaft großartigen Spiels zu stiefmütterlich behandelt werden.

Während in "The Witcher 3" jede einzelne Nebenquest originell geschrieben und mitreißend inszeniert ist und "Red Dead Redemption 2" eine absolut lebensechte Spielwelt entwirft, geht es in "Just Cause 4" um den reinen Spaß an der Zerstörung, um Anarchie, ums Austoben. Reicht das?

Für den kleinen Hunger zwischendurch

Das ist vermutlich eine philosophische Frage, die hier nicht geklärt werden kann und soll – schon gar nicht auf Basis eines relativ kurzen Vorab-Eindrucks. Einfach mal die Sau rauslassen kann hier definitiv tierisch Spaß machen, aber so ganz ohne Substanz bleibt das Baller-Vergnügen doch recht schal und viel zu schnell stellt man sich die elementare Frage: Warum mache ich das eigentlich?

Das Open-World-Genre ist mittlerweile ein Haifischbecken, in dem ein paar große Fische um die Aufmerksamkeit der Spieler kämpfen, kleinere Sprotten aber schnell an den Rand gedrängt werden. "Just Cause" sollte sich langsam in Acht nehmen, nicht in die zweite Gruppe zu rutschen. Immerhin sind bereits drei DLC-Pakete angekündigt, die auch langfristigen Spielspaß garantieren sollen.

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Dieses Bild eines Lamas ist nicht sonderlich bedeutsam, aber wir fanden es einfach so schön. Bild: © Square Enix 2018

"Just Cause 4" erfindet die Dynamitstange also nicht neu, sondern bietet Fans genau das, was sie wollen: Action satt, und das noch größer, schöner und abstruser als je zuvor. Ich freue mich auf den Release am 4. Dezember und poliere schon mal die Enterhaken. Wie lange mich Rico und seine Explosionen letztlich von ruhigen Ausritten mit meinem getreuen Gaul Mister Snuggles in "Red Dead Redemption 2" abhalten können, muss sich dann aber erst noch zeigen.

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