Angespielt: Was macht "Kingdom Come: Deliverance" so besonders?

Der Heinrich-Simulator: "Kingdom Come: Deliverance" schickt mich als einfacher Sohn eines Schmieds auf Heldenreise.
Der Heinrich-Simulator: "Kingdom Come: Deliverance" schickt mich als einfacher Sohn eines Schmieds auf Heldenreise. Bild: © Warhorse Studios 2017

"Kingdom Come: Deliverance" ist ein ungewöhnliches Rollenspiel: Es setzt auf spielerischen Realismus, verzichtet auf Magie und Monster und macht viele Dinge ganz anders als vergleichbare Games. Wo funktioniert das – und wo nicht? Wir haben's ausprobiert und verraten Dir, was Du mitbringen solltest, um den Mittelalter-Simulator voll genießen zu können.

Disclaimer: Ist das ein Test?
"Kingdom Come: Deliverance" ist ein riesiges Spiel mit einer enorm langen Gesamtspielzeit. Wir halten es für schwierig, dem Game mit einer Testwertung gerecht zu werden, ohne zumindest die Hauptstory zum Abschluss gebracht zu haben – was uns bislang nicht möglich war. Um Dir trotzdem zeitnah zum Release einen Eindruck bieten zu können, nähern wir uns "Kingdom Come: Deliverance" im Rahmen dieses Anspiel-Berichts mit einer vorläufigen Wertung.

Ein umfangreiches Open-World-Rollenspiel vor historischer Kulisse, das das Leben des einfachen Schmiedesohns Heinrich im Mittelalter spiel- und spürbar machen soll – das war der Pitch, mit dem Entwickler Daniel Vávra ("Mafia") und seine Warhorse Studios bei Kickstarter zahlreiche Backer überzeugen konnten. Nun ist "Kingdom Come: Deliverance" erschienen und eines wird schon in den ersten Spielstunden überdeutlich: Dieses Spiel ist ambitioniert. Viele Konventionen des klassischen Rollenspiels stellt es auf den Kopf und beweist stellenweise viel Mut. In seinen besten Momenten entsteht damit eine völlig einzigartige Spielerfahrung. Allerdings muss man dafür auch so einige Mängel in Kauf nehmen.

Was ist gelungen?

Positiv fällt von Anfang an die Gestaltung der Open-World auf. Burgen und Dörfer sind umgeben von malerischen Wiesen und Wäldern, generell wirkt die Welt weitläufig und lebendig. In den Ortschaften sind Menschen und Tiere unterwegs und auch wenn es gerade in der Stadt Rattay durchaus ein paar mehr sein dürften und Texturen und Animationen bei genauem Hinsehen etwas altbacken wirken: Atmosphäre baut "Kingdom Come: Deliverance" zweifellos auf, wozu auch die guten Synchronsprecher und der tolle Soundtrack beitragen.

Die Landschaft in "Kingdom Come: Deliverance" ... fullscreen
Die Landschaft in "Kingdom Come: Deliverance" ... Bild: © TURN ON/Warhorse Games 2018
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... ist geradezu malerisch, ... Bild: © TURN ON/Warhorse Games 2018
... hat aber auch ihre dunklen Seiten. fullscreen
... hat aber auch ihre dunklen Seiten. Bild: © TURN ON/Warhorse Games 2018
In der Stadt Rattay fühle ich mich schnell zuhause. fullscreen
In der Stadt Rattay fühle ich mich schnell zuhause. Bild: © TURN ON/Warhorse Games 2018
Lediglich ein bisschen belebter dürfte das Örtchen gern sein. fullscreen
Lediglich ein bisschen belebter dürfte das Örtchen gern sein. Bild: © TURN ON/Warhorse Games 2018
Nachts patrouilliert immerhin die Stadtwache. fullscreen
Nachts patrouilliert immerhin die Stadtwache. Bild: © TURN ON/Warhorse Games 2018
Die Landschaft in "Kingdom Come: Deliverance" ...
... ist geradezu malerisch, ...
... hat aber auch ihre dunklen Seiten.
In der Stadt Rattay fühle ich mich schnell zuhause.
Lediglich ein bisschen belebter dürfte das Örtchen gern sein.
Nachts patrouilliert immerhin die Stadtwache.

Das wohl größte Alleinstellungsmerkmal von "Kingdom Come: Deliverance" ist sein Versuch, spielerischen "Realismus" zu erzeugen. Damit ist nicht einmal die vor historischen Gegebenheiten – einem Erbfolgekrieg im Böhmen des Jahres 1403 – ablaufende Handlung gemeint: Die erwählt sich zwar akribisch recherchierte reale Ereignisse als Hintergrund, erzählt vor dieser Kulisse aber eine fiktionale Geschichte, die als klassische Heldenreise mit Rache-Motiv (zunächst) eher wenig innovativ ist. Vielmehr steckt der wahre Realismus in der Kombination verschiedener Spielsysteme, die alle einem Ziel dienen: ein möglichst lebensnahes Spielgefühl in einer mittelalterlichen Gesellschaft zu vermitteln. Wer mit dem Bogen zielt, hat daher kein Fadenkreuz und wer einen Helm mit Sehschlitzen aufsetzt, sieht dank Ego-Perspektive fast nichts mehr. Fertigkeiten verbessern sich durchs Benutzen, lediglich für Perks werden vereinzelt Punkte verteilt.

Ein Rollenspiel mit Betonung auf "Rolle"

Auch Survival-Mechaniken wie Hunger, Ausdauer und Müdigkeit gehören aber dazu, ebenso ein Tag-Nacht-Wechsel, oder die bloße Tatsache, dass NPCs anders mit Heinrich interagieren, wenn er blutverschmiert oder verdreckt ist. Wenn er sich einem Adligen gegenüber patzig verhält, bekommt er zudem recht schnell zu spüren, dass er eben doch nur ein Schmiedesohn ist – solche Konsequenzen sorgen dafür, dass ich mich gut in den Hauptcharakter und die dargestellte Zeit einfühlen kann.

Heinrich (rechts) ist der Sohn des Schmieds. Kein Held also, sondern ein ganz normaler Typ. fullscreen
Heinrich (rechts) ist der Sohn des Schmieds. Kein Held also, sondern ein ganz normaler Typ. Bild: © TURN ON/Warhorse Studios 2018
Als sein Dorf niedergebrannt wird, sinnt er auf Rache. fullscreen
Als sein Dorf niedergebrannt wird, sinnt er auf Rache. Bild: © TURN ON/Warhorse Studios 2018
Mit dem schnöseligen Adligen Hans gerät er mehrfach aneinander – Schwertduelle inklusive. fullscreen
Mit dem schnöseligen Adligen Hans gerät er mehrfach aneinander – Schwertduelle inklusive. Bild: © TURN ON/Warhorse Studios 2018
Heinrich (rechts) ist der Sohn des Schmieds. Kein Held also, sondern ein ganz normaler Typ.
Als sein Dorf niedergebrannt wird, sinnt er auf Rache.
Mit dem schnöseligen Adligen Hans gerät er mehrfach aneinander – Schwertduelle inklusive.

Der Realismus ist aber ein zweischneidiges Schwert. So fällt es doppelt ärgerlich auf, wenn die Rädchen mal nicht ineinandergreifen, wenn Dialoge nur mittelmäßig geschrieben sind (was durchaus öfter vorkommt), Handlungen zu wenige bleibende Konsequenzen haben oder wenn das Spiel bestimmte Dinge einfach nicht erlaubt – was durchaus etwas so Banales wie das Mitnehmen einer herumliegenden Axt sein kann.

Punkten kann das Game wiederum mit seinem Questdesign. Zwar ist der Verlauf der Hauptstory grundsätzlich vorgegeben, oft führen aber mehrere Wege zum erfolgreichen Abschluss einer Aufgabe – und selbst wenn eine Quest vermeintlich scheitert, entpuppt sich der Fehlschlag manchmal nur als weiterer Lösungsweg. Ungewohnt: Viele Questgeber warten nicht, bis wir uns zu ihnen bequemen. Wenn wir nicht zum verabredeten Zeitpunkt da sind, sind manche Nebenaufgaben einfach verloren. Auf dieses Spiel mit der inneren Uhr sollte man sich einlassen können: Dieses Gameplay-Element ist, zusammen mit dem Flechtwerk aus Quests und Lösungswegen, eines der wichtigsten und gelungendsten Merkmale von "Kingdom Come: Deliverance".

Was ist gewöhnungsbedürtig?

Trotz Open-World-Versprechen ist "Kingdom Come: Deliverance" – zumindest zu Beginn – im Grunde ein absolut lineares Singleplayer-Spiel. Dass ich nicht einfach Waffe und Rüstung in die Hand gedrückt bekomme und dann frei durch die Gegend ziehen darf, verunsichert zunächst. Sandbox-Aspekte sind erst einmal nur sehr zurückhaltend zu finden, dafür gibt's viel Einführung in Story und Gameplay und vorgezeichnete Wege. Das dürfte sich später aber noch ändern, auch wenn die Linearität der Hauptstory, basierend auf fortgeschrittenen Spielberichten, wohl erhalten bleiben wird.

"Kingdom Come: Deliverance" hat auch klassische Rollenspiel-Werte, ergänzt sie aber mit Gameplay, das Fingerspitzengefühl vom Spieler fordert. fullscreen
"Kingdom Come: Deliverance" hat auch klassische Rollenspiel-Werte, ergänzt sie aber mit Gameplay, das Fingerspitzengefühl vom Spieler fordert. Bild: © TURN ON/Warhorse Studios 2018
Perks verleihen Heinrich teils kuriose "Spezialfähigkeiten". fullscreen
Perks verleihen Heinrich teils kuriose "Spezialfähigkeiten". Bild: © TURN ON/Warhorse Studios 2018
Im Glossar finden Hobby-Historiker allerlei Wissenswertes zum historischen Hintergrund des Spiels. fullscreen
Im Glossar finden Hobby-Historiker allerlei Wissenswertes zum historischen Hintergrund des Spiels. Bild: © TURN ON/Warhorse Studios 2018
Die Übersichtskarte ist liebevoll gestaltet. fullscreen
Die Übersichtskarte ist liebevoll gestaltet. Bild: © TURN ON/Warhorse Studios 2018
"Kingdom Come: Deliverance" hat auch klassische Rollenspiel-Werte, ergänzt sie aber mit Gameplay, das Fingerspitzengefühl vom Spieler fordert.
Perks verleihen Heinrich teils kuriose "Spezialfähigkeiten".
Im Glossar finden Hobby-Historiker allerlei Wissenswertes zum historischen Hintergrund des Spiels.
Die Übersichtskarte ist liebevoll gestaltet.

Schnell fällt zudem auf, dass Geduld vielleicht die wichtigste Tugend ist, die man für "Kingdom Come: Deliverance" mitbringen sollte. Heinrichs Heldenreise entfaltet sich sehr gemächlich, statt langer Spielabschnitte stehen zu Beginn zahlreiche Cutscenes an, in denen die Geschichte und ihre historischen Umstände erzählt werden. Bis ein Pferd für zügiges Reisetempo zur Verfügung steht, vergehen gut sieben Spielstunden, vorher ist kaum Gelegenheit, die Spielwelt überhaupt zu erkunden. Das Aufleveln von Fertigkeiten benötigt dazu ebenso Zeit wie das rein motorische Erlernen von Fertigkeiten wie Bogenschießen, Schwertkampf oder Alchemie.

Für wen eignet sich 'Kingdom Come: Deliverance'?
  • Fans epischer Singleplayer-Spiele
  • Rollenspieler mit Realismus-Faible
  • Historienfans
  • Geduldige Spieler, für die es etwas langsamer vorangehen darf

Sehr gewöhnungsbedürftig ist die Speicherfunktion. Es gibt Auto-Speicherpunkte, zudem kann der Spielstand durch Schlafen gesichert werden. Der gewohnte Klick auf "Spiel speichern" im Menü verbraucht allerdings ein Item namens Rettungsschnaps, das erst hergestellt oder gekauft werden muss. Das sorgt für Entscheidungen von mehr Tragweite, ist aber sehr hinderlich, wenn man mal nur kurz Zeit zum Spielen hat und nicht die Hälfte davon mit dem Weg zur nächsten Schlafstatt verbringen will. Mit zunehmendem Spielverlauf dürfte sich hier Gewöhnung einstellen, ob das wirklich die beste Lösung für das "Problem" inflationären Speicherns ist, wage ich aber zu bezweifeln.

Was stört?

Die auffälligsten Schwächen von "Kingdom Come: Deliverance" sind technischer Natur: Bugs und Glitches begegne ich so einigen und wenn ich bei einer Verfolgungsjagd zu Pferd plötzlich im Bach feststecke und dank eines unglücklich gesetzten Autospeicher-Punkts die letzten 15 Minuten wiederholen muss, ist das unnötig ärgerlich. Optische und akustische Mängel kommen dazu: Gesichter sind zwar detailliert, aber ausdruckslos. Die Gestik in Dialogen erinnert ans Marionettentheater, Lippenbewegungen passen nicht zum Gesagten, der Dialog-Sound ist gelegentlich schlecht abgemischt, sodass Stimmen hinter der Musik verschwinden, teilweise fehlt die Sprachausgabe ganz. Hier wird hoffentlich noch viel gepatcht.

4 Spiele, an die 'Kingdom Come: Deliverance' erinnert
  • "Gothic": Ähnlich wie der Rollenspiel-Klassiker von Piranha Bytes setzt auch "Kingdom Come: Deliverance" voraus, dass man technische Schwächen verzeihen kann, um an die Highlights zu gelangen
  • "The Elder Scrolls 5: Skyrim": Offene Spielwelt, mittelalterliches Setting, durch Nutzung gelevelte Skills – auch ohne Magie lässt sich "Skyrim" in der Ahnenreihe nicht verleugnen
  • "The Witcher 3": Vor allem das ausgefeilte Quest-Design erinnert an das Abenteuer mit Hexer Geralt
  • "Die Sims": Heinrich ist nicht nur der Hauptcharakter, sondern auch mein persönliches "Projekt". Ich forme ihn nach meinem Willen und muss auch noch dafür sorgen, dass er nicht verhungert

Eher spielerischer Natur sind Ärgernisse wie die schwammige Kampfsteuerung. Sie funktioniert über ein komplexes System mit Trefferzonen und Schlagrichtungs-Kontrolle, wobei NPCs die gleichen Werte, Stärken und Schwächen wie der Spieler haben sollen. Theoretisch. Praktisch sind die Gegner selbst im Kampf Mann gegen Mann regelmäßig übermächtig, was vielleicht realistisch ist, aber auch sehr frustrierend. Kämpfe gegen zwei oder drei Gegner sind im Grunde gar nicht zu gewinnen. Das ist einerseits okay, denn viele Kämpfe lassen sich mittels Redekunst umgehen. Andererseits führt die Vermeidungsstrategie aber auch dazu, dass im Ernstfall sowohl dem Spieler als auch Heinrich die Übung (beziehungsweise die hochgelevelten Skills) fehlen. Und dann wird's frustig.

Kämpfe sollte man in "Kingdom Come: Deliverance" möglichst vermeiden. Heinrich kriegt hier in der Regel gehörig eins auf die Mütze – im Faustkampf genauso, ... fullscreen
Kämpfe sollte man in "Kingdom Come: Deliverance" möglichst vermeiden. Heinrich kriegt hier in der Regel gehörig eins auf die Mütze – im Faustkampf genauso, ... Bild: © TURN ON/Warhorse Studios 2018
... wie beim Hauen mit Schwert und Schild. fullscreen
... wie beim Hauen mit Schwert und Schild. Bild: © Warhorse Studios 2017
Bogenschießen macht Spaß, erfordert aber viel Übung, um effektiv zu sein. fullscreen
Bogenschießen macht Spaß, erfordert aber viel Übung, um effektiv zu sein. Bild: © Warhorse Studios 2017
Leider kein Einzelfall: Bugs aller Art gibt's noch reichlich. fullscreen
Leider kein Einzelfall: Bugs aller Art gibt's noch reichlich. Bild: © TURN ON/Warhorse Studios 2018
Kämpfe sollte man in "Kingdom Come: Deliverance" möglichst vermeiden. Heinrich kriegt hier in der Regel gehörig eins auf die Mütze – im Faustkampf genauso, ...
... wie beim Hauen mit Schwert und Schild.
Bogenschießen macht Spaß, erfordert aber viel Übung, um effektiv zu sein.
Leider kein Einzelfall: Bugs aller Art gibt's noch reichlich.

Fazit: Grenzgeniale Geschmackssache

Der Versuch, historischen und spielerischen Realismus zur Grundlage eines spannenden Rollenspiels zu machen, ist so größenwahnsinnig, dass er kaum reibungslos funktionieren kann. Tut er auch nicht: "Kingdom Come: Deliverance" hat ein gewöhnungsbedürftig langsames Tempo, zahlreiche technische und einige spielerische Schwächen, scheitert stellenweise an den eigenen Ansprüchen und wird sicher viele Spieler schon in den ersten paar Stunden verlieren.

Hinter der spröden Fassade schimmert aber auch immer wieder eine gewisse Genialität durch, die "Kingdom Come: Deliverance" im Kern auszeichnet. Die zu entdecken, ist sicher nicht für jeden etwas. Wer sich trotz der Ungeschliffenheit auf das Game einlassen kann, bekommt aber ein Rollenspiel, das mutig neue Wege geht und in seinen besten Momenten ein ziemlich immersives Spielerlebnis schafft.

Angebot
Kingdom Come: Deliverance
Kingdom Come: Deliverance
  • Datenblatt
  • Hardware und software
  • Release-Datum
    13.02.2018
  • Genre
    Open-World-Rollenspiel
  • Plattform
    PC, PS4, Xbox One
  • Publisher
    Deep Silver
  • Entwickler
    Warhorse Studios
  • USK
    18
TURN ON Score:
3,7von 5
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