Eine Superheldin mit Gedächtnisschwund und gewaltigen Kräften – das kann problematisch werden. Dennoch ist "Captain Marvel" spaßiges Popcorn-Kino mit einer gewissen Prise Retro-Charme, die durchaus noch etwas intensiver hätte ausfallen dürfen – unsere spoilerfreie Kritik zum neuesten Marvel-Film.
- Eine Origin-Story zwischen Alien-Fronten
- Der Retro-Charme zündet nicht immer
- "Captain Marvel": Mehr Macht, weniger Spektakel?
- Fazit: Tolles Popcorn-Kino – nicht mehr, nicht weniger
Nach über zehn Jahren hat Marvel sich endlich getraut, eine weibliche Heldin in den Mittelpunkt eines Films zu stellen: "Captain Marvel" ist zugleich eine der mächtigsten Figuren im MCU (Marvel Cinematic Universe) und wird standesgemäß von Oscar-Preisträgerin Brie Larson ("Raum") verkörpert. Ihr Superhelden-Debüt ist ein Prequel zu den bisherigen Marvel-Filmen (ausgenommen "Captain America: The First Avenger"), das uns zurück in die 1990er-Jahre entführt.
Eine Origin-Story zwischen Alien-Fronten
Als Supersoldatin Vers steht Larson im Dienste des intergalaktischen Imperiums der Kree, das Kinogänger bereits in "Guardians of the Galaxy" kennenlernen durften. Die Kree befinden sich im Krieg mit den Skrulls, die in der Lage sind, das Aussehen jedes beliebigen Lebewesens zu kopieren. Wie genau Vers zur Frontkämpferin geworden ist, weiß sie nicht mehr – ein Gedächtnisverlust verschleiert ihre persönliche Vergangenheit.
Ein schief gelaufener Einsatz unter ihrem Kommandanten Yon-Rogg (Jude Law) lässt sie auf den Planeten Erde abstürzen, wo sie ihre eigene Geschichte wiederentdeckt, die natürlich eng mit dem Krieg der Welten zusammenhängt. Eine erfrischende Herangehensweise an eine Superhelden-Origin-Story, denn nichts anderes ist "Captain Marvel": ein erklärender Prolog zur wichtigen Rolle, die die Heldin wohl in "Avengers: Endgame" innehaben wird. Ihre mächtigen Superkräfte hat sie zu Beginn des Films noch nicht.
Auf der Erde trifft Vers auf den jungen S.H.I.E.L.D.-Agenten Nick Fury (Samuel L. Jackson), der sich mit ihr zusammen gegen eine vermeintliche Alien-Invasion unter dem Skrull-Anführer Talos (Ben Mendelsohn) stellen will. Das Buddy-Verhältnis zwischen Vers und Fury ist einer der Dreh- und Angelpunkte in "Captain Marvel", die Chemie zwischen den beiden stimmt. Das sorgt für die Comedy-Elemente, die mittlerweile für Disney-Produktionen à la Marvel und "Star Wars" typisch sind. Vor allem Jackson stellt sich hier in den Dienst der Sache, während Larson vor allem bei charakterstarken Szenen überzeugt.
Die ursprüngliche Comic-Story von Captain Marvel ist überaus kompliziert. Für die MCU-Version entstand ein einfach zu erklärender "Remix" der Heldin und ihrer Entstehungsgeschichte.
In den Comics hatten mehrere Figuren den Titel "Captain Marvel" inne, darunter der Kree-Wissenschaftler namens Mar-Vell, die Hafen-Polizistin Monica Rambeau und eben Carol Danvers alias Vers.
Alle drei Personen kommen in der Kinoversion vor, allerdings wird darin nur Vers zur Superheldin. Eine weibliche Fassung von Mar-Vell ist hier eine Schlüsselfigur in Vers' Vorgeschichte und Monica Rambeau tritt als Tochter ihrer besten Freundin Maria in Erscheinung.Der Retro-Charme zündet nicht immer
Bei "Captain Marvel" hat sich das Team um Produzent Kevin Feige und das Regie-Duo Anna Boden und Ryan Fleck ("Dirty Trip") an bewährten Konzepten der Superhelden-Saga bedient. Das muss man ihnen nicht vorwerfen, nach einem Jahrzehnt MCU wird es schwer, das Rad immer wieder neu zu erfinden. Daher bekommen wir ein wenig "Thor"- und "Captain America"-Feeling um die Ohren: Vers ist in einer ihr fremden Zeit auf einem fremden Planeten gestrandet. Garniert wird das Ganze mit einer Prise des Retro-Charmes, den viele Zuschauer in "Guardians of the Galaxy" so geliebt haben.
Der Hype um "Captain Marvel" wurde stark mit dem Retro-Erlebnis des 90er-Settings verknüpft. Zwar finden viele witzige Anspielungen ihren Weg in den Film, ich kann mir aber vorstellen, dass einige Filmfans in dieser Hinsicht etwas enttäuscht das Kino verlassen werden. Der 90er-Soundtrack ist nicht so detailverliebt in die Story eingewebt wie die Kult-Musik in "Guardians of the Galaxy" und einige der Easter Eggs sind wohl eher US-Zuschauern geläufig und verpuffen daher leider etwas. Ein Retro-Feuerwerk wie etwa in Netflix' 80er-Kult-Serie "Stranger Things" sollte man in "Captain Marvel" nicht erwarten.
"Captain Marvel": Mehr Macht, weniger Spektakel?
Die Handlung von "Captain Marvel" schließt zwar das Schicksal mehrerer Welten ein. Dennoch fühlte sich der Film für mich an, als spiele er sich auf einer viel kleineren Skala ab, als etwa "Doctor Strange" oder "Spider-Man: Homecoming". Vielleicht liegt das auch daran, dass es in "Captain Marvel" verhältnismäßig wenige bombastische Szenen mit vielen Statisten vor großer Kulisse gibt. Stattdessen wird der Film bewusst persönlich und versucht dabei Brie Larson als Charakterdarstellerin in Szene zu setzen, was oft gelingt.
Mit dem Prequel nimmt sich "Captain Marvel" einigen erzählerischen Problemchen der bisherigen Marvel-Filme an und versucht so, Löcher in der Gesamtgeschichte zu stopfen. Am Ende ist der Film aber visuell weniger eindrucksvoll als "Thor: Ragnarok" und in Sachen Handlung weniger schwergewichtig als "Black Panther".
Fazit: Tolles Popcorn-Kino – nicht mehr, nicht weniger
Wer sich auf ein Filmerlebnis freut, das – frei nach dem PR-Slogan von "Captain Marvel" – schneller, höher und weiter geht als vorherige Marvel-Filme, sollte seine Erwartungen vielleicht etwas im Zaum halten. Das Debut der wichtigen Heldin bleibt trotzdem ein großer Kinospaß, der auch einen Vorgeschmack darauf gibt, wie das MCU nach "Avengers: Endgame" aussehen könnte – auch wegen der Skrulls.