Ich habe "Fallout 76" seit einem Jahr nicht gespielt. Das brandneue Update "Wastelanders" soll endlich die Trendwende einläuten und das MMO-Rollenspiel so gut machen, wie es schon am Releasetag hätte sein sollen. Hat das geklappt? Wie es sich anfühlt, nach so einer langen Pause wieder "Fallout 76" zu starten.
- Menschen! Echte Menschen!
- Ich kann besser labern als Du
- Heeey ... Wussteeeest ... Duuuuu ... Schoooon ...
- Verhandeln? Naaaah.
- Der Anfang ist erst der Anfang
Vielleicht erinnerst Du Dich: Ich war einer der ganz wenigen, die "Fallout 76" nicht in Grund und Boden kritisiert haben – im Gegenteil, zu meiner großen Überraschung hatte ich wirklich bemerkenswert viel Spaß im virtuellen Ödland. In meinem Review habe ich festgehalten, was mir an "Fallout 76" gut und weniger gut gefiel, als es im November 2018 erschienen ist.
Mein persönlicher Spielspaß ändert aber nichts daran, dass das Online-Shooter-Rollenspiel durchweg katastrophale Wertungen erhalten hat und als einer der größten Flops in der Firmengeschichte von Hersteller Bethesda gilt. Der Imageschaden war verheerend, die meisten Spieler wollten "Fallout 76" nicht mal in Schutzkleidung spielen. Nach einigen halbgaren Updates ist nun die große Erweiterung "Wastelanders" da, die alles größer, schöner und besser machen soll. Endlich richtige NPCs! Neue Fraktionen! Endlich Dialog-Optionen! Hat sich das Warten gelohnt? Meine Eindrücke nach den ersten Stunden.

Menschen! Echte Menschen!
Einer der größten Kritikpunkte zum Start von "Fallout 76" war, dass in den digitalen Appalachen keine menschlichen NPCs herumgurkten. Mich hat das nie gestört, weil ich Quests und neue Aufgaben lieber selbst entdecke, statt mich von irgendwelchen Honks quer über die Map schicken zu lassen. Aber da sind sie nun, echte, menschliche NPCs. Und ich muss zugeben: Sie lockern das beizeiten etwas monotone Überleben im Wasteland auf.
Die seltsamen Gestalten, die man als Atom-Überlebender so trifft, verleihen dem Trip durch das Ödland mehr Persönlichkeit und Charakter. Die ersten beiden im Spiel warten vor dem Bunker 76 auf mich, wo meine Reise damals begann. Ich soll – schon wieder – die Aufseherin finden und lerne – schon wieder –, wie ich mein mobiles Basislager errichte. "Wastelanders" versucht sich am Spagat, sowohl Veteranen als auch absolute Neulinge abzuholen. Für hochrangige Spieler mag der Auftakt Kinderkram sein, und das ist er im Grunde auch, wirklich spannend wird's erst später. Trotzdem ist dieser halbe Reset gelungen – Profis bekommen einige dringend benötigte Anreize, das Spiel wieder anzuwerfen, und Anfänger kriegen vom Start weg die bislang beste Version von "Fallout 76".

Ich kann besser labern als Du
Der Einzug menschlicher Charaktere in "Fallout 76" bringt ein paar Nebeneffekte mit sich, schöne und nicht so schöne. Der beste: Das Dialogsystem ist grundlegend überarbeitet – beziehungsweise: Endlich gibt es eines. Wie in älteren "Fallout"-Spielen kann ich Unterhaltungen mit NPCs beeinflussen, je nachdem, wie ich meinen Charakter entworfen habe.
Ist meine Stärke entsprechend hoch, drohe ich einem vorlauten Rowdy ein paar saftige Schellen an, und schon gibt er klein bei. Mit einem hohen Intelligenzwert kann ich lästige Nebenaufgaben überspringen und gleich die Belohnung für eine gelöste Quest einstreichen. Und endlich haben meine Charisma-Punkte, die für überzeugte Solospieler wie mich bis jetzt nahezu wertlos waren, eine Berechtigung. Ein paar schmeichelnde Worte zur rechten Zeit, und schon habe ich mich bei meinem Gegenüber beliebt gemacht. Wie befriedigend das ist! Das Dialogsystem ist für mich die beste Neuerung von "Wastelanders" und bringt zumindest einen Hauch von Rollenspiel zurück ins Geballer.

Heeey ... Wussteeeest ... Duuuuu ... Schoooon ...
Menschliche NPCs und mehr Dialoge peppen "Fallout 76" spürbar auf, aber ein Makel hat das neue Gelaber doch. So ziemlich am Anfang des DLCs bekomme ich eine Aufgabe von einer forschen Barkeeperin, die mir ihren Text so vorträgt, wie die allermeisten Gespräche in Videospielen klingen: starr, künstlich, völlig unnatürlich und mit viel zu langen Pausen. Dieser Dialog im Schneckentempo zerrt ohnehin an meinen Nerven, doch es kommt noch schlimmer: Am Tresen sitzt ein anderer Typ, der sich regelmäßig ins Gespräch einklinkt. Zeitlupen-Gelaber mal zwei. Die Barkeeperin redet und redet, dann verstummt sie, die Kamera schwenkt zum Tresenheini, der redet ein bisschen, er ist fertig. Die Kamera schwenkt zurück auf die Barkeeperin, die fängt wieder an zu reden, und so weiter. Und. Das. Dauert. Alles. So. Lange.
Letztendlich habe ich mir zwei Minuten träges Slow-Motion-Geschwätz angehört, nur um am Ende ohnehin zum Ar*** der Welt geschickt zu werden. Hätte man auch in zehn Sekunden klären können. Ja, ich weiß, ein vergleichsweise unwichtiges Detail, aber mich nervt sowas tierisch, diese kaum verhüllte Streckung der Spieldauer in Videospielen. Zeit verschwende ich schon im eigentlichen Spiel genug, vielen Dank. Dann kommt wenigstens zügig zum Punkt und labert mir keine Bulette ans Ohr, Leute.

Verhandeln? Naaaah.
In "Wastelanders" treten zwei verfeindete Fraktionen auf, die "Fallout"-Experten natürlich kennen: die friedfertigen Siedler und die martialischen Raider, die generell erst ballern und dann fragen. Zu Beginn meiner Quest lerne ich beide Parteien kennen und arbeite mittels des neuen Reputations-Systems an meiner Beliebtheit in beiden Lagern. Und da hatte ich beim Zocken einen schönen Moment der Klarheit.
Ich kann meine erste Begegnung mit den Raidern blutig lösen oder diplomatisch. Meine Charakterwerte sind entsprechend hoch, also lasse ich mein Charisma und meine Redegewandtheit spielen. Der Raider-Chef will, dass ich ihm irgendwas bringe, als Zeichen meines guten Willens. Ich gucke auf die Map und sehe das Quest-Symbol irgendwo am bereits erwähnten Ar*** der Welt. Weil mein Charakter zu vollgeladen ist mit Ausrüstung und Schrott, kann ich nicht schnellreisen. Innerlich kriege ich gerade einen Schreikrampf.

Dann fällt mir ein: Ich spiele gerade ein Videospiel. Nichts von dem, was ich tue, hat Konsequenzen, das ist alles nur Puppentheater mit geiler Grafik. Ich sollte hier Spaß haben, verdammt noch mal. Also zücke ich mein gutes, altes Repetiergewehr (auch in der Postapokalypse ziehe ich ballistische Waffen diesem neumodischen Laser-Quatsch vor) und ballere die Raider-Brut ohne ein weiteres Wort über den Haufen, bis sie alle tot, tot, tot sind. Mache ich sonst nie, sowas, ich versuche es immer diplomatisch. Aber weil ich im Herzen ein Hippie bin und mich am Ende sowieso gegen die Raider wenden werde, kann ich doch von Anfang an Remmidemmi machen. Es war toll. Es war befreiend. Ich glaube, "Fallout 76" hat mir nie so viel Spaß gemacht.
Der Anfang ist erst der Anfang
Ich bin wirklich noch am Anfang von "Wastelanders" – und recht angetan, allerdings auch nicht hysterisch begeistert. Allein das oben angesprochene Schnellreise-Problem stürzt mich in eine ernsthafte Gewissenskrise, ob ich a) mein Inventar komplett ausmisten sollte, um wieder schnellreisen zu können, b) alles schön behalte, dafür aber jede verdammte Reise zu Fuß bestreiten muss, oder c) stattdessen mal wieder ein gutes Buch lese. "Fallout 76" hat es mir noch nie leicht gemacht, was das angeht.
Aber ich merke: In meinem Trigger-Finger kribbelt es wieder. Ich liebe freies Erkunden, die virtuellen Appalachen sind beizeiten wirklich umwerfend schön gestaltet, und "Fallout" hat auch in schwächeren Momenten einen Charme, dem ich mich schwer entziehen kann. Und vom "Wastelanders"-Update habe ich ja einiges noch nicht gesehen, etwa die versprochene Möglichkeit, mit Gefährten ein kleines Techtelmechtel zu beginnen. Ein bisschen Eskapismus in dieser seltsamen, ermüdenden Zeit ist doch genau das Richtige.

Und außerdem ist "Wastelanders" ja völlig kostenlos – wenn Du das Hauptspiel besitzt, kostet es Dich keinen Cent. Es spricht also nichts dagegen, "Fallout 76" noch einmal anzuschmeißen und dem Game eine zweite Chance zu geben. Ich bin froh, dass es ich getan habe, denn ich glaube: Ich bleib dran.
Und sei es nur, um der Barkeeperin einen kleinen Crashkurs in Sachen "Reden wie ein normaler Mensch" zu verpassen.