Auf dem Papier müsste "Maneater" mein Traumspiel sein. Ich liebe Open-World-Games und als großer Fan von allem, was im Meer schwimmt, war ich vom Konzept "'GTA' mit einem Hai" sofort begeistert. Nach dem Anspielen bin ich jedoch ein wenig ernüchtert. Warum "Maneater" mehr Biss vertragen hätte.
- Hai-ter weiter
- Meer für's Auge
- Panik in der Hai Society
- Die erste Regel des Hai-t Club lautet...
- (K)ein Hai-denspaß
- Noch nicht ganz Hai Class
Hai-ter weiter
Das Konzept einer offenen Spielwelt verspricht nahezu grenzenlose spielerische Freiheit, ungebändigte Kreativität, ein Füllhorn der Möglichkeiten! Doch viel zu oft erschaffen Spielehersteller wunderschöne virtuelle Welten – nur um uns dann mal wieder als Gangster oder wild rumballernder Psychopath auf hirnlose Zerstörungsmissionen zu schicken. "Maneater" vom "Killing Floor"-Entwickler Tripwire Interactive geht einen anderen Weg: Hier spielst Du einen Hai, der sich vom Baby zum König des Meeres entwickelt und dabei ganze Strände leerfrisst. Ich hatte schon immer eine Schwäche für alles, was im Ozean schwimmt – und war dementsprechend heiß auf "Maneater".
Nun ist das fertige Spiel da. Ich konnte erst ein paar Stunden reinspielen. Vielleicht dreht der Titel zum Ende hin ja noch richtig auf, aber bislang macht "Maneater" zwei entscheidende Fehler. Zum einen ist die Bedienung hakelig. Das ist lästig, aber verschmerzbar. Viel enttäuschender ist, dass der Hersteller Tripwire, wie so viele andere Spielefirmen, nicht recht verstanden hat, was "GTA" so besonders macht – und warum es nicht reicht, eine Spielwelt mit Sammelaufgaben zuzuklatschen.

Meer für's Auge
Nach einem charmant-reißerischen Start, der den Tierhorror-Klassiker "Orca, der Killerwal" von 1975 zitiert, wage ich meine ersten zaghaften Schwimmversuche als Baby-Hai. Meine Aufgabe: Nautischen Schrecken verbreiten, die gesamte Spielwelt erobern und mich nebenbei vom Minihai zur kolossalen Killermaschine entwickeln. Und die ersten paar Minuten war ich ganz verzückt.
Die bunt schillernde Unterwasserwelt wirkt wunderbar farbenfroh und lebendig, die trügerisch ruhigen Flossenbewegungen meines Hais (den ich im Kopf übrigens Hainer Lauterbauch taufe) vermitteln schon in seiner Baby-Form die eiskalte Eleganz seiner Spezies. Ich lerne, dass mir das Fressen von Fischen und anderen Meeresbewohnern nicht nur Lebensenergie gibt, sondern auch Entwicklungspunkte für meine evolutionäre Karriere. Ich schalte regelmäßig neue Entwicklungsstufen frei, die herrlich abstruse Verbesserungen für Hainer mit sich bringen: Etwa einen verbesserten Sonar zur Orientierung oder elektrifizierte Zähne (!), die meine Opfer kurzfristig unter Strom setzen.
Kommentiert wird das Spielgeschehen vom US-Comedian Chris Parnell, der etwa in der von mir vergötterten Animationsserie "Archer" als Cyril Figgis zu hören ist. Mit seiner trocken-süffisanten Art meldet er sich immer wieder zu Wort, um besonders blutrünstige Aktionen von mir zu loben oder mich gelegentlich mit Trivia-Fakten über Haie und andere Meeresbewohner zu überraschen. In seinen besten Momenten fühlt sich "Maneater" an wie eine nicht ganz ernst gemeinte, sensationalistische Tierdoku über "DEN KILLER DER MEERE!", wie sie nachts bei uns auf Infotainment-Sendern laufen.

Panik in der Hai Society
Apropos "blutrünstig": Hai-Horror ohne literweise vergossenes Blut und panisch schreiende Badegäste ist keiner. Also nehme ich Kurs auf einen der zahllosen Strände und attackiere menschliche NPCs. Und anfangs macht es wirklich Laune, per Knopfdruck aus dem Wasser zu schießen, einen zappelnden Angler aus seinem Boot zu reißen und ihn mit ein paar Bissen in schwimmendes Hackfleisch zu verwandeln. Das wiederum ruft schwer bewaffnete Hai-Jäger auf den Plan, die mich unter allen Umständen erlegen wollen – und hier beginnen die Probleme von "Maneater".
Sobald ein bisschen mehr los ist auf dem Screen, wird's schnell unübersichtlich und chaotisch. Vor allem die Jäger machen das Schmausen zur nervlichen Belastungsprobe: Ihre Harpunen treffen schnell und hart, selbst wenn ich 20 Meter in die Tiefe tauche. Die Kollegen scheinen wirklich über bewundernswert scharfe Augen zu verfügen – sobald sie mich einmal im Blickfeld haben, kleben ihre Laserpointer an mir wie Oktopustinte. Ich muss exakt die richtige Zehntelsekunde zum Ausweichen abwarten, sonst schrumpft mein Lebensbalken schneller als das Great Barrier Reef. Und weil die Steuerung im Ganzen schon klar geht, die Auto-Lock-Funktion zum Anvisieren aber immer wieder planlos zwischen nahen und weit entfernten Zielen wechselt, pfeife ich bald auf jede Taktik und knüppel mich einfach durch.
Ich schieße also aus dem Wasser, ramme ein paar Boote, schnappe nach Menschen, springe hektisch herum, ziehe mich immer wieder kurz zurück und beginne von vorne. Wüstes Knöpfchendrücken reicht dabei meist schon, irgendwas werde ich schon treffen. Ich habe kaum das Gefühl, dass ich wirklich die Kontrolle habe und Hainer sich so bewegt, wie ich es gerne hätte. Filigran geht anders.

Die erste Regel des Hai-t Club lautet...
In Sachen Bedienung habe ich speziell das rudimentäre Kampfsystem schnell als Schwachpunkt des Spiels ausgemacht. Das zeigt sich schon in Duellen mit anderen gefährlichen Wassertieren wie den überall auftauchenden Krokodilen. Anvisieren, auf die Angriffstaste hämmern, ein bisschen Schaden verursachen und der anschließenden Gegenattacke ausweichen. So lange wiederholen, bis die Echse zu Krokoleder verarbeitet ist. Fertig. Ein Reviewer im Netz hat das Kampfsystem als "Dark Souls light" beschrieben, was ungefähr so ist, als würde ich sagen, dass Stanley Kubricks "2001" und "Der Aufstieg Skywalkers" im Grunde derselbe Film sind, weil in beiden Weltraum-Szenen vorkommen.
Spielerisch kommt "Maneater" also ein wenig zahnlos daher. Viel enttäuschender finde ich aber, dass Tripwire Interactive, wie so viele andere Entwickler, offenbar nicht recht verstanden haben, was den großen Genre-Konkurrenten "GTA" eigentlich so erfolgreich macht. Und das ist nun mal nicht, mich von einer Nebenmission zur nächsten zu hetzen und dabei alle paar Meter ein Collectible zu verstecken. Sondern eine authentische, lebendige Spielwelt zu erschaffen, die ich zu einem gewissen Grad zwar beeinflussen kann, in der ich aber doch nur ein winzig kleines Zahnrad bin. Wenn ich "GTA 5" ausschalte, glaube ich fast, dass das virtuelle Los Santos einfach weiterexistiert, auch wenn ich nicht daran teilhabe – so überzeugend ist die Illusion einer digitalen Welt.

(K)ein Hai-denspaß
In "Maneater" dagegen lebe ich nicht in dieser Welt, diese Welt lebt für mich. Schwimme ich in ein neues Gebiet, wird mir sofort angezeigt, was ich alles machen soll – ein paar Tiere jagen (schon wieder), Menschen fressen (schon wieder), den Miniboss des jeweiligen Gebiets killen (schon wieder). Für die Entwickler scheint es eine unerträgliche Vorstellung zu sein, ich könnte einfach mal ein paar Minuten (oder Stunden) durchs Meer schwimmen und mich an meinem Hai-Dasein erfreuen. Deswegen ködern sie mich in einer Tour mit Videospiel-typischen Beschäftigungsmaßnahmen, die schon bald zu wenig aufregender Routine verkommen.
Überall am Meeresgrund liegen Kisten mit Bonuspunkten für mich. Wie, warum und wann die dahin gekommen sind? Wurscht. Ich soll hell leuchtende Nummernschilder einsammeln. Wieso? Keine Ahnung, das macht man nun mal so in einem Videospiel. Am besten gefallen mir noch die "Sehenswürdigkeiten", die ich überall entdecke, wie etwa ein abgesoffenes Ruderboot, in dem sich zwei Skelette noch an den Händen halten. Das bringt mich kurz zum Schmunzeln, aber auch hier: So viele, immer wieder, so verschwenderisch eingesetzt, dass jedes Entdeckergefühl bald verloren geht und ich nur noch Icons auf der Map abarbeite. Bin ich wirklich der Einzige, der lieber eine kleinere Spielwelt hätte, in der dann aber jedes Detail stimmt? Warum nicht 20 wirklich einzigartige Collectibles statt 150 wahlloser?

Das ist es eben, was "GTA" so viel besser macht als "Maneater" und Konsorten – nicht, dass ich hier einen Gangster spiele und da einen Hai, das ist fast nebensächlich. Sondern das fast schon wahnhafte Streben nach Detailfülle und Authentizität. In "GTA 5" muss ich anfangs bessere Botengänge erledigen, mich ganz langsam hocharbeiten, lerne erst allmählich die Regeln dieser Welt kennen und die seltsamen Gestalten, die sie bevölkern. Wenn ich der filmreif inszenierten Story folge, weiß ich jederzeit, wer gerade Beef mit wem hat und in welcher Beziehung zu den Figuren ich eigentlich stehe. Würde man nur die Zwischensequenzen zusammenschneiden, hätte man ein ziemlich cooles Crime-Drama, das auch auf HBO laufen könnte.
Bei "Maneater" dagegen habe ich keinen Schimmer, wer all diese Haijäger-Minibosse sind, die ich regelmäßig hervorlocken soll. Und wieso ich mich überhaupt mit ihnen anlege. Ich fresse sie, bekomme Punkte, die Aufgabe ist abgehakt – und ich hab's in all dem Chaos kaum mitbekommen. Aber macht nix, da kommt schon der nächste. Und der nächste. Und der nächste. Wie langhailig.

Noch nicht ganz Hai Class
Ich will mit "Maneater" gar nicht so hart ins Gericht gehen, denn zum einen ist der Titel kein Vollpreisspiel und recht schnell durchgezockt. Ich kann da also kein Meisterwerk für die Ewigkeit erwarten, das ein ganzes Genre auf die nächste Stufe hievt. Zum anderen finde ich die ganze Idee immer noch irre sympathisch und würde einen Hai-Simulator jederzeit lieber zocken als den x-ten Militär-Shooter.
Ich bin trotzdem enttäuscht, weil "Maneater" das Zeug gehabt hätte zu einem kleinen, feinen Tierhorror-Reißer mit prickelnder Evolutions-Mechanik. Wäre es nur eigenständiger und selbstbewusster, statt müde Videospiel-Klischees zu bedienen und uns mit banalem Checklisten-Quatsch zu langweilen, der tragischerweise als unverzichtbar gilt für ein Videospiel.
Schon irgendwie grotesk, dass eine schnatternde Gans ein besseres Videospiel hat als der gottverdammte Weiße Hai.