Nach einer kleinen Pause als Filmregisseur meldet sich David Fincher sechs Jahre nach "Gone Girl" mit seinem neuen Werk "Mank" zurück. Ob er sich und uns mit dem Schwarz-Weiß-Film für Netflix einen Gefallen getan hat oder nicht, erfährst Du in unserer Kritik.
- Darum geht's in "Mank"
- "Citizen Kane" lässt grüßen
- Optisch ist "Mank" eine Wucht ...
- ... und erschreckend aktuell
- Eine Herzensangelegenheit für Fincher
- Fazit
In der heutigen Zeit dominieren krachende und bunte Blockbuster das Filmgeschäft. Da erfordert es Mut, sich für eine Schwarz-Weiß-Produktion zu entscheiden. Dass solch ein Film, wenn er gut gemacht ist, allerdings gut ankommt, zeigt schon der oscarprämierte "The Artist" von 2011. Das Drama weicht nicht nur optisch von der Norm ab, sondern ist obendrein ein Stummfilm. Und dann ist da natürlich auch "Roma" von Alfonso Cuarón, der 2019 mit drei Oscars ausgezeichnet wurde. Nun gibt's David Finchers Schwarz-Weiß-Film "Mank" auf Netflix – und auch er hat gute Chancen, im Oscarrennen mitzumischen.
Darum geht's in "Mank"
In "Mank" geht es um den alkoholkranken Drehbuchautoren Herman J. Mankiewicz (grandios gespielt von Gary Oldman) und dessen Schreibprozess, der zur Entstehung von Orson Welles Meisterwerk "Citizen Kane" führt. Infolge eines Autounfalls bezieht Mankiewicz für eine Weile eine Ranch in der Mojave-Wüste, um sich dort zu erholen und in Ruhe das Skript zu verfassen. Er wird von der deutschen Pflegerin Freda (Monika Gossmann) umsorgt, seine Sekretärin Rita Alexander (Lily Collins) unterstützt Mankiewicz beim Schreibprozess, indem sie seine Worte zu Papier bringt.
Allerdings springt der Film immer wieder in die Vergangenheit zurück und zeigt, wie Mankiewicz die vergangenen zehn Jahre verbracht hat, wie er sein Standing als bedeutender Autor in Hollywood immer mehr verliert, welche Bekanntschaften er pflegt und wie es zum Streit zwischen ihm und Orson Welles um die Autorenschaft von "Citizen Kane" kommt.
"Citizen Kane" lässt grüßen
Was David Fincher hier allerdings abliefert, ist viel mehr als ein biografischer Abriss von Herman "Mank" Mankiewicz. Es ist eine Hommage ans klassische Hollywoodkino und eine Verbeugung, wenn nicht sogar ein Kniefall, vor "Citizen Kane". Der Regisseur verwendet immer wieder Stilmittel, die bereits Orson Welles in seinem Meisterwerk verwendete und damit seinerzeit Meilensteine setzte. Teilweise sind es sogar identische Einstellungen, wie zum Beispiel das kleine Fläschchen, das Mank aus der Hand gleitet und zu Boden fällt – bei Welles ist es zu Beginn von "Citizen Kane" die Schneekugel.
Sogar der Aufbau des Films erinnert an den des Meisterwerks von 1941: Er beginnt 1940, springt aber immer wieder in die Vergangenheit zurück, um auf wichtige Ereignisse in Mankiewicz' Leben einzugehen. So wird auch das entscheidende Geschehen rund um Medienmagnat Charles Foster Kane (Orson Welles) in Szene gesetzt.
Außerdem nutzt Fincher langsame Überblendungen statt schnelle Schnitte und untermauert die Standpunkte der Figuren – ebenfalls wie Welles und viele nach ihm – mithilfe von Auf- und Untersicht. Gerade am Ende, wo sich Herman Mankiewicz und Orson Welles in die Haare bekommen, wird dieses Stilmittel eindrucksvoll genutzt.

Optisch ist "Mank" eine Wucht ...
Zusammen mit Kameramann Erik Messerschmidt (beide drehten auch schon gemeinsam die Netflix-Serie "Mindhunter") vermittelt David Fincher das Gefühl, "Mank" stamme tatsächlich aus der gleichen Zeit wie "Citizen Kane". Der Film war schon während der Dreharbeiten auf die Schwarz-Weiß-Darstellung ausgelegt und entsprechend wurde die Beleuchtung angepasst. "Mank" wurde nicht – wie viele andere Filme – in Farbe gedreht und erst in der Postproduktion umgewandelt.
Um darüber hinaus die Ästhetik eines klassischen Hollywoodfilms zu vermitteln, hat Fincher die Bildqualität im Nachgang um rund zwei Drittel heruntergeschraubt, um weichere Konturen zu erhalten. Sogar kleine "Fehler", die in früheren Filmen typisch waren, hat der Regisseur bewusst eingebaut. Hier und da ist in der oberen Bildecke ein Kreis zu sehen, der früher den Arbeitern im Projektionsraum eines Kinos angezeigt hat, wann die Rolle gewechselt werden musste. Es sind die kleinen Dinge, an die Fincher gedacht hat, die "Mank" so außergewöhnlich machen.
Oder wann hast Du das letzte Mal einen klassischen Vorspann gesehen? Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr daran erinnern. Statt eines Cold Openings oder Credits, die während der ersten Szene nebenher gezeigt werden, rückt Fincher den Titel sowie die Beteiligten bewusst in den Fokus.
Und wer ganz genau hinschaut, erkennt sogar, dass David Fincher während der Aufnahmen im Auto auf Leinwände und Rückprojektionen zurückgreift, statt eine Kamera im fahrenden Auto zu platzieren.

... und erschreckend aktuell
Zwar spielt "Mank" vor allem in den 1930er- und 1940er-Jahren, doch die zentralen Themen könnten genauso gut aus der heutigen Zeit stammen: Es geht um den Kampf der Kinos, wie diese die Menschen nach der Weltwirtschaftskrise wieder in die Säle bekommen und die Schwierigkeiten der Studios, große Filme zu produzieren. Heute zeichnet sich ein ganz ähnliches Bild ab, was natürlich zum einen mit der Corona-Pandemie zu tun hat (die während der Dreharbeiten allerdings noch nicht abzusehen war), zum anderen aber auch mit dem Aufkommen der Streaminganbieter.
Genauso geht es aber auch um Fake News und die Macht der Medien, was politische Entscheidungen angeht. In "Mank" ist es der Schriftsteller Upton Sinclair, der im Wahlkampf um den Gouverneursposten von Kalifornien für die Demokraten mitmischt, allerdings gegen die Republikaner verliert – nicht zuletzt wegen einiger Falschmeldungen.

Eine Herzensangelegenheit für Fincher
Es ist nicht zu übersehen, dass "Mank" für David Fincher ein Herzensprojekt ist. Das Drehbuch stammt von seinem 2003 verstorbenen Vater Jack, durch den David Fincher erst seine Liebe zum Film entdeckt hat. Für Fincher Senior – und vermutlich zahlreiche andere Filmliebhaber – war und ist "Citizen Kane" einer der größten Film aller Zeiten.
Ein solches Ansehen wird "Mank" vermutlich nicht erhalten, doch David Fincher darf sich der einen oder anderen Oscarnominierung sicher sein – und möglicherweise am Ende sogar mit mehr Preisen nach Hause gehen als einst Orson Welles mit "Citizen Kane".
In gewisser Weise sind sich Orson Welles und David Fincher gar nicht so unähnlich: Welles galt 1940 nach seinem revolutionären Radiohörspiel "Der Krieg der Welten" als Wunderkind, wurde vom Filmstudio RKO Pictures Inc. engagiert und erhielt für sein nächstes Filmprojekt – "Citizen Kane" – freie Hand. Ähnlich erging es auch David Fincher, der "Mank" für Netflix realisierte – und ebenfalls tun und lassen konnte, was er wollte.

Fazit: Vom Kenner für Kenner
Mit "Mank" hat sich David Fincher selbst übertroffen. Zwar ist das Biopic anders als die meisten seiner Filme, doch es ist optisch und inhaltlich auf den Punkt. Aber: Mit 131 Minuten ist "Mank" ziemlich lang geraten.
Kenner und Liebhaber des klassischen Hollywoodkinos werden mit "Mank" ihre pure Freude haben und können nach zahlreichen Verweisen und früheren Stilmitteln Ausschau halten. Auf der anderen Seite setzt Fincher beim Zuschauer viel voraus – zumindest, dass er "Citizen Kane" kennt.
Wer nicht im klassischen Hollywoodkino bewandert ist und die ganzen Verbindungen zwischen Mankiewicz, Welles und den anderen Figuren nicht kennt, für den könnte "Mank" zur Geduldsprobe werden. Wer allerdings etwas Hintergrundwissen und Durchhaltevermögen mitbringt, wird mit tollen Bildern, einer überraschend aktuellen Story und einem großartigen Cast (allen voran natürlich Gary Oldman) belohnt.