Gegeneinander, im Team oder als Einzelkämpfer: Ständig ziehen Superhelden los, um die Welt zu retten. Dabei streiten Fans schon lange, welcher der beiden Verlage DC und Marvel die cooleren Helden hat. Aber vielleicht ist das die falsche Frage.
Der Kampf der Giganten war bereits terminiert: Am 6. Mai 2016 sollte er stattfinden, in Tausenden Kinos der USA. "Batman v Superman" gegen "Captain America: Civil War". Der Comicverlag Detective Comics (DC) gegen den Comicverlag Marvel. Doch Warner, die Mutterfirma von DC, das Batman-Studio, zog den Starttermin des Films auf den 25. März vor – und betonte dabei, dass der März besser ins Konzept gepasst habe. Dabei wäre der Clash der Superhelden stellvertretend gewesen für die Studios, die sie produzieren. Denn das Superhelden-Genre wird von einem Duopol aus Marvel und DC bestimmt. In den nächsten Jahren sollen zwei Filme pro Jahr veröffentlicht werden. Der Plan von Marvel sieht Veröffentlichungen bis 2028 vor, die Strategie von DC ist ähnlich weit angelegt. Die Frage ist: Funktioniert das so lange? Diskussionen auf reddit heißen mittlerweile: "I think I'm getting bored of superhero movies."
Duell der Worte: DC legt vor ...
Tatsächlich stagnieren die Einspielergebnisse – zwar auf hohem Niveau, weil die Filme aber immer teurer werden, ist das dennoch riskant. So hat etwa "Batman v Superman" in Produktion und Marketing insgesamt 410 Millionen Dollar gekostet. Damit es nicht egal wird, wer gegen wen kämpft, und die Leute weiterhin ins Kino gehen, muss also ein Alleinstellungsmerkmal her. Vielleicht eine Rivalität zwischen DC und Marvel? Denn wer die cooleren Helden hat, darüber wird auf Fan-Treffen seit Jahrzehnten gestritten. Und DC hat diese eher redundante Debatte erneut angeheizt. "Die Welt von DC", sagte etwa Warner-CEO Kevin Tsujihara im März 2016, "ist realistischer. Sie ist ernsthafter und nicht so lustig wie die von Marvel." Und im Sommer legte Warner- Bros.-Präsident Greg Silverman nach: "Es ist viel mehr Intensität und Vorsatz in den Charakteren. Wir machen Filme über Superhelden, keine Superhelden-Filme."
... und Marvel zieht nach!
Die Retourkutsche ließ nicht lange auf sich warten. "Ich mag, was sie tun", sagte etwa Marvel-Regisseur Joss Whedon süffisant über DC. "Wenn sie es denn richtig machen." Samuel L. Jackson, der bereits in mehreren Marvel-Filmen auftauchte, schlug in die gleiche Kerbe: "Ich glaube, Marvel hat einen Weg gefunden, dem Publikum seine Filme zugänglicher zu machen … DC nicht". Marvel habe die richtige Balance aus Ernsthaftigkeit und lockerer Popcorn-Unterhaltung gefunden. Was unterstellt: DC nicht. Dabei waren die lange vor Marvel im Mainstream angekommen – vor allem mit den Superman-Filmen der 1970er und den Batman-Filmen von Tim Burton.

Marvel fiel in dieser Zeit vor allem damit auf, aus wirtschaftlicher Not die Rechte an seinen Figuren zu verkaufen – weswegen Spider-Man auch bei Sony erscheint und die X-Men bei 20th Century Fox. Im Jahr 2000 änderte sich das. Marvel begann, einen dreistufigen Plan für das sogenannte Marvel Cinematic Universe (MCU) zu entwerfen und ihn ab 2008, als "Iron Man" und "The Incredible Hulk" erschienen, im Kino umzusetzen. Die Idee: Alle Geschichten spielen im MCU – egal ob im Kino oder im Fernsehen. Seither werden in Marvel-Filmen andere Helden eingeführt, Spin-offs entwickelt, Storys weitergedacht. Durch das Cross-over der Figuren muss man alles gesehen haben, um zu verstehen, wer was warum tut.
Verbundenheit gegen Eigenständigkeit
Der Ansatz von DC war sehr viel unkoordinierter. "Je mehr, desto besser", das war lange die Maxime. Kreative konnten mit allen möglichen Ideen kommen, es war nicht wichtig, ob sie ins Konzept passten. Es gab ja keins. Bei Marvel muss man "Captain America: The Winter Soldier" gesehen haben, um "Agents of S.H.I.E.L.D." zu verstehen. Aber als Batman-Fan ist die Serie "Gotham" genauso unwichtig wie "Smallville" für Superman-Filme. Nicht nur die Figuren haben nichts miteinander zu tun, auch die Schauspieler nicht. So gab es seit Adam West sechs verschiedene Batmans, während Iron Man Tony Stark mittlerweile von niemand anderem mehr gespielt werden kann als von Robert Downey Jr.
Zudem war Warner/DC lange in einer föderalen Struktur organisiert, jede Abteilung agierte möglichst autark, was dazu führte, dass einer dem anderen die Idee verbot, anstatt auszuloten, ob man sie gemeinsam entwickeln konnte – so scheiterte etwa ein DC-TV-Projekt über Batmans Jugendjahre am Einspruch von Warner, das dadurch die Kinochance von Batman beeinträchtigt sah (was später allerdings mit Superman und "Smallville" zehn Jahre lang sehr erfolgreich funktionierte). Erst spät wurde aus DC Comics, lange aus New York geleitet, DC Entertainment in Kalifornien. Es ist eine Reaktion auf den Erfolg des Konkurrenten.
Marvel hat die Nase vorn
Seit "Iron Man" hat Marvel mehr als neun Milliarden Dollar erwirtschaftet und seinen Rivalen in Sachen Popularität überholt. Allein mit "The Avengers" hat Marvel mehr Geld verdient als die gesamte Comic-Industrie in den zwei Jahren vor Veröffentlichung des Films. Und selbst ein gefühlter Flop wie "The Incredible Hulk" war das nicht wirklich – der Film hat über 260 Millionen Dollar eingespielt. Dabei steht keiner dieser Filme allein, sondern hat nur den Zweck, die Figuren für "The Avengers: Infinity War" zu etablieren, dessen erster Teil 2018 ins Kino kommt. Jahrelange Arbeit, die nicht nur die verbundene Welt der Comicbücher ins Kino, sondern tonnenweise Geld bringt und den Konkurrenten nachhaltig beeindruckt.

David Goyer, der Regisseur des Warner/DC-Films "Suicide Squad", sagte: "Ich weiß, dass Warner sein Universum gern verbundener hätte. Darüber wird viel geredet, aber es ist kompliziert …". So wollte Christopher Nolan unter keinen Umständen, dass neben Batman noch andere Superhelden in seiner "Dark Knight"-Trilogie auftauchen – und weigerte sich zudem, die Regie anderer Superhelden-Filme zu übernehmen. Der Glaubwürdigkeit der Figur hat das gutgetan, dem finanziellen Erfolg kurzfristig auch, schließlich hat die Trilogie knapp zweieinhalb Milliarden Dollar eingespielt. Aber DC verpasste es dadurch auch, frühzeitig ein eigenes Comic-Universum aufzubauen. Der beliebteste Held hatte schließlich keine Zeit. Mehr eine Plattform als ein Film, holte "Batman v Superman" das nach. Unter anderem Wonder Woman war nur deshalb mit von der Partie, um möglichst elegant ein Mitglied der Justice League werden zu können, DCs Pendant zu den Avengers, 2017 im Kino.
Kann DC das Ruder herumreißen?
Langfristig könnte das Pendel daher wieder zu DC umschlagen. Der große Vorteil: DC besitzt die Rechte an all seinen Figuren. So kann Marvel zwar Filme mit Hulk drehen, Universal besitzt allerdings die Vertriebsrechte – und das Recht, einzelne Hulk-Filme in Zukunft allein zu produzieren. Ähnlich war es bei Iron Man, Thor und Captain America. Marvel musste die Vertriebsrechte erst bei Paramount zurückkaufen. Ob das bei Hulk allerdings klappt, ist unklar. Schließlich besitzt Universal auch das Recht, die Marvel-Figuren im eigenen Themenpark auszustellen. Disney, seit 2009 Eigentümer von Marvel, würde das zwar gern ändern, schließlich hat der Konzern eigene Vergnügungsparks, aber das missfällt wiederum Universal. In langen Verhandlungen hat sich Marvel mittlerweile mit Sony darauf verständigt, Spider-Man mitbenutzen zu dürfen. Sony wird aber weiterhin einzelne Filme mit dem Spinnenmann drehen, denn große Namen garantieren große Aufmerksamkeit. Das ist umso wichtiger, je teurer die Filme werden. Daher liegt Marvel auch so viel an der langfristigen Etablierung der Charaktere durch viele verschiedene Filme: "The Avengers: Infinity War" wird voraussichtlich eine Milliarde Dollar (!) kosten. Gut, wenn man also vorher möglichst viele Fans an die Superhelden gebunden hat und dann alle in einen Film packt.

Aber wer hat denn jetzt die cooleren Helden? An gesellschaftliche Trends passen sich beide Verlage gut an. Seit 2014 ist Captain America ein schwarzer Zivilist, der die meiste Zeit seines Lebens als Sozialarbeiter gearbeitet hat. Das, sagt sein Autor Rick Remender, verändert auch seinen Charakter. Er habe damit auch ein größeres Mitgefühl für die Armen. Und er ist nicht der Einzige mit neuen Profil: Thor ist neuerdings eine Frau. Batwoman ist lesbisch. Green Lantern und Northstar sind schwul. Miss Marvel ist ein muslimisches Mädchen. Und Spider-Man ist der Latino Miles Morales (dem aber, um alle Fans mitzunehmen, der erwachsene Peter Parker als Mentor zur Seite steht). Veränderungen, auch das gilt für beide Verlage, sind nicht nur normal, sie sind auch gut fürs Geschäft, holen sie doch Minderheiten ins Boot und erschließen neue Märkte außerhalb der USA. Vor allem aber bieten sich dadurch Chancen, den alten Umhang mit ganz neuen Geschichten zu füllen.
Lukratives Geschäft mit Comicverfilmungen
Superman etwa ist seit 2004 im Comic "Red Son" auch als Kommunist unterwegs. Darin ist er eben nicht in Kansas abgestürzt und auf einer netten Farm aufgewachsen, sondern in der sibirischen Pampa gelandet, Kolchose inklusive. "Es ist eine wirklich billige Art und Weise, gute Ideen für Filme zu bekommen", sagt der Filmhistoriker Jonathan Kuntz von der University of California in Los Angeles. Tatsächlich lässt sich so mit relativ kleinem Budget testen, ob die neuen Geschichten beim Publikum funktionieren.

Das Geschäft mit Comics ist die Mine, in der die Filmstudios schürfen können. Zudem machen die Verlage Werbung für ihre Figuren und den Backkatalog und bleiben ohne besonders viel Aufwand im Gespräch. Und so gilt für Marvel wie DC: Beide sind schon lange keine Comic-Verlage mehr, die Filme produzieren. Es sind Filmstudios mit angeschlossener Zeichnerbude – die unter Volllast laufen und einen Film nach dem anderen produzieren. Schließlich gibt es nur einen Ort, an dem Superhelden sterben können. An der Kinokasse.
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