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"Metro Exodus" angespielt: Ist das noch "Metro"?

"Metro Exodus" bringt viele Neuerungen – darunter die Dampflok Aurora.
"Metro Exodus" bringt viele Neuerungen – darunter die Dampflok Aurora. Bild: © YouTube/metrovideogame 2019

Der Name "Metro" steht für schweißtreibend realistische Shooter-Action in Moskaus dunklen U-Bahn-Schächten und eine klaustrophobische Spielerfahrung – das galt zumindest bisher. "Metro Exodus" wagt sich nun erstmals an die Oberfläche und macht auch sonst einiges anders als seine Vorgänger. Ob das ein Schritt in die richtige Richtung ist, liest Du in dieser ausführlichen Preview.

In London konnte ich eine nahezu fertiggestellte Version von "Metro Exodus" für mehrere Stunden anspielen. Im folgenden Text werde ich Story-Spoiler so weit es geht vermeiden und mich stattdessen auf handfeste Fakten konzentrieren: Was ist neu in "Metro Exodus"? Welche frischen Gameplay-Ideen erwarten uns im mittlerweile dritten Trip durch das atomar verseuchte Russland? Ist "Metro Exodus" nun wirklich ein Open-World-Spiel oder nicht ...?

Jetzt mit Open World? Ja! Und nein.

Für "Metro"-Neulinge eine ganz kurze Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse: Artyom, unfreiwilliger Held der beiden Vorgängerspiele, hat mit einer zusammengewürfelten Bande illustrer Gefährten den Moskauer Untergrund verlassen und durchstreift in einer herrlich altmodischen Dampflok namens Aurora das von einem Atomkrieg verwüstete Russland des Jahres 2036.

Die Timeline
Die Timeline der bisherigen "Metro"-Spiele: "Metro 2033" spielt, nun ja, eben im Jahr 2033 und damit 20 Jahre nach einem verheerenden Atomschlag, der Russland großflächig verwüstete. Der Nachfolger "Metro Last Light" setzt die Geschichte nur ein Jahr später, also 2034, fort. "Metro Exodus" schließlich spielt im Jahr 2036. Protagonist Artyom ist mittlerweile 27 Jahre alt.

An Bord der Aurora bereist Du die gesamte Spielwelt – die Story von "Metro Exodus" wird ein gesamtes Kalenderjahr umfassen, sodass Du nicht nur den milden Frühling, sondern auch den bitterkalten russischen (und nuklearen) Winter erleben wirst.

Aber was ist denn nun mit der eigentlichen Welt, in der das neue "Metro"-Abenteuer spielt? Können wir uns darin völlig frei bewegen oder nicht?

Alles in Schutt und Asche: In gewissen Ecken sieht es an der Oberfläche auch nicht viel besser aus als in den stickigen Tunneln. fullscreen
Alles in Schutt und Asche: In gewissen Ecken sieht es an der Oberfläche auch nicht viel besser aus als in den stickigen Tunneln. Bild: © Koch Media 2019

Die Antwort ist nicht ganz einfach. Die Aurora stoppt regelmäßig an festgelegten Punkten innerhalb der Story. Heißt: Du kannst sie nicht jederzeit anhalten und verlassen, sondern nur dann, wenn das Spiel es Dir erlaubt. Keine Angst: Ob ein Überfall von Banditen, ein umgestürzter Baum auf den Schienen oder einfach nur ein simpler Motorschaden – die Entwickler haben sich schon genug Gründe einfallen lassen, den Interrail-Urlaub immer wieder zu unterbrechen und Dich auf ausgedehnte Erkundungsgänge zu schicken. Sobald Du den Zug verlässt, kannst Du die Umgebung aber tatsächlich relativ frei erforschen.

Stell es Dir so vor: Die Aurora fährt dich von einem "Level" zum nächsten, wobei jedes Level eine kleine Open-World darstellt. Dort kannst Du dich dann austoben, aber am Ende geht's immer zurück zur Dampflok und damit zur nächsten Runde. Gut zu wissen: Wenn Du ein Gebiet einmal verlassen hast, kannst Du nicht dorthin zurückkehren – erledige also am besten wirklich alles, bevor Du wieder in die Bahn steigst!

Sieht aus wie das Burning-Man-Festival, ist aber tatsächlich "Metro Exodus". fullscreen
Sieht aus wie das Burning-Man-Festival, ist aber tatsächlich "Metro Exodus". Bild: © Koch Media 2019

"Hol mir doch bitte meinen Teddybären!"

In den drei Levels, die ich probespielen konnte, hatte ich einiges zu tun: Auf der vereisten Wolga schlug ich mich mit einem fanatischen Kult und mutierten Riesen-Shrimps herum (Ekelfaktor 11), um eine Mutter und ihr Kind aus den Fängen der religiösen Fanatiker zu retten. In den dichten Wäldern der Taiga traf ich auf die sogenannten Kinder des Waldes, die sich am liebsten die Knochen erlegter Wildtiere umbinden. Und im grafisch eindrucksvollsten Level, der Wüste Karakum, jagten mir perfekt getarnte, da sandfarbene, Mutanten mehr als einmal einen Mordsschreck ein.

Zwar musst Du in jedem Gebiet eine ganz bestimmte Aufgabe erfüllen und damit die Story vorantreiben, aber eine Vielzahl von Nebenaufgaben drängt Dich sanft zur systematischen Erkundung. Schön ist, dass keine hässliche Mini-Map den Bildschirm verschandelt – die Karte existiert als physisches Objekt in der Spielwelt, auf das Artyom und Du auf Knopfdruck gemeinsam blicken, wie es etwa schon in "Far Cry 2" der Fall war. Das gibt ein ganz dickes Atmosphäre-Plus, wie es überhaupt löblich ist, dass die Entwickler von 4A Games auf jegliche HUD-Elemente komplett verzichtet haben. Heißt: Kein Lebensbalken, keine Questmarker – alles, was Dir bei der Orientierung hilft, ist Teil der Spielwelt.

Nein, ehrlich, das ist immer noch "Metro Exodus"! Versprochen! fullscreen
Nein, ehrlich, das ist immer noch "Metro Exodus"! Versprochen! Bild: © Koch Media 2019

Nicht so schön ist hingegen, dass manche der angesprochenen Aufgaben Dir "Ich bin eine Nebenquest in einem Videospiel!" förmlich ins Gesicht brüllen. Ein mysteriöses Funksignal zu untersuchen oder ein Munitionslager zu erkunden, passt ohne Weiteres ins knallharte "Metro"-Universum, in dem der Tod allgegenwärtig ist und Du für jede Hilfe dankbar bist. Aber ich soll wirklich Kopf und Kragen riskieren, um einem Kind seinen verlorenen Teddy zu bringen? Oder gar um eine gottverdammte Gitarre zu finden, damit wir während der Zugfahrt alle zusammen "Zehn Nackte Frisösen" grölen können? Das zerstört die so sorgfältig aufgebaute Immersion schneller als ein Atomschlag eine Borschtsch-Fabrik – und ganz plötzlich fühle ich mich nur noch wie ein Laufbursche in einem x-beliebigen Open-World-Game.

Kein Spiel mehr ohne Crafting

Und wofür das alles? Na, um Rohstoffe fürs Crafting zu bekommen natürlich! Immerhin schreiben wir 2019, und Du glaubst doch wohl nicht, dass Du Dir nicht auch in "Metro Exodus" die Finger wundbasteln wirst, oder? Ich kann allerdings direkt Entwarnung geben: Selbst ein Crafting-Hasser wie ich kommt mit dem extrem simplen System bestens zurecht. Ein neuer Aufsatz für die Lieblingswumme, eine bessere Schutzweste mit noch mehr Taschen oder einfach nur ein paar Molotov-Cocktails: Das alles kannst Du jederzeit und in Sekundenschnelle herstellen – Artyoms magischer Rucksack macht's möglich.

Für komplexere Änderungen und das Reinigen Deiner Waffen, die in abgewetztem Zustand viel von ihrer Feuerkraft verlieren und regelmäßig Ladehemmung haben, musst Du allerdings eine Werkbank aufsuchen. Und auch, wenn "Metro"-Fans jetzt kollektiv aufheulen: Das simple Crafting-System erinnert mich klar an "Fallout 76", das den Spieler auch nicht gerade mit unauslotbarer Tiefe überforderte. Aber: Mir gefällt das so. Immerhin will ich in die Spielwelt abtauchen und mich nicht mit kleinen und kleinsten Anpassungsdetails herumplagen müssen. Sonst könnte ich ja auch den "Landwirtschaftssimulator" spielen.

Rund 20 Jahre nach dem Atomangriff hätte man hier auch langsam mal aufräumen können. fullscreen
Rund 20 Jahre nach dem Atomangriff hätte man hier auch langsam mal aufräumen können. Bild: © Koch Media 2019

Die Technik hakt – oder ist Artyom ganz schön alt geworden?

Die "Metro"-Reihe ist bekannt für ihr unbarmherziges Gunplay, das nur wenige Fehler verzeiht. Das hat sich glücklicherweise nicht geändert: Auch die Gegner in "Metro Exodus" schießen scharf und genau. Nach ein paar eingesteckten Treffern ist meistens Feierabend – Bildschirm-Rambos dürfen sich also auf eine echte Herausforderung freuen! Wie gut, dass ich als Schleich-Spezi aber auch in bester Stealth-Manier vorgehen und möglichst unentdeckt durch die Gegend huschen kann. Das dauert zwar deutlich länger, spart aber die beiden wichtigsten Ressourcen im Spiel: Lebensenergie und Munition.

Leider war nicht jeder meiner Bildschirm-Tode nur auf meine mangelnden Scharfschützen-Skills zurückzuführen: Immer wieder blieb Artyom an Kanten hängen, kam nicht um die Ecke oder schaffte es nicht, sich an niedrigsten Vorsprüngen hochzuziehen. Sowas nervt in einem ohnehin schon recht knackigen Shooter ziemlich und ich wünsche mir hier noch ein bisschen Feinschliff. Momentan fühlt sich Artyom eher wie ein ungeschickter Frührentner und nicht wie ein kampfgestählter Survival-Profi an.

Freund oder Feind? Auch in "Metro Exodus" kämpfst Du nicht allein. fullscreen
Freund oder Feind? Auch in "Metro Exodus" kämpfst Du nicht allein. Bild: © Koch Media 2019

Überhaupt gestaltete sich das Probespiel von "Metro Exodus" beizeiten seltsam hakelig. Mehr als einmal nahm ich beispielsweise unwillentlich die Waffen erledigter Feinde auf, weil das Spiel nicht verstand, dass ich zwar looten, die Schießprügel aber liegen lassen wollte. Wieso kann ich einen Spind in Sekundenschnelle mit nur einem Knopfdruck öffnen, muss denselben Knopf aber mehrere Sekunden lang gedrückt halten um ihn auszuräumen?

Den größten Schnitzer leisteten sich die Entwickler aber im bereits angesprochenen Taiga-Level: Dort beschloss das Spiel, meinen Fortschritt automatisch abzuspeichern – Sekundenbruchteile, bevor ich eine Kugel in den Kopf bekommen habe. Die Folge: Ich lade neu, sterbe, lade neu, sterbe direkt wieder, atme tief durch, lade neu, bin tot, lade ein weiteres Mal. Irgendwann habe ich es dann mit viel Glück geschafft, sofort nach dem Neustart der Kugel irgendwie auszuweichen und konnte dann endlich, endlich weiterspielen. Trotzdem: In einem Blockbuster-Titel des Jahres 2019 haben solche Design-Todsünden schlichtweg nichts verloren. Hoffentlich wird das im fertigen Spiel anders laufen.

Der Weitblick in den offenen Spielabschnitten ist umwerfend – da möchte man gleich auf den nächsten Erkundungstrip gehen! fullscreen
Der Weitblick in den offenen Spielabschnitten ist umwerfend – da möchte man gleich auf den nächsten Erkundungstrip gehen! Bild: © Koch Media 2019

Ein gutes Spiel – aber auch ein gutes "Metro"-Spiel?

"Metro Exodus" macht es uns Metro-Fans nicht leicht. Auf der einen Seite punktet das Spiel mit einer wunderbar detaillierten Welt, die vor Charakter und Einzigartigkeit nur so strotzt. Wenn Du an Bord der Aurora stehst und über das Eismeer blickst, von dem die Sonnenstrahlen funkelnd reflektiert werden, ist das wahrlich atemberaubend. Das gedämpfte Atmen unter der Gasmaske, die knirschenden Schritte in Schnee und Geröll, die organische Einbindung von Kompass und Karte – in seinen besten Momenten entwickelt "Metro Exodus" einen Sog, dem sich Fans von storybasierten Action-Shootern nur schwer entziehen können.

Aber ein etwas schaler Nachgeschmack bleibt – auch wenn es mich selber schmerzt. Denn ich bin mir nicht sicher, ob sich die Entwickler mit der Neuausrichtung der Reihe einen Gefallen getan haben.

Während meines mehrstündigen Anspieltermins verspürte ich zu keiner Zeit die Beklemmung, die Klaustrophobie, dieses umbarmherzige "Komm hier irgendwie raus oder stirb"-Gefühl, das die Vorgänger so besonders machte. Im Gegenteil: Am virtuellen Horizont steht die Sonne hoch am Himmel, ein paar Rehe und Hasen hüpfen durchs Bild und meine Atemmaske brauche ich nur, wenn ich unterirdische Gänge erkunden will – da bleibt nicht mehr viel übrig vom "Metro"-Gefühl.

Spätestens, wenn ich auf die Waldkinder in Tierknochen-Montur treffe, wähne ich mich eher im nächsten "Rage", "Mad Max" oder "Far Cry New Dawn" und werde das ungute Gefühl nicht los, dass die Designer krampfhaft nach neuen Gegnertypen gesucht haben, ohne Rücksicht darauf, ob sie auch zur geerdeten, realistischen Atmosphäre der Reihe passen.

Auch wenn Du wieder hoffnungslos unterlegen bist, fühlt sich "Metro Exodus" bei Weitem nicht mehr so beklemmend an wie die Vorgänger. fullscreen
Auch wenn Du wieder hoffnungslos unterlegen bist, fühlt sich "Metro Exodus" bei Weitem nicht mehr so beklemmend an wie die Vorgänger. Bild: © Koch Media 2019

Und bekommt man erst mal einen Blick für solche Details, fallen einem immer mehr Ungereimtheiten auf: In jedem zweiten Bücherregal findest Du etwa die real existierenden "Metro"-Romane des Autors Dmitry Glukhovsky. Klar, das ist nur ein kleiner Gag der Entwickler, der das bis dahin so wasserdichte Worldbuilding aber irreparabel beschädigt. Denn entweder soll diese Welt hier "echt" sein oder eben nicht.

Noch schlimmer wird's im Falle des oben angesprochenen Teddys: Den habe ich natürlich gefunden und dem kleinen Kind zurückgebracht – um ihn im nächsten Level in jeder Ecke zu sehen, dasselbe braune Fell, dasselbe fehlende Knopfauge. In solchen Momenten wird einem schmerzlich klar: "Metro Exodus" ist eben doch "nur" ein Videospiel.

...wenn auch ein zugegebenermaßen sehr schönes Videospiel. fullscreen
...wenn auch ein zugegebenermaßen sehr schönes Videospiel. Bild: © Koch Media 2019

Ich freue mich nach wie vor auf "Metro Exodus", das am 15. Februar für PS4, Xbox One und PC erscheint. Aber: Ich habe meine Erwartungen ein Stück heruntergeschraubt. "Exodus" wird sicher ein gutes Spiel, aber ob es auch ein gutes "Metro"-Spiel wird, scheint mir gerade alles andere als sicher.

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