Mit "Midsommar" macht Ari Aster klar, dass er keine Eintagsfliege auf dem Regiestuhl ist. Nach "Hereditary" präsentiert der Filmemacher einen weiteren Horrorfilm, der zeigt, warum er aktuell als neuer Star des Genres gefeiert wird. Was "Midsommar" tatsächlich zu bieten hat, liest Du in unserer Filmkritik.
- Schwedenurlaub mal anders: Die Story
- Ari Aster: Ein Meister des Horrorgenres
- Familiäres Drama als Auslöser
- Mammutaufgabe für Augen und Verstand
- Fazit
Schwedenurlaub mal anders: Die Story
Anthropologie-Student Christian (Jack Reynor) ist in seiner Beziehung mit Dani (Florence Pugh) nicht mehr glücklich, er will mit ihr Schluss machen. Doch Dani wird mit einer furchtbaren Familientragödie konfrontiert, weshalb Christian nicht den Mut findet, sich von seiner verzweifelten Freundin zu trennen. Stattdessen lädt er sie ein, zusammen mit ihm und seinen Freunden Pelle (Vilhelm Blomgren), Josh (William Jackson Harper) und Mark (Will Poulter) nach Schweden zu reisen.
Pelles Familie lebt dort und das Midsommar-Fest steht an. Alle 90 Jahre feiert die Dorfgemeinschaft die Sommersonnenwende über einen Zeitraum von neun Tagen – und wie der Zufall es so will, ist es gerade wieder so weit. Für Christian die perfekte Gelegenheit, ein Thema für seine Dissertation zu finden. Das traditionelle Volksfest entpuppt sich jedoch schnell als absoluter Horrortrip.
Ari Aster: Ein Meister des Horrorgenres
Eines ist klar: Regisseur Ari Aster versteht sein Handwerk. Das zeigt sich schon darin, dass er einen Horrorfilm abliefert, der ausschließlich bei Tag spielt – und dem Zuschauer trotzdem unter die Haut geht. Während Filme wie "The Nun", "Insidious" und "Paranormal Activity" auf dunkle Szenarien, plumpe Jumpscares und teils vorhersehbare Plots setzen, verzichtet Ari Aster nahezu komplett auf solche Klischees. Das Grauen liegt viel tiefer.
Es ist der subtile Horror, der "Midsommar" so verstörend und gruselig macht. Mit ganz normalen Einstellungen schafft es Ari Aster, beim Zuschauer ein extremes Unbehagen hervorzurufen – zum Beispiel durch Kamerafahrten aus der Luft, die eine unverkennbare Ähnlichkeit zu denen in Stanley Kubricks "The Shining" aufweisen. Außerdem arbeitet Aster mit leichten Bildverzerrungen, die jedoch so gering ausfallen, dass man an seinem eigenen Sehvermögen zweifelt – und irgendwann auch am eigenen Verstand. Man muss mehrfach ganz genau hinsehen und sich fragen, ob die Augen einem gerade einen Streich spielen oder ob sich wirklich etwas verschoben hat.

Familiäres Drama als Auslöser
Wie in "Hereditary" beginnt der eigentliche Horror mit einer schrecklichen Familientragödie – mit der Ari Aster auch direkt einsteigt. Die ersten 20 Minuten beobachten und begleiten wir Dani, wie sie versucht, mit dem Geschehenen klarzukommen. Das, was Dani erlebt, nimmt uns genauso sehr mit wie die junge Frau selbst. Es ist vergleichbar mit der schockierenden Auto-Laternenpfahl-Szene aus "Hereditary".
Ähnlich wie Toni Collette in "Hereditary" hat "Midsommar" mit Florence Pugh eine starke Frauenfigur in der Hauptrolle. Pugh transportiert den Schmerz, den sie erleiden muss, überragend gut. Ich habe lange keine Schauspielerin mehr so überzeugend leiden gesehen – in jeder noch so kurzen Einstellung. Für ihren Charakter Dani ist die Schwedenreise ein ähnlicher Horrortrip wie für den Zuschauer. Immer wieder überkommen sie Schmerz und Trauer – bis am Ende buchstäblich die Katharsis auf sie wartet.
Teilweise ist "Midsommar" sogar lustig, was unter anderem dem Charakter von Will Poulter zu verdanken ist. Seine Sprüche lockern das ganze Setting hin und wieder auf, was dafür sorgt, dass Momente wie die Ättestupa-Zeremonie noch mehr schockieren, als sie es ohnehin schon tun. Selbst die heftigen Gore-Szenen haben etwas Komisches an sich. Doch ehe man sich's versieht, wird das Lachen von fassungsloser Stille abgelöst. Einige der verstörenden Szenen haben sogar etwas Ästhetisches an sich, was mich an die "Hannibal"-Serie erinnert hat.
Mammutaufgabe für Augen und Verstand
Ari Aster hat seine ganz eigene Filmästhetik, die besonders in "Midsommar" einen krassen Kontrast zum Inhalt darstellt. Alles wirkt so clean, strukturiert, symmetrisch. Die Festakte laufen in einer bestimmten Reihenfolge ab und man selbst passt genauso wenig in die Zeremonie wie die US-amerikanischen Studenten.
In all dieser Ästhetik platziert Ari Aster gekonnt zahlreiche Hinweise, die die spätere Handlung vorwegnehmen. Sie sind äußerst subtil gesetzt und wirken auf den ersten Blick willkürlich, zeigen aber im Nachhinein, wie viel Zeit sich der Regisseur genommen hat, um skandinavische sowie germanische Folklore zu studieren. Zum Beispiel ist keine der Runen auf den weißen Kleidungsstücken oder Steintafeln zufällig gewählt.
Ähnlich verhält es sich mit den Malereien an der Wand des Schlafhauses und auf der Leinwand, die auf der Wiese steht. Meist sind es nur kurze Einstellungen, doch einige davon verraten, was im Laufe des zwei Stunden und 27 Minuten langen Films passieren wird.
Fazit: Ari Aster mischt das Horrorgenre auf
"Midsommar" ist ähnlich wie "Hereditary" ein emotionaler Höllenritt. Ari Aster gelingt es mit visuellen Highlights, einer packenden Story und verstörenden Handlungen, den Zuschauer bis ins Mark zu erschüttern – ohne dabei auf bekannte Genre-Stilmittel zurückzugreifen. Obwohl ich zunächst skeptisch ob der Länge des Films war, verging die Zeit wie im Flug.
Trotz der Parallelen zu "Hereditary" vermag ich nicht zu sagen, ob "Midsommar" besser oder schlechter ist. Er ist anders! Ari Aster sorgt bei Tageslicht für Unbehagen und lässt dem Zuschauer kalte Schauer den Rücken runter laufen – und zeigt damit seinen Regie-Kollegen, dass Horror auch anders (und in meinen Augen besser) geht. Das soll ihm erst mal einer nachmachen ...