"Pokémon Let's Go" hat sich viel vorgenommen: Das erste Rollenspiel der Hauptreihe für die Nintendo Switch soll neue junge Spieler in die Welt der Taschenmonster holen, gleichzeitig richtet es sich als Remake von "Pokémon Gelb" an Nostalgiker und schlägt auch noch eine Brücke zu "Pokémon Go". Kann das gutgehen? Unser Test verrät's!
Ein echtes, vollwertiges Pokémon-RPG in schicker 3D-Grafik für eine "große" Nintendo-Konsole – darauf warten Fans der Monsterchen im Grunde seit 20 Jahren. Und ja, Nintendo und das zuständige Entwicklerstudio GameFreak sind dran, denn ein ganz neues Spiel der Hauptreihe soll 2019 erscheinen. Aber was sind dann "Pokémon Let's Go Pikachu" und "Pokémon Let's Go Evoli"? Eher eine Art Wartezeit-Überbrückung – aber eine sehr gelungene.
Zwischen allen Stühlen: Was will "Pokémon Let's Go"?
Mein erster Instinkt, als Nintendo die "Let's Go"-Spiele als moderne Remakes der alten "Gelben Edition" ankündigte: Hier soll die Nostalgie der alten Fans – zu denen ich mich definitiv zähle – noch einmal in bare Münze verwandelt werden.
Dann aber gab Nintendo bekannt: Das neue Poké-RPG soll sich dezidiert an Kinder und Jugendliche richten, viele Aspekte des Originals radikal vereinfachen und außerdem die Casual-Zielgruppe des Mobile-Spiels "Pokémon Go" ansprechen – also das Spielerlebnis vermeintlich so verwässern, bis Fans des Originals es absolut furchtbar finden.

"Typische Nintendo-Idee", dachte ich damals. "Groß gedacht, aber am Ende passt wieder nichts so ganz zusammen." Man kann sich meine Überraschung vorstellen als ich beim Test von "Pokémon Let's Go Evoli" feststellte: Der unwahrscheinliche Spagat, die Quadratur des Pokéballs sozusagen, funktioniert!
Zurück nach Kanto! "Pokémon Let's Go" weckt Nostalgie-Gefühle
"Pokémon Let's Go" konzentriert sich in seinen Grundzügen auf das, was das "Pokémon"-Franchise einst groß machte: 151 Monster zum Fangen und Trainieren, Kämpfe gegen andere Trainer und das schurkische Team Rocket, acht Arenaleiter, die besiegt werden müssen sowie – als krönenden Abschluss – Duelle gegen die mächtigen Top-Vier-Trainer und den Champion der Spielwelt Kanto.
Die Dörfer und Städte, die Arenaleiter, viele Trainer und natürlich die Monster erkennt dabei jeder sofort wieder, der die rote, blaue oder gelbe Edition einst auf einem GameBoy gespielt hat – und das sind, gemessen am Internet-Hype, den "Pokémon" heutzutage immer noch genießt – schon einmal ganz schön viele kaufkräftige Fans.
Die beiden Titelhelden Pikachu und Evoli (je nach gekaufter Edition das Monster, mit dem der Spieler ins Game startet) sind dabei auch noch besonders niedliche und populäre Pokémon, die sogar Nicht-Kennern bekannt sein könnten – einer von vielen Schritten, die "Pokémon Let's Go" unternimmt, um über die Nostalgiker-Zielgruppe hinaus zu punkten und Nachwuchs heranzuziehen.

Monster fangen mit Motion-Manko
Vor allem macht es dafür eine ganze Menge einfacher. Beispiel: Statt wilde Pokémon in Kämpfen zu schwächen und sie dann per Pokéball zu fangen, entfällt der Kampf nun. Stattdessen kommen sofort die magischen Bälle zum Einsatz und es gibt ein kleines Geschicklichkeits-Minispiel, das an das Fangen in "Pokémon Go" erinnert – nur, dass die Bälle hier nicht per Fingerwisch, sondern auf Knopfdruck (im Handheld-Modus) oder per Joy-Con-Bewegung (im TV-Modus) geworfen werden.
Wie schon von anderen Spielen gewohnt, entpuppt sich die Motion-Steuerung der Switch hier allerdings wieder mehr als Ärgernis als als Feature. Wer nicht zu viele Nerven lassen will, spart sich das Wedeln mit dem Controller und setzt beim Fangen auf den Handheld-Modus.
Von "Pokémon Go" hat sich "Let's Go" auch die Art des "Trainings" abgeschaut: Klassischerweise gibt's Erfahrungspunkte in "Pokémon"-RPGs für Kämpfe gegen wilde Monster und Trainer. Die Monsterkämpfe sind wie gesagt weg, die Trainerkämpfe bleiben als EP-Quelle erhalten, aber nun gibt es auch Erfahrungspunkte für's Fangen – und je mehr Pokémon derselben Art ich fange, desto mehr Erfahrung erhalte ich dafür. Doppelte Monster kann ich gegen Bonbons eintauschen, mit denen sich Werte wie Angriff, Verteidigung, Spezial-Angriff oder Lebenspunkte beliebig erhöhen lassen.
Komplexe Systeme, zweckdienlich überarbeitet
Wer in den alten Spielen Stunden damit zugebracht hat, seine Monster mit Trainings-Tricks nach Maß aufzutunen, wird sich von diesem derart simplen System und den in üppiger Zahl verfügbaren Boost-Süßigkeiten vermutlich fast beleidigt fühlen. Wer – wie ich – noch nie die Geduld hatte, alle Feinheiten der Zahlenwerte im Hintergrund des Kampfsystems zu ergründen, nimmt sie aber als willkommene Vereinfachung hin.
Ohnehin machen manche Vereinfachungen in dem Remake vor allem deutlich, wie klobig und unnötig kompliziert das Original oft war. Das ständige Ein- und Auswechseln von Pokémon in Kämpfen gehört etwa der Vergangenheit an – Erfahrung gibt es nun stets für das ganze Sechser-Team, auch wenn tatsächlich am Kampf beteiligte Monster nach wie vor mehr Erfahrung bekommen. Früher war dafür das Item EP-Teiler nötig, das man erst recht spät im Spiel bekam. Um neue Monster ins Team zu nehmen, ist nun auch nicht jedes Mal ein Ausflug ins nächste Pokémon-Center nötig – der Austausch lässt sich nun jederzeit vornehmen.
Intuitiver & leichter begreifbar als je zuvor
Etwas gewöhnungsbedürftiger ist, dass Zufalls-Kämpfe – ein absoluter Standard der Reihe – nicht mehr im Spiel sind. Wilde Pokémon laufen nun sichtbar herum, was nach etwas Umgewöhnungszeit aber auch mehr entspannt als stört: Sich im Mondberg durch Schwärme des Fledermaus-Pokémons Zubat zu häckseln, ist zwar eine Erinnerung, die jeder nostalgische Pokémon-Fan haben dürfte.
Wer mal ganz ehrlich zu sich selbst ist, wird aber wohl zugeben, dass das schon damals überhaupt keinen Spaß gemacht hat. Jetzt sind die Monster ständig sichtbar, ich kann mir aussuchen, welche ich fangen möchte und den anderen gehe ich aus dem Weg. Viel besser!
In vielerlei Hinsicht wird "Pokémon Let's Go" durch diese Änderungen intuitiver spielbar und leichter begreifbar. Dazu erklärt es viele Dinge besser als es noch im Original der Fall war und baut teils sogar Schranken ein, um unerfahrene Spieler vor dem Scheitern zu schützen – etwa, wenn die ersten Arenen erst betreten werden können, wenn ausreichend starke Pokémon im Team sind.
Schlau: Hilfe von erfahrenen Spielern per Couch-Koop
Eine weitere Hilfe und ein cleveres Feature zugleich ist der neue Zweispielermodus: Wird die Nintendo Switch am Fernseher genutzt, lässt sich das Spiel mit nur einem Joy-Con steuern. Wer den zweiten Joy-Con schüttelt, kann jederzeit als zweiter Spieler einsteigen. Die Welt erkundet man dann im Duo, in Kämpfen tritt man mit zwei Monstern an – also in doppelter Stärke, denn die Gegner bleiben gleich stark und haben auch weiterhin nur ein Pokémon.
Das nimmt natürlich sehr viel Schwierigkeit raus, ist aber tatsächlich perfekt für alle, die die Originale mit neun oder zehn Jahren gespielt und heute Kinder im ähnlichen Alter haben – sie können den Nachwuchs an die Hand nehmen und das Spiel gemeinsam entdecken. Das Multiplayer-Spielerlebnis im Couch-Koop ist für ein "Pokémon"-Rollenspiel etwas völlig Neues und schon jetzt eine Ergänzung, die gern ab sofort in jedes Spiel der Hauptreihe darf.

Klar, man kann die Koop-Funktion auch zum Schummeln nutzen und die rundenbasierten Kämpfe einfach alleine mit einem Joy-Con in jeder Hand und daher mit zwei Spielfiguren bestreiten. Für Veteranen ist "Let's Go" aber eh keine allzu große Herausforderung.
Wer sich ein bisschen mit dem Stärke-Schwäche-System der Serie auskennt und grob weiß, dass Käfer-Attacken gegen Pflanzen-Pokémon effektiv sind und Wasser gegen Feuer, wird die meisten Kämpfe im Handumdrehen für sich entscheiden. Das war aber ehrlich gesagt früher nicht viel anders – und wer ein allzu unterleveltes Team hat, zieht spätestens gegen den nächsten Arenaleiter auch jetzt noch den Kürzeren.

"Pokémon Let's Go" erweckt die alte Welt in moderner Grafik zu neuem Leben
Abseits von systematischen Änderungen an Kämpfen, Fangen und Trainieren – immerhin die Hauptaspekte jedes "Pokémon"-Spiels – ist "Pokémon Let's Go" natürlich vor allem grafisch ein Quantensprung für die Serie. Die Spielwelt ist detaillierter als je zuvor, trotzdem sind die alten Gebiete originalgetreu in die neue Engine übersetzt worden. Die Kämpfe machen dank neuer Effekte in HD-Grafik ebenfalls richtig was her.

Mimik und Gestik der Monster sind nun gut zu erkennen und deshalb niedlicher und mit mehr Persönlichkeit ausgestattet als je zuvor. Wenn Evoli und Pikachu freudig durch die Gegend tollen, weil sie einen hübschen Springbrunnen entdeckt haben, freut man sich als Spieler mit – ein schöner Anreiz, sich immer mal wieder mit den Monstern zu beschäftigen, sie zu füttern und zu kraulen. Glückliche Monster bringen im Kampf sogar Vorteile und zwingen sich manchmal zum Beispiel, einer Vergiftung oder einschläfernden Attacke zu widerstehen, um den Trainer nicht zu enttäuschen.
Fazit: Überarbeitung geglückt!
Natürlich richtet sich "Pokémon Let's Go" mit dieser niedlicheren Optik auch wieder vor allem an jüngere Spieler. Und ja: Wer die Reihe bisher als hochkompetitives, auf Zahlenwerten, Zufalls-Würfen und Resistenzen-Tabellen basierendes Kampf-Rollenspiel begriffen hat, wird mit vielen Änderungen an Kern-Mechaniken überhaupt nichts anfangen können und sich vor allem langweilen.
Gemessen am unmöglich erscheinenden Anspruch, Fans einen Nostalgie-Trip zu bieten und Einsteigern zugleich einen leichten Einstieg in die Welt der "Pokémon"-RPGs zu ermöglichen, ist "Pokémon Let's Go" aber eine erstaunliche Errungenschaft. Die "Pikachu"- und "Evoli"-Edition überzeugen als geglücktes Remake, nehmen alte wie neue Spieler mit und steigern die Vorfreude auf das nächste, völlig neue "Pokémon" auf der Switch. Welche Neuerungen es dann ins Spiel schaffen, wird spannend – aber ich bin zuversichtlich, dass GameFreak und Nintendo auch hier das richtige Maß finden.
Das hat uns gut gefallen | Das hat uns weniger gut gefallen |
Zeitlos gutes Spielprinzip | Motion-Steuerung zu ungenau |
Zugänglich für neue Spieler, zugleich aber mit viel Herz für Nostalgiker | Überarbeitung des Fang-Systems ist Geschmackssache |
Schicke Optik, die vor allem bei den Pokémon gut zur Geltung kommt | |
Viele sinnvolle Überarbeitungen im Gameplay | |
Spontan zuschaltbarer Zweispielermodus für Couch-Koop | |