Nach mehr als zwei Jahrzehnten kommt mit "Pokémon Schwert & Schild" erstmals ein Rollenspiel der Pokémon-Hauptreihe auf eine "große" Nintendo-Konsole. Ich habe einen kleinen Teil des kommenden Switch-Games angespielt und festgestellt: Der von manchen Fans erhoffte revolutionäre Bruch mit der Handheld-Vergangenheit ist der Titel mit ziemlicher Sicherheit nicht.
Die Pokémon-RPGs folgen seit der roten und blauen Edition einer ziemlich rigiden Formel, an der sich über die Jahre im Grunde wenig verändert hat: Storyseitig bricht stets der Held oder die Heldin auf, um möglichst viele und starke Monster zu sammeln, sich zum Champ der jeweiligen Region aufzuschwingen und nebenbei Kriminellen das Handwerk zu legen. Beim Gameplay sind die festen Säulen die Draufsicht von schräg oben, die fixierte Kamera und rundenbasierte Kämpfe – so kennen und mögen es Fans der Nintendo-Monster.
Große Hoffnungen in das erste große "Pokémon"
Aber es gibt auch viele, die sich von einer Generation zur nächsten mal ein bisschen mehr Veränderung wünschen als ein grafisches Update, ein paar neue Spielsysteme und neue Pokémon. Besonders deutlich wurde das einige Monate nach dem Release der Nintendo Switch: Maßgeblich inspiriert von "Zelda: Breath of the Wild" träumten Hobby-Trainer in Foren und Subreddits von einem epischen Open-World-"Pokémon", das die technischen Möglichkeiten der vollwertigen TV- und Handheld-Konsole voll ausschöpft und das Abenteuer-Gefühl endlich in ein zeitgemäßeres Format holt.

"Pokémon Schwert & Schild", das wiederum einige Monate später offiziell angekündigt wurde, war von Anfang an mit diesen Hoffnungen konfrontiert. Mittlerweile haben Trailer und Gameplay-Demos schon klargestellt, dass vieles davon sich nicht bewahrheiten wird und die neuen Games mehr Evolution als Revolution sind. Dieser Eindruck verhärtete sich beim Anspielen.
Demo-Inhalt: Rätseln & Kämpfen in der Wasser-Arena
"Schon mal 'Pokémon' gespielt?", fragt mich die Nintendo-Mitarbeiterin beim Anspiel-Event in Frankfurt, wo der japanische Publisher seine Demos von der E3 2019 in Deutschland noch einmal zur Schau stellt. Ja, hab ich – und entsprechend gespannt bin ich auf die Änderungen, die "Schwert & Schild" für die Serie mitbringen. In der Demo darf ich aber lediglich eine modifizierte Arena inklusive Kampf gegen die Leiterin ausprobieren. Die richtig spannenden Neuerungen wie das kürzlich enthüllte Open-World-Gebiet "Naturzone" mit seinen Raid-Monstern bleiben vorerst noch unter Verschluss. Trotzdem zeigt mir der kurze Einblick schon, was ich von den neuen Games erwarten sollte und was besser nicht.

Trotz mehr Räumlichkeit – die Kamera bleibt starr
Die augenfälligste Neuerung ist natürlich die im Vergleich zum Nintendo 3DS deutlich überholte 3D-Grafik, die die Umgebung – eine Wasser-Arena mit Schalter-Rätsel – schön plastisch aussehen lässt. Reflexartig zuppelt der rechte Daumen am Analog-Stick herum, um dann enttäuscht festzustellen: Die Kamera ist trotzdem, wie gewohnt, fixiert. Die Nachfrage an einen Mitarbeiter, ob sich das womöglich noch ändert, bleibt unbeantwortet – offenbar planen die Entwickler eine frei drehbare Kamera derzeit wirklich nur für die Open-World-Zone. Schade, denn gerade in der geräumigen Arena wäre ein bisschen mehr Freiheit bei der Perspektive für die Übersichtlichkeit durchaus hilfreich gewesen.

Nächste Frage: Was ist mit den Kämpfen? Auch hier bleiben "Schwert & Schild" der Formel treu und liefern das rundenbasierte Gameplay, das der Kern der ganzen Serie ist. Die Game-Boy-Zeiten, in denen mächtige Attacken durch ruckelnde Sprite-Animationen eher abstrakt dargestellt wurden, sind natürlich lange vorbei. Im Vergleich zu neueren Teilen auf dem 3DS und selbst im Vergleich zum Remake "Pokémon Let's Go" für die Switch sind die Monster-Hauereien aber ein optischer Schritt nach vorne – sie sehen nun noch mehr so aus, als würden sich hier zwei Kreaturen tatsächlich gegenüberstehen und mit Elementar-Angriffen aufeinander eindreschen.

Wenig Neues im Kampfsystem
Auch hier drängt sich ein bisschen der Eindruck auf, dass da mehr drin gewesen wäre: Wird ein Pokémon durch eine Attacke außer Gefecht gesetzt, wirkt es etwa direkt im Anschluss an den vernichtenden Angriff zunächst so ausdruckslos und unbeteiligt wie immer. Erst nach der Verrechnung des Schadens wird eine gesonderte Animation eingespielt, in der es auch tatsächlich K.O. aussieht. Keine große Sache, aber doch ein Fall, in dem die höher aufgelöste und detailliertere Optik eine Erwartung an Veränderungen weckt, die so nicht vorhanden sind.
Der große Bildschirm im TV-Modus ist unterdessen ein Segen für die Übersichtlichkeit im Kampf: Attacken und Lebensbalken sind mitsamt Zusatzinfos ordentlich aufgereiht. Auf Knopfdruck lassen sich umfassende Zusatzinformationen zu den Angriffen einblenden – für mich beim Anspielen besonders wichtig, denn mein vorgefertigtes Team aus Monstern besteht vorrangig aus neuen Pokémon, deren Spezialangriffe mir nicht alle bekannt sind.

"Schwert & Schild" spielen das Großformat voll aus
Alle Vorzüge des großen Formats spielt auch der Endkampf der Demo gegen die Arenaleiterin Nessa aus. Das Duell findet in einem gewaltigen Stadion statt, in dem mein Trainer, seine Gegnerin und die kämpfenden Pokémon beinahe verloren aussehen. Allerdings nur so lange, bis ich die Dynamax-Fähigkeit einsetze!
Dieses neue Feature lässt mein aktives Monster einmal pro Kampf für wenige Züge auf Riesen-Größe heranwachsen. Angriffs- und Verteidigungs-Werte steigen dabei an, außerdem können spezielle Dynamax-Attacken eingesetzt werden. Wenn der Gegner mitzieht und sein Monster ebenfalls aufpumpt, bekommen die Arena-Kämpfe plötzlich ein ganz anderes Flair und ähneln mehr einem Godzilla-Film als den üblichen Kleinvieh-Kloppereien.

Dynamaxing als optisches Highlight
Optisch ist das alles auf dem großen Bildschirm ziemlich eindrucksvoll und ich bin mir recht sicher, dass Nintendo die Funktion vor allem als Metapher für die Möglichkeiten der "großen" Switch ins Spiel genommen hat. Spielerisch fügt das Dynamaxing den Kämpfen ein neues strategisches Element hinzu: Wer es klug einsetzt, kann ein starkes Pokémon schnell ausschalten, pokert allerdings hoch – denn wenn der andere Trainer es ebenfalls nutzt, sind die Chancen wieder ausgeglichen.

Wer seinen Riesenwuchs zu früh verpulvert, begibt sich später in einen möglichen Nachteil und steht einer Mega-Kreatur mit leeren Händen gegenüber. Sein volles Potenzial wird das Feature aber wohl erst in den Raid-Kämpfen gegen Dynamax-Pokémon entfalten – und wie die aussehen werden, konnte ich wie gesagt noch nicht ausprobieren.
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Anspiel-Fazit: Doch "nur" eine weitere Evolution?
Am Ende meiner Preview-Session steht eine gewisse Ernüchterung. Wenn "Schwert & Schild" radikale Neuerungen mitbringen, dann sind die – abgesehen vom Dynamaxing – in diesem kurzen Ausschnitt noch nicht sonderlich prominent gewesen. Die Arena, die Trainer, die Kämpfe, die Steuerung und Perspektive: Alles ist fest in der Handheld-Tradition verwurzelt und lediglich etwas aufpoliert. Das ist nichts Schlechtes, aber ein guter Anlass, die eigenen Erwartungen an die Rollenspiele etwas zurechtzurücken.

Möglich, dass Nintendo mir hier eine absolute Nummer-Sicher-Version von "Schwert & Schild" vorgeführt hat und sich die Highlights für die offene Spielwelt außerhalb der Arenen und die Raids aufspart. Ich bin vorsichtig optimistisch, aber auch ein bisschen skeptisch. Die ganz große Überholung der "Pokémon"-Formel sollten Fans von den neuen Spielen jedenfalls nicht erwarten – große Konsole hin oder her.