Auf "Pokémon Schwert & Schild" lasten gewaltige Erwartungen. Die Nintendo Switch kann technisch mehr als ein reiner Handheld – da muss die erste neue Pokémon-Generation auf der Heimkonsole liefern! In unserem Test zeigt sich: Entwickler GameFreak traut sich auf der großen Plattform noch keine Revolution zu. Gelungen sind die Spiele trotzdem.
- Konservativ seit acht Generationen
- Verschlanktes Abenteuer in PokéBritannien
- Einsteigerfreundlich wie nie zuvor
- Arena-Kämpfe wirken endlich groß
- Naturzone: Ein Blick in die Pokémon-Zukunft?
- Wacklige Technik trübt das Bild
- Fazit
Was macht ein Pokémon-Spiel aus? Diese Frage werden sich die Entwickler vor der Arbeit an "Pokémon Schwert & Schild" unter Garantie gestellt haben. Wenn die Spielwelt dank größerer Hardware-Ressourcen der Switch schöner und farbenfroher als je zuvor ausfallen kann, wenn sich Kämpfe zwischen Taschenmonstern effektvoll wie nie inszenieren lassen, wenn sich Althergebrachtes ganz neu denken lässt – was sind dann die Elemente, die auf keinen Fall wegfallen dürfen?
Konservativ seit acht Generationen
"Schwert & Schild" gibt auf diese Grundsatzfrage eine äußerst konservative Antwort. Nein, die neuen Teile der RPG-Serie sind nicht das "Breath of the Wild" mit Pokémon, das sich manche Fans im Vorhinein herbeifantasierten. Oberflächlich betrachtet passiert hier sogar herzlich wenig, das nicht auch in einem "Pokémon"-Game auf dem 3DS-Handheld passieren könnte – oder selbst vor zwanzig Jahren in "Pokémon Rot & Blau".

Die Story etwa lässt sich einmal mehr eindampfen auf die klassische Formel "junger Held zieht in die Welt, sammelt Monster, kämpft mit ihnen gegen andere Trainer, sammelt acht Arena-Orden und wird der Champion." Seit acht Generationen geht das nun so, und an Gameplay-Mechaniken wie den rundenbasierten Kämpfen hat sich seither ebenfalls kaum etwas verändert. Selbst manche Textblöcke sind seit zwei Jahrzehnten dieselben.
Auf dieses Grundgerüst bauen "Pokémon Schwert & Schild" dann aber doch eine ganze Menge Neues – und machen Schluss mit vielen Altlasten.
Verschlanktes Abenteuer in PokéBritannien
Es war wohl nie einfacher, in die Welt der Taschenmonster einzusteigen als mit "Pokémon Schwert & Schild". Wer die Entwicklung der Nintendo-Rollenspiele in den vergangenen zwei Jahrzehnten verfolgt hat, entdeckt in der neuen, von Großbritannien inspirierten Spielregion Galar nicht nur schicke Backstein-Städte und fantasievolle Monster, die so gut wie nie zuvor aussehen. Vor allem tun sich an allen Ecken und Enden Verschlankungen und willkommene Vereinfachungen auf.

Beispiele? Erfahrungspunkte gibt es nun immer für das gesamte Team, nicht nur für das kämpfende Pokémon. Team-Monster lassen sich jederzeit auswechseln und nicht nur im Pokémon-Center. Und statt bloßer Zufallsbegegnungen mit wilden Monstern im hohen Gras zeigen sich die Pokémon nun vorher kurz, sodass ich mich für oder gegen einen Kampf entscheiden kann und weiß, gegen wen ich antrete. Rein kosmetisch, aber trotzdem nett: Meine Spielfigur kann ich nach Wunsch einkleiden.

Einsteigerfreundlich wie nie zuvor
Dank dieser und einiger weiterer Neuerungen spielen sich "Schwert & Schild" unkomplizierter und frustfreier als die meisten bisherigen Teile. Einsteiger wird's freuen, wer die Games kennt, fühlt sich aber vielleicht etwas sehr an die Hand genommen. Das betrifft nicht nur die Mechaniken, sondern auch die Geschichte, denn das Spiel stellt dem Spielcharakter einen Freund und Rivalen namens Hop an die Seite, der sich auf dieselbe Reise in Richtung Pokémon-Meisterschaft begibt.

An jeder Station des Wegs wartet Hop schon auf den Helden oder die Heldin und ist leider derart unerträglich übermotiviert, dass ich mir schon nach dem ersten errungenen Orden wünschte, er würde mich mit seinem "Ich werde der Größte!"-Gelaber einfach in Ruhe lassen – zumal ich ihn wieder und wieder unangespitzt in den Boden ramme. Anders gesagt: "Pokémon" ist immer noch ein Spiel, das sich vorrangig an Kinder richtet und gewinnt mit Story und Dialogen immer noch keinen Knofensa-Topf.
Arena-Kämpfe wirken endlich groß
Dafür hat es eine bombastische Inszenierung, die von der besseren Grafik und Auflösung profitiert und sich bei den Arena-Kämpfen von ihrer besten Seite zeigt. Die Kämpfe um Orden der Pokémon-Liga finden nicht länger in besseren Turnhallen statt, sondern füllen gigantische Stadien. Bevor ich mich mit einem Arenaleiter messen darf, muss ich wie gewohnt verschiedene Rätselparcours lösen, für die sich GameFreak abwechslungsreiche Aufgaben abseits der klassischen Schalterrätsel ausgedacht hat.
Die Duelle gegen die Leiter sind regelrechte Spektakel, die durch das neue Dynamaxing-Feature den Extra-Kick bekommen: Pokémon können für kurze Zeit auf gewaltige Größe anwachsen und mächtige Attacken einsetzen. Die Funktion sieht vor allem auf einem großen Fernsehbildschirm fantastisch aus, ist insgesamt aber eher eine Randnotiz: Sie ist nur in Arenen und Raids einsetzbar, behält dadurch aber ihren Reiz.
Naturzone: Ein Blick in die Pokémon-Zukunft?
Abseits vom Dynamaxing ist die sogenannte "Naturzone" die größte echte Revolution unter einer Handvoll Evolutionen. Das Open-World-Gebiet verbindet mehrere Städte der Region miteinander und tauscht die klassisch-statische Kamerasicht gegen eine frei drehbare Perspektive. Freilaufende Pokémon, wechselhaftes Wetter und Pokémon-Nester, an denen ich alleine oder mit bis zu drei Online-Mitspielern gegen riesige Raid-Pokémon antreten kann, runden das neuartige Areal ab. Wohin die Reihe in Zukunft noch gehen könnte, ist in der Naturzone am deutlichsten ersichtlich. Allerdings zeigt sie auch besonders schmerzlich, dass sie noch lange nicht da ist.
Wacklige Technik trübt das Bild
Der technische Zustand von "Pokémon Schwert & Schild" ist generell nicht der beste. In der Naturzone zeigt sich das Spiel von seiner wackligsten Seite. Texturen sind unscharf und detailarm, Pflanzen, NPCs und sogar Pokémon ploppen unschön auf – manchmal in gebührender Entfernung, manchmal direkt vor mir. Dass andere Spieler über das Internet in der Zone sichtbar sind, lässt zwar leichtes MMO-Feeling aufkommen, so ungelenk und ruckartig, wie sie durch die Gegend zockeln, denke ich aber eher an die Anfangstage von "WoW" als an moderne Genre-Vertreter.
Auch außerhalb der Naturzone wirken die Spiele roh, durchwachsen produziert und hinter den technischen Möglichkeiten. Charaktere sind starr und leblos, Sprachausgabe oder echte Pokémon-Schreie abseits generischer Laute gibt es nach wie vor nicht, Kampf-Animationen schwanken zwischen gelungen und lachhaft. Game Design ist immer mit Kompromissen verbunden, aber selten sieht man sie einem AAA-Spiel (und erst recht einem Nintendo-Game) so deutlich an wie "Pokémon Schwert & Schild".
Dass statt der über 800 existierenden Pokémon nur rund 400 Monster durch Fangen oder Übertragen aus älteren Games verfügbar sind, stört mich persönlich nicht. Der schlanke Pokédex ist aber nur eines von vielen Anzeichen, die auf einen übereilten Entwicklungsprozess hindeuten.

Fazit: Eine Spielereihe auf dem Sprung?
Bleibt die Frage: Trübt das den Spielspaß? Ein bisschen – aber nicht wesentlich. Gerade für jüngere Spielerinnen und Spielern dürften die technischen Mankos kaum ein Hindernis in einem ansonsten gelungenen Abenteuer sein. Für Veteranen ist das alles natürlich mehr vom immer Gleichen und wenig forderndes Comfort-Food.
Mehr "Pokémon" ist für Fans natürlich selten etwas Schlechtes. Dass GameFreak bis heute keine völlig zufriedenstellende Lösung für den Spagat zwischen Spielen für Kinder und Spielen für eine mitgewachsene Erwachsenen-Zielgruppe gefunden hat, zeigt sich aber überdeutlich. Wer keine Wunder erwartet und "Pokémon Schwert & Schild" als Wiederholung einer Erfolgsformel akzeptiert, kann an den Spielen dank sinnvoller Verbesserungen und spaßiger neuer Features trotzdem viel Freude haben.
In Generation acht darf die Antwort auf die Frage, was ein Pokémon-Spiel ausmacht, deshalb noch einmal konservativ ausfallen. Irgendwann muss die Reihe aber mal den Sprung in die Moderne machen. Gute Ansätze sind da – hoffentlich verfolgt GameFreak sie weiter.
Das hat mir gut gefallen | Das hat mir weniger gefallen |
+ Klassisches Gameplay im schickeren Gewand | - Spieldesign teilweise überholt |
+ Britisches Spielwelt-Thema schön umgesetzt | - Grafik, Animationen und Performance durchwachsen |
+ Bombastische Arena-Kämpfe | - mäßig geschriebene Dialoge |
+ Open-World-Gebiet mit viel Potenzial | |
+ einige kreative Monster-Designs und Animationen | |
+ viele sinnvolle Vereinfachungen |