Du kannst sie nicht mehr hören, ich kann sie nicht mehr hören, wir alle können sie nicht mehr hören: die ständigen Vergleiche zu "Dark Souls". Aber die kommen eben auch nicht von ungefähr. Das bockschwere Action-Rollenspiel hat quasi über Nacht die Videospiel-Landschaft verändert und ein neues Genre geschaffen. Zeit, dem wichtigsten Spiel der letzten zehn Jahre zu huldigen.
- Sag diesen Namen nicht!
- Der Schwierigkeitsgrad war nie der Punkt
- Ohne Hölle eben auch keinen Himmel
- Du willst einen Easy-Modus? Süß.
- "Dark Souls" war ein Befreiungsschlag
- Für alle Zeit ins Gedächtnis gebrannt
- BONUS: An old YouTube clip has invaded!
Sag diesen Namen nicht!
Eine Lobeshymne auf "Dark Souls"? Schreibt sich doch von selbst! Dachte ich. Aber was soll ich Dir hier erzählen, was Du nicht eh schon weißt? Alles wurde schon hundert- und tausendmal besprochen, analysiert und kritisiert. Der knallharte Schwierigkeitsgrad. Die Spielmechanik. Die Invasionen. Die Memes. Jolly cooperation. Das Ausdauer-basierte Kampfsystem. Die Bosse. Das düstere Fantasy-Setting, das eher an das mittelalterliche Europa erinnert als an typischen Japano-Kitsch. Die nebulöse Story, die Spieler selber zusammenpuzzeln müssen. Die Leuchtfeuer. You Died.
Das alles haben wir mittlerweile so verinnerlicht, dass es fast zu unserer Gamer-DNA gehört. Kein knackig schweres Spiel, das wir nicht reflexartig sofort mit "Dark Souls" vergleichen.
Wir müssen uns den Weg durch eine unwirtliche Spielwelt selbst suchen, ohne Map, Questmarker oder hilfreiche Hinweise? "Wie in 'Dark Souls'". Und wenn wir in einem Spiel an den Ort unseres Ablebens zurückkehren und die verlorenen Erfahrungspunkte wieder einsammeln können, ist ohnehin alles klar. "Dark Souls" war so einflussreich, dass in manchen Kreisen allein die Nennung des Namens für genervtes Augenrollen und offene Feindseligkeit bis hin zu wüsten Beschimpfungen sorgt. Manche – nein, viele – Spieler haben einfach die Schnauze voll von "Dark Souls".

Und sogar ich als Fan kann's verstehen. Denn mit dem Release 2011 gab es in der Gaming-Welt gefühlt nur noch ein Thema. "Dark Souls" hier, "Dark Souls" da, YouTube war plötzlich voll mit schlecht gespielten Rage-Compilations und dräuend vorgetragenen Lore-Videos, alle waren über Nacht Experten und erst die Memes. Oh Gott, die Memes. Es gibt Leute, die halten "git gud" als Entgegnung auf Hilfegesuche von Anfängern immer noch für den Gipfel der Schlagfertigkeit. Aber solche Leute lachen auch über "The Big Bang Theory".
Der Schwierigkeitsgrad war nie der Punkt
Aber warum hat "Dark Souls" weltweit so eine Faszination, ja sogar Besessenheit ausgelöst? Weil es anders war. Anders als fast alles, was es damals auf dem Spielemarkt gab. Klar, vor "Dark Souls" gab's den PS3-exklusiven Vorgänger "Demon's Souls". Aber der war nur einer Handvoll Hardcore-Fans bekannt. So richtig kam die Sache erst 2011 ins Rollen, als From Software "Dark Souls" veröffentlichte – in jeder Hinsicht eine Verfeinerung und Verbesserung des "Demon's Souls"-Konzepts. Und danach war nichts mehr so, wie es vorher war.
"Dark Souls" ist mittlerweile fast gleichbedeutend mit "sauschwer". Der enorm hohe Schwierigkeitsgrad ist so etwas wie das Erkennungszeichen eines Souls-Spiels. Publisher Bandai-Namco hat damit sogar offiziell geworben und den Slogan "Prepare to Die" ersonnen. Und das ist wahnsinnig schade und sorgt bis heute für Missverständnisse. Denn der extreme Schwierigkeitsgrad war nie der Punkt eines Souls-Spiels.

"Dark Souls"-Schöpfer Hidetaka Miyazaki hat immer wieder betont, dass es ihm nie darum ging, ein besonders schweres Spiel zu machen. Was er wirklich wollte: Spielern das Gefühl geben, etwas zu schaffen, bis an ihre Grenzen zu gehen, eine scheinbar unmögliche Aufgabe zu bewältigen, wenn sie "Dark Souls" spielen. Sich durchbeißen, sich wieder und wieder aufraffen, mit dem Kopf so lange gegen die Wand rennen, bis sie endlich, endlich einstürzt – darum geht es in "Dark Souls". Den Triumph des Sieges weiß nur zu schätzen, wer zuvor den bitteren Staub der Niederlage fressen musste.
Ohne Hölle eben auch keinen Himmel
An wie viele Bosskämpfe kannst Du dich erinnern, bei denen Dir vor Anspannung die Hände gezittert haben? Die Dir in den ersten 10, 20, manchmal 30 Versuchen absolut unmöglich zu schaffen schienen? Bei denen Du vor Wut und Frust und Hass auf dieses dreimal gottverdammte Drecksspiel und Dich selbst fast durchgedreht bist, in denen Du das Pad durchs Zimmer gepfeffert hast? Nach denen Du Dir geschworen hast, niemals wieder "Dark Souls" zu spielen, in denen Du endgültig durch warst mit diesem Mist?
Aber Du bist eben doch zurückgekehrt, wie wir alle. Du hast es wieder versucht, und wieder, und wieder, Du hast nicht aufgegeben – und am Ende hast Du gesiegt, gegen jede Chance, und kein Gefühl auf der ganzen Welt war geiler als dieser Moment. Das ist "Dark Souls".

Heute sind fordernde Spiele wieder schwer in Mode. Games, die sich klar an Profis richten, sind kein Randphänomen mehr, sondern massentauglich geworden. Manche Spiele wie das Metroidvania "Blasphemous" (das sich interessanterweise sowohl bei der Optik als auch bei der nur indirekt erzählten Story überdeutlich an "Dark Souls" anlehnt) werben offensiv mit ihrem hohen Anspruch, übertreiben ihn sogar ein wenig. Eigentlich ist "Blasphemous" gar nicht so schwer. Aber es tut so, weil man eben nur so die Hardcore-Spieler kriegt, die nach neuen Herausforderungen suchen.
Aber es war ja nicht nur, dass "Dark Souls" mal wieder so richtig schön schwer war, sondern dass die Macher von From Software etwas Irrwitziges gewagt haben: Uns, den Spielern, endlich mal wieder zu vertrauen.
Du willst einen Easy-Modus? Süß.
"Dark Souls" hat uns nicht an die Hand genommen. Nach einem kryptischen Intro-Movie, das meisterhaft beiläufiges World-Building zeigt, wurden wir ohne weitere Vorbereitung in eine Welt geworfen, die ebenso feindlich wie indifferent war. Und ab diesem Moment mussten wir halt gucken, wie wie klarkommen. Beziehungweise: Ob wir überhaupt klarkommen.
Kein NPC hat uns gesagt, wo wir als nächstes hinmüssen; die Mitteilungen all dieser seltsamen Gestalten im Fantasy-Land Lordran waren bestenfalls vage Andeutungen und im schlechtesten Fall das irre Gebrabbel von wahnsinnig gewordenen Zombies, die kaum noch menschlich waren. Kein Questmarker hat uns unser Ziel angezeigt. Eine Level-Karte? Pah! Schnickschnack für Schwächlinge! Und während eines Nerven zerfetzenden Bosskampfes das Spiel pausieren? In Games für Kiddies vielleicht! Das hier ist "Dark Souls", Baby, und wenn es Dir zu hart ist, hast Du eben Pech gehabt!

"Dark Souls" hat nichts erklärt. Dieses Spiel war wie ein gigantisches Rätsel, dessen Regeln man erst nach vielen, vielen Spielstunden begriffen hat – und manchmal auch gar nicht. Unschöner Nebeneffekt: Aus der anfangs noch hilfreichen und offenen Community ist in kürzester Zeit ein schlimmer Haufen unerträglicher Besserwisser geworden, die ihr Wissen eifersüchtig hüten, statt es mit den Anfängern zu teilen.
Der Begriff "toxisch" ist mittlerweile bis zur Bedeutungslosigkeit abgenutzt, aber auf einen gewissen Teil der "Dark Souls"-Community trifft er zu. Versprich mir hier und jetzt, dass Du niemals "git gud" schreiben wirst, wenn ein Neuling Hilfe braucht.
"Dark Souls" war ein Befreiungsschlag
Man ist nicht oft live dabei, wenn ein neues Genre geboren wird. "Dark Souls" hat eine neue Art von Spiel begründet und den Begriff "Soulslike" geprägt. Ob sie nun "Lords of the Fallen" heißen, "Nioh" oder "The Surge", ohne From Softwares bahnbrechendes Meisterwerk hätte es all diese Epigonen nicht gegeben. Eine scheinbar undurchdringliche Story, die nicht in Zwischensequenzen erzählt wird, sondern in Dialogfetzen, im Design der Spielwelt und sogar in Beschreibungen von Gegenständen? Hat "Dark Souls" populär gemacht. Ein indirekter Mehrspielermodus, in dem sich Spieler gegenseitig helfen, ohne wirklich miteinander zu interagieren? War vor "Dark Souls" weitgehend unbekannt.
Nein, natürlich ist nicht jedes Spiel, das einen hohen Schwierigkeitsgrad hat oder ein bisschen was anders macht als die Konkurrenz, gleich ein "Dark Souls"-Klon. Aber den Einfluss, den dieses Spiel auf die aktuelle und vielleicht sogar noch auf die nächste Generation von Spiele-Entwicklern hat, kann man nicht hoch genug einschätzen. "Dark Souls" war ein Befreiungsschlag von öden, verkrusteten und restriktiven Design-Klischees, den die gesamte Industrie am Anfang der Dekade dringend gebraucht hat. Es war wie ein Durchatmen. Es war der Beginn einer neuen Epoche.

Für alle Zeit ins Gedächtnis gebrannt
Für mich ist "Dark Souls" das bedeutendste Spiel des letzten Jahrzehnts. Kein einziges Game danach hat eine ähnliche Faszination in mir ausgelöst. Ich bin vom Skeptiker zum Fanatiker geworden. Ich kann Dir nicht sagen, was ich gestern zum Mittag gegessen habe, aber ich zeichne Dir an Ort und Stelle eine komplette Karte von Anor Londo. Und wenn ich 100 Jahre alt werde, ich werde nie die Melodie vergessen, die am Firelink Shrine erklingt. Ohne Witz: Manche Erinnerungen, die ich an "Dark Souls" habe, fühlen sich realer an als echte Erinnerungen. Und ich habe die leise Ahnung, dass ich da nicht der Einzige bin.

Jetzt gerade sitzt irgendwo ein Entwickler und zerbricht sich den Kopf, was das nächste "Dark Souls" sein könnte, der nächste Hype, der nächste weltweite Smash-Hit. Was war nur das Erfolgsrezept von From Software? Da gibt es natürlich nur Eines, was man ihm da sagen könnte:
Git gud.
BONUS: An old YouTube clip has invaded!
Hier, das war meine allererste Begegnung mit einem "Souls"-Spiel. Absolut ohne Vorwissen und blind habe ich die ersten drei Stunden von "Demon's Souls" gespielt. Sieh dieses ungekünstelte Zeitdokument des Versagens in voller Pracht!