"Pretty Woman" ist ab sofort in Hamburg als Musical zu bewundern. Wir haben uns das Stück aus Filmsicht angesehen und stellen Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede vor. Und beantworten die Frage: "Pretty Woman" als Musical, kann das funktionieren?
- Die Musik: Eingängiger Pop und eine Prise Oper
- Die Story: Wie der Film nur auf der Bühne
- Die Charaktere: Strahlende Vivian
- Fazit
"Pretty Woman" in ein Musical zu verwandeln, klingt für mich nach einer ungewöhnlichen Idee. Schließlich ist der Kinoerfolg aus dem Jahr 1990 kein Tanzfilm. In der Romanze mit Richard Gere als Geschäftsmann Edward Lewis und Julia Roberts als Prostituierte Vivian Ward in den Hauptrollen spielt Musik nur insofern eine Rolle, als dass sich die meisten an Roy Orbisons Klassiker "Oh, Pretty Woman" erinnern dürften und Roxette mit "It Must Have Been Love" im Fahrwasser des Films einen internationalen Hit landeten. Im Musical kommt das Stück von dem schwedischen Duo allerdings gar nicht vor und Roy Orbisons Klassiker ertönt erst im Finale.
Die Musik: Eingängiger Pop und eine Prise Oper
Stattdessen stammen fast alle Lieder aus der Feder von Bryan Adams und Jim Vallance. Bemerkbar macht sich das in einigen rockigen Gesangspassagen, die vor allem von Vivians Freundin Kit De Luca (gespielt von Sängerin Maricel) mit viel Power in der Stimme geschmettert werden. Dass die Musik aus dem Film weitestgehend fehlt, ist mir während des Stücks nicht negativ aufgefallen. Gute Stimmung kommt durch den eingängigen Musical-Pop trotzdem auf.
Begeistert hat mich die Opern-Einlage, die das Ensemble anlässlich der Szene auf die Bühne zaubert, in der Vivian und Edward im Film gemeinsam "La Traviata" sehen. Dabei geben zwei der Darsteller "Brindisi" zum Besten, was unweigerlich zum Mitsummen einlädt. Der abrupte Wechsel nach der klanggewaltigen Einlage zum vorherigen Pop macht zwar kurzfristig die Diskrepanz zwischen den zwei musikalischen Genres deutlich. Spätestens die nächste Tanzeinlage lässt mich den Unterschied jedoch wieder vergessen.

Die Story: Wie der Film nur auf der Bühne
Zur Erinnerung noch einmal kurz und knackig der Plot der Geschichte: Edward Lewis ist ein kühler Geschäftsmann, der sein Geld damit verdient, wirtschaftlich kränkelnde Unternehmen zu zerschlagen. An einem Abend verfährt er sich und landet im Rotlichtviertel, wo er auf die Prostituierte Vivian trifft. Die zeigt ihm gegen Geld den richtigen Weg zu seinem Hotel zurück und bleibt über Nacht. Als Lewis am nächsten Tag feststellt, dass ihm eine weibliche Begleitung für Geschäftstermine fehlt, kauft er Vivians Dienste für eine Woche. Dann folgt, was folgen muss: Die beiden haben allerlei Spaß miteinander, verlieben sich und kommen schließlich zusammen. Happy End.
Es ist beeindruckend wie ähnlich sich Musical und Film sind. Von der Kleidung bis hin zu den Dialogen und dem Ablauf der Szenen sind weite Teile der Show 1:1 aus dem Film. Hauptdarstellerin Patricia Meeden läuft im ersten Teil des Stücks in dem gleichen weit ausgeschnittenen Mini-Kleid wie Vorbild Julia Roberts herum und tanzt in Overknee-Lackstiefeln mit gefährlich hohem Absatz über die Bühne. Vom Wow-Auftritt im roten Abendkleid bis zur "Finger-in-der-Kartusche-mit-Halskette"-Szene ist alles dabei – sogar die Nacktszenen. Mehr als einmal zeigen Meeden und Mark Seibert, der die Rolle Geres übernimmt, ihre durchtrainierten Körper und sorgen dafür, dass ich mir plötzlich ein "50 Shades of Grey"-Musical vorstellen kann.

Dafür, dass die Kultszenen des Films so bleiben wie sie sind, sorgt das Drehbuch von Garry Marshall und J.F. Lawton, die gemeinsam auch für den Film verantwortlich waren. Änderungen gibt es lediglich im Detail. Einige davon gelungen, andere weniger. Geglückt ist definitiv die Umsetzung des Endes, bei dem Edward im besten 90iger-Kitsch als Ritter in weißer Limousine den Balkon seiner Herzensdame erklimmt. Auf der Bühne ist für die Stretch-Limo kein Platz, aber dafür wird die Szene auf andere Weise so bewusst überzogen gespielt, dass sie zu einem der lustigsten Momente des ganzen Stücks führt.
Positiv ist zudem, dass der "Damsel-in-Distress"-Moment im Film, in dem Vivian sich den handlichen Übergriffen von Edwards schmierigem Anwalt-Freund erwehren muss, abgeändert wurde. Auf der Bühne taucht nicht der Ritter in Anzuggrau auf. Die Hauptdarstellerin darf stattdessen selbst zum Gegenschlag ausholen.
Weniger gelungen wirken auf mich hingegen zwei Solos der Protagonisten. In dem einen singt Edward darüber, dass es ihm an Freiheit fehle, obwohl der Geschäftsmann keinerlei Zwängen ausgesetzt zu sein scheint. In dem anderen singt Vivian darüber, wie sie zu einer Prostituierten wurde. Ein doch recht ernstes Thema, das sich meiner Meinung nach nicht für eine zuckersüße Popeinlage eignet. Grundsätzlich werte ich die Umsetzung der Story aber als gelungen.

Die Charaktere: Strahlende Vivian
Dass das Musical ohne Originalmusik und trotz einiger etwas zu schneller Wechsel in den Gefühlen der Charaktere funktioniert, liegt vor allem an den Darstellern. Patricia Meeden überzeugt als Vivian vom ersten Wort bis zum letzten Ton. In ihrer Ausstrahlung steht sie Julia Roberts in nichts nach. Ebenso viel Spaß macht es, Sängerin Maricel als Kit De Luca zuzusehen. Und selbst Nebenrollen wie der freundliche Hotelier, gespielt von Paul Kribbe, begeistern. Er sorgt gemeinsam mit vielen anderen Nebenrollen im Cast dafür, dass das Stück über seine gesamte Laufzeit unterhaltsam bleibt.
Weniger überzeugt hat mich hingegen Mark Seibert als Richard-Gere-Pendant. Er singt zwar genauso gut wie der Rest der Cast, bleibt jedoch speziell neben der quirligen Patricia Meeden farblos. Das liegt vor allem an seiner Rolle als kühler Geschäftsmann, was ihn zu einer gewissen Steifheit verdammt. Sympathie entwickelte ich erst im letzten Akt für ihn, als er als "Ritter der Parkbank" die Gunst seiner Herzensdame erobert.
Fazit: Gelungene Umsetzung
Ich bin mit kaum Erwartungen in das Musical gegangen, da ich mir schlicht nicht vorstellen konnte, wie der Film auf der Bühne unterbrochen von Gesang- und Tanzeinlagen funktioniert. Ich wurde jedoch positiv überrascht. Einerseits wird die Original-Geschichte an einigen Stellen einem notwendigen Update unterzogen, andererseits lassen sich viele kultigen Szenen auf der Bühne 1:1 nacherleben. Hauptdarstellerin Patricia Meeden sorgt zudem dafür, dass man Julia Roberts nie vermisst. Da lässt sich auch das Fehlen der Originalmusik und einiger weniger nicht ganz so gelungener Neuerungen verschmerzen. "Pretty Woman" als Musical funktioniert!