Als Teenager habe ich die Pen-and-Paper-Vorlage zu "Cyberpunk 2077" gespielt. Auf der Gamescom 2018 konnte ich mir von den Entwicklern CD Projekt RED die Demo ihres ambitionierten RPGs zeigen lassen, das von der Gaming-Gemeinde heiß erwartet wird. Das Folgeprojekt der "The Witcher"-Macher hat mich überzeugt – weckt aber auch Befürchtungen.
Seit auf der E3 2018 eine erste Gameplay-Demo von "Cyberpunk 2077" hinter geschlossenen Türen präsentiert wurde, hat sich ein regelrechter Hype um das Rollenspiel entwickelt. Kein Wunder, denn nachdem die polnische Spieleschmiede CD Projekt RED mit "The Witcher 3" von Kritikern und Gamern gefeiert wurde, sind die Erwartungen an den nächsten großen Titel hoch.
Auf der Gamescom in Köln durfte auch ich nun eine aktualisierte Demo sehen, in der echtes Gameplay und die bunte Spielwelt von "Cyberpunk 2077" gezeigt wurden. Dabei hatte ich, abgesehen vom Anspruch an einen zeitgemäßen AAA-Titel, noch ein weiteres, wichtiges Kriterium im Blick: Ich bin ein großer Fan der Vorlage, des Pen-and-Paper-Rollenspiels "Cyberpunk 2020", das Autor Mike Pondsmith in den 90er Jahren veröffentlichte. Würde ich etwas von der Vorlage im PC-Game zu sehen bekommen?
Pen-and-Paper-RPG: "Cyberpunk 2020" war ein Teil meiner Jugend

Damals erschuf Pondsmith eine unheilvolle Dystopie, in der riesige Konzerne über Mega-Metropolen herrschten, deren Bewohner sich mit kybernetischen Körperverbesserungen aufmotzten – "Style over Substance" ist das alles beherrschende Credo. Die Fassade ist also wichtiger als das, was dahintersteckt. Dass "Cyberpunk 2077" als Videospiel-Umsetzung dieses Prinzip zwar auf die virtuelle Welt, nicht aber auf die Qualität des Spiels überträgt, ist meine große Hoffnung.
Ob das gelingt? Meine Neugier zum Start der Demo ist groß, als man uns zuerst einen Blick auf den umfangreichen Charaktereditor erlaubt. Sofort fällt mir auf, dass der Stilfrage tatsächlich eine große Rolle zugesprochen wird. Im Gegensatz zur E3-Demo wird das Spiel auf der Gamescom in Köln aus der Perspektive eines männlichen Charakters namens "V" gezeigt, der umfangreiche Cyber-Implantate und ein cooles Outfit mitbringt. Mit ihm geht es direkt ab in die Action – zu einem Einsatz als Freelancer in Night City.
Nackte Haut & viel Blut: Die Entwickler bleiben sich treu

Gemeinsam mit unserem muskelbepackten Partner Jackie sollen wir eine vermisste junge Dame retten, die medizinische Hilfe benötigt. Offenbar wurde sie mithilfe eines Cyber-Virus von Gangstern gekidnappt, die Menschen entführen, um deren Cyber-Implantate zu verkaufen. Darum infiltrieren V und Jackie das Versteck der Aasgeier, liefern sich eine wilde Schießerei in scheinbar zerstörbarer Umgebung und übergeben die splitternackte und hilflose Zielperson an das "Trauma Team" – eine Mischung aus taktischem Einsatzkommando und kassenärztlichem Notdienst.
Wie schon bei "The Witcher" zeigt CD Projekt RED jede Menge nackte Haut und die Kämpfe sind ordentlich blutig. "Cyberpunk 2077" richtet sich ganz klar an eine erwachsene Zielgruppe. In einer kurzen Sequenz nach dem Abschluss der ersten Mission sehen wir, dass V seine Prämie offenbar für einen käuflichen männlichen Liebhaber ausgegeben hat. Die Geschlechterwahl bei der Charaktererstellung schränkt unsere Entscheidungen also nicht weiter ein, wenn es um romantische Bekanntschaften geht.
Ambitioniert: Wird "Cyberpunk 2077" ein Next-Gen-Game?

Während der junge Mann wortlos seine Klamotten zusammenrafft und das Apartment verlässt, schauen wir uns um. Offenbar dient Vs Wohnung als Basis, in der Waffen, Kleidung und Ausrüstung gewechselt werden können. Beeindruckend ist der Blick aus dem Fenster über die Stadt: die lebhafte futuristische Kulisse von Night City sieht aber nicht so aus, als ob sie auf einer Konsole der aktuellen Generation realisierbar sei – zumal wir in der Demo auch den Tag-Nacht-Zyklus der Open-World bestaunen können.
Was mich begeistert: Das gesamte Gameplay zeigt Referenzen zur Pen-and-Paper-Vorlage. Neben RPG-typischen Werten wie Panzerung gegen ballistische oder chemische Angriffe hat Ausrüstung wie die aufgemotzte Lederjacke von V auch einen "Coolness"-Wert. Je stylischer man in "Cyberpunk 2077" auftritt, desto größeren Eindruck macht man auf seine Umwelt. Laut CD Projekt RED wird so auch neuer Content im Spiel freigeschaltet. Auch ein Grund, sich abgedrehte Fashion-Implantate anzuschaffen – Style over Substance.
Open-World Night City: Straßen voller NPCs, eine Stadt aus Neon & Beton

Die nächste Questreihe wartet schon auf uns. Dazu begeben wir uns nun hinab in die Straßen von Night City: Eine Open-World, wie man sie sich als Gaming-Fan wünscht. Unmengen an NPCs bevölkern die Stadt, sie alle scheinen Dialoge und damit weitere Handlungsstränge anzubieten. Ob es diese Vielfalt ins finale Spiel schaffen wird, muss sich erst noch zeigen. Nach einem Treffen mit einem bekannten Fixer – so wurde auch in der Vorlage eine entsprechende Charakterklasse genannt – kommt die Handlung nun richtig in Gang.
Ein illegaler Waffendeal ist geplant. Zuvor sieht V aber noch beim "Ripper" vorbei – eine Art Hinterhof-Arzt, bei dem Cyber-Upgrades und Körpermodifikationen erstanden werden können. Auf dem Operationstisch wählt der Spieler an einem Computerterminal die gewünschten Veränderungen aus, zahlt bargeldlos per Euro-Dollar (genannt "Eddies") und erhält in der Demo neue Augen inklusive Scanner und ein Arm-Upgrade für eine bessere Waffenkontrolle. Die Bildschirmanzeigen legen nahe, dass sich verschiedenste Verbesserungen in unterschiedlichen Stärken erwerben lassen – dies wird ein zentrales Spielelement sein.
Feilschen oder Schießen: Handlungsstränge gibt's genug

Im weiteren Verlauf der Demo erfahren wir, wie man Quests in "Cyberpunk 2077" mit unterschiedlichen Ansätzen lösen kann. So spielt V im Zuge des Waffendeals eine Gang aus Cyborgs gegen eine skrupellose Konzern-Managerin aus, wobei es möglich ist, zwischen einem friedlichen Weg oder der harten Tour zu wählen. Trotz glatt gelaufenem Deal entbrennt aber schließlich doch noch eine blutige Auseinandersetzung im Unterschlupf der Gang, bei dem verschiedene Kampfelemente vorgeführt werden.
Unterschiedlichste Waffen lassen sich in "Cyberpunk 2077" verwenden – teils in Kombination mit Cyberfähigkeiten, die es zum Beispiel ermöglichen, Gegner mit gezielten Querschlägern auszuschalten. Auch eine High-Tech-Katana ergattert V von einem der Feinde. Mit dem Schwert lässt sich ein Kraftfeld zum Schutz vor Kugeln aufbauen, bevor damit in Bullet-Time-Zeitlupe Nahkampfangriffe zusammen mit einem gezielten Schuss aus der Automatik-Schrotflinte gegen die Feinde eingesetzt werden können.
Cyber-Implantate: Vom optimierten Auge bis zu tödlichen Unterarm-Klingen

Am meisten beeindruckt hat mich dann aber ein Cyber-Upgrade von V: Wie im Teaser-Trailer gezeigt, ermöglicht es, lange Klingen aus den Unterarmen auszuklappen. Mit diesen klettert die Spielfigur mühelos an Wänden entlang und stürzt sich dann wie eine Gottesanbeterin auf Feinde. Die lassen sich übrigens auch per Kabelverbindung zu ihren Implantaten hacken, woraufhin V Zugriff auf das Sicherheitssystem der gesamten Gang erhält.
Auch mit Jackies aufgemotzter Science-Fiction-Karre heizt V in der Demo durch die Gegend. Dabei fällt auf: Im Gegensatz zum normalen Gameplay kann im Auto in die Third-Person-Perspektive umgeschaltet werden. In den Stadtszenen zu Fuß merke ich aber, dass die Ego-Sicht wirklich eindrucksvoll ist – ich glaube, dass eine Ansicht wie bei "The Witcher" das Gefühl für die gigantische Stadt nicht so gut vermitteln würde.
"Style over Substance"? Hoffentlich nicht bei der Qualität!

Die Demo auf der Gamescom 2018 strotz nur so von Referenzen an die umfangreiche Lore der Vorlage: Der neueste Hit von Rockstar Johnny Silverhand, der auch im ursprünglichen RPG eine Rolle spielte, läuft im Radio, die Stadtteile von Night City sind mir noch bekannt. Selbst die Namen von Waffenherstellern oder Erfrischungsgetränken auf den vielen Werbetafeln wecken bei mir immer wieder Erinnerungen an nächtelange Rollenspiel-Sessions mit Büchern, Würfeln und Charakterbögen.
Allerdings weiß ich auch, dass Spieleentwickler auf wichtigen Messen, je nach Fortschritt des Projekts, oft lediglich ein so genanntes "Vertical Slice" ihres Games zeigen – eine Art in sich abgeschlossene Demo, die nicht viel mit dem fertigen Produkt gemein hat und eher einen Eindruck von dem vermitteln soll, was die Macher sich an Features vorstellen. Ganz nach dem Motto: "Style over Substance". Auch wenn CD Projekt RED behauptet, die Demo stamme aus dem "echten" Game – das glaube ich erst, wenn ich es sehe.
"Cyberpunk 2077": Warten und hoffen

Insofern scheint "Cyberpunk 2077" ein sehr ambitioniertes Spiel zu sein, von dem ich hoffe, dass es am Ende genauso überzeugt wie damals "The Witcher 3". Auch bei dem Fantasy-RPG haben sich CD Projekt RED eng an die Vorlage gehalten, auch wenn Schöpfer Andrzej Sapkowski nie ganz glücklich damit war. Bei "Cyberpunk 2077" arbeiten die Entwickler nun eng mit Autor Pondsmith zusammen. Es gibt daher kaum ein Studio, dem ich die Umsetzung meines Lieblings-Rollenspiels eher zutrauen würde. Ich kann es kaum erwarten.