Mit "Red Dead Redemption 2" hat Rockstar Games die bisher glaubwürdigste Open-World überhaupt erschaffen – daran besteht kein Zweifel. Doch genügen Realismus und Detailverliebtheit, damit daraus ein hervorragendes Videospiel entsteht? In unserem Test versuchen wir greifbar zu machen, was "RDR2" zum besten Game seiner Generation machen könnte.
- Die Spielwelt: Noch nie war Open-World lebendiger
- Das Gameplay: Alles andere als kurzweilig – und doch ein Riesenspaß
- Die Story: Ensemblestück & Drama um einen tiefsinnigen Helden
- Fazit: Genial, aber nicht für jeden
"Red Dead Redemption 2" ist riesig und voller Leben. Die Spielwelt des Open-World-Games vermittelt ein greifbares Gefühl davon, wie der wilde Kontinent Nordamerika vor der Industrialisierung vor Leben gesprüht haben muss. Nachts durch die Wälder zu reiten und das Mondlicht im Wasser der Bäche und Flüsse glitzern zu sehen, während die Rufe unzähliger wilder Tiere durch die Nacht hallen und Rehe über die von Pferdehufen ausgetretenen Pfade springen, ist so ergreifend schön, wie es kein Game zuvor wiedergeben konnte.
Die Spielwelt: Nie war Open-World lebendiger
Weder das monumentale "Assassin's Creed Odyssey" noch andere Open-World-Spektakel wie Sonys "Horizon Zero Dawn" schafften es, ihre zweifellos lebendig wirkenden Welten mit so vielen Details zum Atmen zu bringen. Rockstar Games hat sich hier selbst übertroffen: Dreck trocknet in der Kleidung, zurückgelassene Tierkadaver verrotten und locken Tiere an, in abgezogenen Fellen bleiben die Einschusslöcher zu sehen – nur einige von unzähligen Feinheiten, die der Spielwelt von "RDR2" zu beeindruckendem Realismus verhelfen.
Das Gameplay: Alles andere als kurzweilig – und doch ein Riesenspaß
So viel Detailverliebtheit muss auch Kompromisse eingehen: Damit die Welt glaubwürdig bleibt, ist jede Tätigkeit des Helden Arthur Morgan animiert. Jeder Handgriff kostet deshalb Zeit und Mühe, aber "Red Dead Redemption 2" will auch kein Spiel für schnelle Action sein. Stattdessen braucht alles eine Weile: Ein Ritt über die ausgedehnte Map kostet trotz eingeschränkt verfügbarer Schnellreise-Funktionen jedes Mal auch Überwindung, denn der Weg zurück ins Camp ist unter Umständen sehr, sehr weit.
Damit die Interaktionen von Arthur mit seiner Umgebung die Immersion nicht brechen, müssen auch oft Aktionen durchgeführt werden, die dem Spieler nicht als Mehrwert erscheinen: Eine Kiste muss erst per Tastendruck geöffnet werden, je ein weiterer Tastendruck ist zum Einsammeln jedes einzelnen enthaltenen Gegenstands nötig. Das Spiel wirkt dadurch abschnittweise wie eine Ansammlung von Quicktime-Events, die hauptsächlich existieren, um Zeit zwischen Dialogen zu überbrücken.
Auch wenn die Welt von "Red Dead Redemption 2" beeindruckend und realistisch ist, das Gameplay ist es in vielen Momenten nicht. Verglichen mit den technischen Meisterleistungen und der packenden Hauptstory ist es sogar eindeutig der schwächste Part. Gute Ideen hat Rockstar Games auch hier, aber Spielsysteme, bei denen unterschiedliche Teile der Welt aufeinander reagieren, funktionieren nicht immer fehlerfrei.
Wie beeindruckend die technischen Aspekte von "Red Dead Redemption 2" wirklich sind, fällt immer dann besonders auf, wenn sie mal nicht funktionieren.
Ein Beispiel: Wenn man ins Schnellauswahl-Inventar wechselt, wird die Zeit verlangsamt, aber nicht angehalten. Läuft dann in einer Stadt ein Passant in Arthur hinein, kann es schon mal ungewollt zu einer Schießerei kommen – plötzlich wird man von umstehenden Personen angegriffen und muss die Flucht ergreifen.
"Red Dead Redemption 2" ist ein außergewöhnliches Spiel. Darum haben wir uns dazu entschieden, einzelne Aspekte des Gameplays in einzelnen Artikeln besonders zu beleuchten.
- David beschäftigt sich mit dem Spieltempo: "Red Dead Redemption 2" ist so langsam, dass es wehtut – und das ist gut so
- Michael berichtet über den Realismus: Der Realismus in "Red Dead Redemption 2" fasziniert und nervt zugleich
- Meru schreibt über den Spielspaß: Gameplay in "Red Dead Redemption 2": Wenn Schuften Spaß bringt
Allgemein ist die Steuerung oft zäh, gewöhnungsbedürftig und manchmal fast unnötig kompliziert. All das mag der Entschleunigung dienen, die dazu beiträgt, dass sich das Spiel echt und unberechenbar anfühlt. Faktisch sorgt es aber auch dafür, dass zahlreiche kritische Situationen und überstürzte Fluchten vor den Ordnungshütern nicht durch großen Realismus ausgelöst werden, sondern durch unglückliche Zusammenstöße mit NPCs, die allein aus der hakeligen Steuerung resultieren.
Man könnte sagen: Wie beeindruckend die technischen Aspekte von "Red Dead Redemption 2" wirklich sind, fällt immer dann besonders auf, wenn sie mal nicht funktionieren.
Der Spaß in "Red Dead Redemption 2" kommt jedoch nicht über die Mechaniken zustande, wie man es von aktuellen Games in der Regel gewohnt ist. Man muss sich stattdessen auf das Gesamtkunstwerk einlassen, das unter der Oberfläche des Wildwest-Epos lauert.
Die Story: Ensemblestück & Drama um einen tiefsinnigen Helden
In gemächlichem Tempo breitet sich auch die Handlung von "Red Dead Redemption 2" vor dem Spieler aus. Hier wirkt die Geschwindigkeit aber durchaus angemessen und verleiht Arthur sowie den unterschiedlichen Nebenfiguren die passende Tragweite. Dialoge, Motion-Capturing und Synchronisation können dabei nur als hervorragend beschrieben werden.
Jeder einzelne Charakter, vom patriarchischen Gangleader Dutch van der Linde über die selbstbewusste Tilly bis hin zu den schießwütigen Gangstern Micah und Bill, wächst dem Spieler im Laufe der etwa 60 Stunden langen Kampagne irgendwie ans Western-Herz. Auch Arthur Morgan, der Protagonist, mit dem man als Spieler so viele Stunden Zeit verbringt, gibt nach und nach mehr von seiner Persönlichkeit preis, die so viel tiefer ist, als sie anfangs zu sein scheint. Trotzdem ist "Red Dead Redemption 2" eindeutig ein Ensemblestück, das den Protagonisten eher nebenbei in Szene setzt.
Viele Hauptquests wirken sehr linear und reißen den Spieler aus der grenzenlosen Freiheit der Open-World heraus.
In "Red Dead Redemption 2" geht es in erster Linie um den Niedergang des Wilden Westens und darum, wie Dutch und seine Gang vor den Veränderungen der Industrialisierung davonlaufen. Dabei kämpfen sie jeden Tag erneut darum, die Oberhand zu behalten und in der prachtvollen aber feindseligen Wildnis und der ebenso feindseligen Gesellschaft zu überleben. Im Gegensatz zu Rockstar Games' überdrehtem "GTA 5" ist "Red Dead Redemption 2" dabei auffallend ernst, stellenweise sogar wirklich tragisch – vor allem, weil wir im Grunde wissen, wie das Prequel ausgehen muss, um zu den Ereignissen im ersten Teil zu führen.
Für sich genommen sind die Missionen des Spiels oft allerdings nicht wirklich originell. Viele Hauptquests wirken sehr linear und reißen den Spieler aus der grenzenlosen Freiheit der Open-World heraus. Darüber hinaus ist vor allem in den ersten Stunden ein ständig wiederkehrendes Schema im Missionsaufbau zu erkennen:
- Ein Mitglied der Gang hat einen vermeintlich todsicheren Plan
- Arthur lässt sich mehr oder weniger widerwillig darauf ein
- Am Ende geht alles schief ...
- ... und Dutzende Gegner müssen erschossen werden
Der Reiz des Ungewissen: Zufall oder nicht?
Wesentlich abwechslungsreicher sind da die zahlreichen Erlebnisse, die sich aus dem bloßen Herumreisen in der Spielwelt ergeben: Abseits der Hauptstory wird Arthur immer wieder in beiläufige Ereignisse hineingezogen, die sich aus vermeintlichen Zufallsbegegnungen am Wegesrand zu ausgefeilten Einzelgeschichten entwickeln können. Dabei wird nie ganz klar, wie viel Zufall wirklich in diesen Events steckt und wie viel davon von den Entwicklern gescriptet wurde – eine faszinierende Grauzone, die zur Lebendigkeit der Spielwelt beiträgt.
Rockstar Games gelingt das Kunststück, die vielen Puzzleteile zu einem großen, in sich stimmigen Bild zusammenzusetzen. Die Geschichte, die "Red Dead Redemption 2" nach und nach preisgibt, ist fesselnd und lässt den Spieler immer wieder mitfiebern, die Mittel zum Zweck wirken dabei aber oft alles andere als revolutionär.
Fazit: Genial, aber nicht für jeden
Rockstar Games hat wahnwitzigen Aufwand in die lebendige Welt von "Red Dead Redemption 2" investiert und im Hinblick auf den erstaunlichen Detailreichtum und die herzergreifende Geschichte auf jeden Fall ein Meisterwerk erschaffen. Dass dafür große Opfer gebracht wurden, belegt ein Report des Magazins Kotaku über schockierende Mengen an Mehrarbeit beim Entwicklerstudio – diese bekannte und gerade bei Rockstar gut belegte Schattenseite der Games-Industrie ist aus keinem Spiel so schwer wegzudenken wie aus "RDR2".
Das Ergebnis der harten Arbeit ist ein grandioses Spiel, das vor allem mit einer bis ins Detail zum Leben erweckten Spielwelt und einer fesselnden Handlung überzeugt. Dass das Gameplay dagegen etwas abfällt, ist zu verschmerzen – auch Rockstars "GTA 5" ist nicht gerade wegen seiner einzigartigen Steuerung zum erfolgreichsten Entertainment-Produkt aller Zeiten geworden.
"Red Dead Redemption 2" ist definitiv nicht als kurzweilige Ablenkung gedacht, die man immer mal wieder kurz nebenbei spielt. Es ist ein intensives Erlebnis, das manchmal mehr Arbeit als Vergnügen zu sein scheint. Lässt man sich aber auf das ungewöhnliche Erzähltempo ein, erlebt man eine fesselnde Zeitreise, die sich in jeder Minute lohnt. In dieser Hinsicht ist "Red Dead Redemption 2" in dieser Generation tatsächlich unerreicht – und könnte es noch auf Jahre bleiben.
Was uns gefallen hat | Was uns weniger gefallen hat |
Atemberaubend realistische Open-World | Sperrige Steuerung |
Fesselnde Story mit charismatischem Ensemble | Teils sehr lineares Missions-Design |
Dichte Atmosphäre |