Vor ein paar Tagen ist die Neuauflage der "Battletoads" erschienen. Der Retro-Staßenprügler "Streets of Rage 4" ist dagegen schon länger draußen. Zeit für den ultimativen Vergleich: Wer kloppt besser?
- Die Grafik: Das Auge haut mit!
- Der Sound: Aufdrehen, abgehen!
- Das Gameplay: Kloppen ist nicht gleich kloppen
- Abwechslung: Ja bitte, aber mit Sinn und Verstand!
- Fazit: Klare Sache
Lauf von links nach rechts und verdrisch unterwegs alles, was Dir entgegen kommt – das war mal ein sehr populäres Genre, so in den späten 80ern bis Mitte der 90er des letzten Jahrtausends. Die erfolgreichsten Vertreter dieser Beat 'em ups hießen "Double Dragon", "Final Fight", Segas "Streets of Rage" und "Battletoads" von Rare. Die beiden Letztgenannten haben nun offizielle Fortsetzungen bekommen, auf die Fans seit Jahrzehnten gewartet haben. "Streets of Rage 4" gibt's für PC, PS4, Xbox One und Switch, "Battletoads" für Xbox One und PC. Die Stunde der Wahrheit: Zeit für den großen Retro-Vergleich!
"Streets of Rage 4" gegen das neue "Battletoads" – in welchem Game kloppt es sich besser? Welches sieht schöner aus, hat den geileren Soundtrack, kurz: macht einfach mehr Spaß? Heute klären wir es ein für alle Mal – in vier knallharten Disziplinen.

Die Grafik: Das Auge haut mit!
Bevor wir in die Feinheiten des Gameplays einsteigen, bleiben wir doch erst einmal ganz oberflächlich: bei der Grafik. Und da zeigen sich direkt drastische Unterschiede zwischen den Konkurrenten "Streets of Rage 4" und "Battletoads".

Handgezeichnete Comic-Optik weisen beide auf, aber da enden die Gemeinsamkeiten schon. "Streets of Rage 4" ist wahnsinnig detailliert, die Animationen sind butterweich und flüssig, jedes Level ist bis zum letzten Pixel vollgestopft mit Feinheiten. Ich kann mich gar nicht satt sehen. Für mich die perfekte Verschmelzung von Comic-Grafik und Retro-Ästhetik.

Und es ist natürlich extrem subjektiv, aber wenn ich mir dagegen "Battletoads" angucke ... flache, detailarme Figuren vor bunten, aber leblosen Hintergründen – über-simplifiziert und visuell öde. Ich weiß nicht, was für ein seltsamer Trend das seit ein paar Jahren ist, diese Flash-Animationstechnik. Für mich sieht das einfach billig aus, es hat kein Gewicht, keine Eleganz, es wirkt im wahrsten Sinne flach – optisch und emotional.

Erschwerend kommt hinzu, dass die "Battletoads" früher der rotzige, fast punkige Gegenentwurf zu den übermächtigen "Teenage Mutant Ninja Turtles" waren. Ja, lach' ruhig drüber, aber die "Battletoads" waren mal das, was man heute "edgy" nennt. Ihre Gegenspielerin, die Dark Queen, war nicht nur eine der ersten weiblichen Videospiel-Hauptbösewichte, sie war auch kompromisslos sexy. Aber weil das heutzutage unter Strafe und alles auch nur ansatzweise Anrüchige unter Generalverdacht steht, sieht sie jetzt so aus:

Das 2020er-"Battletoads" hat seine optische Identität verloren und reiht sich ein in die lange Riege ähnlicher Simpel-Cartoons. "Streets of Rage 4" dagegen verdrischt Deine Augen mit knalligen Farben, liebevollen Details, zum Dahinschmelzen zarten Animationen und bildschirmfüllenden Krachbumm-Effekten. Keine Frage.
Gewinner: "Streets of Rage 4".
Der Sound: Aufdrehen, abgehen!
Komm, bleiben wir doch noch bei den Äußerlichkeiten – nächste Disziplin: Der Soundtrack. Hören wir zunächst mal in "Battletoads" rein.
Drums aus dem Computer. Jaulende E-Gitarren aus dem Computer. Rockig, aber nicht ZU rockig. Hart, aber nicht ZU hart. Es ist genau diese Art von düdeligem Hintergrund-Rock, die man immer dann abspielt, wenn einem nichts Besseres als Untermalung für ein Actionspiel einfällt. Prügeln = Gitarren, damit erschöpfte sich der kreative Schaffensprozess des Musikteams offenbar. Der Soundtrack ist so belanglos, dass ich mich kurz gefragt habe, ob ich nicht aus Versehen die Playlist der "Dynasty Warriors"-Spiele angemacht habe.

"Streets of Rage 4" zeigt auch hier, wie es besser geht – und zwar um Welten besser. Der Soundtrack ist nichts weniger als sensationell. Nicht nur, dass der legendäre japanische Komponist Yuzo Koshiro, der schon für die ursprünglichen Teile in den 1990ern die preisgekrönten Soundtracks schuf, mit ein paar Tracks wieder an Bord ist. Die Songkünstler unter der Leitung von Olivier Deriviere (u.a. "Remember Me", "Vampyr" und "A Plague Tale: Innocence") haben das Kunststück vollbracht, frisch und modern und gleichzeitig herrlich retro zu klingen.

Viele Tracks klingen nach durchtanzten Nächten in flackerndem Strobo-Licht, nach Untergrund-Raves in den 90ern, nach Schweiß und Knicklichtern. Und damit genau so, wie ein neues "Streets of Rage" klingen muss. Zu manchen Kracher-Tunes wie "On Fire" oder "Do Joe" willst Du entweder a) Dich prügeln, b) tanzen, c) Sport machen oder d) alles zusammen. Dieser Soundtrack ist in meinen persönlichen Jahres-Charts ganz weit oben. Auch hier haben wir einen klaren Sieger.
Gewinner: "Streets of Rage 4".
Das Gameplay: Kloppen ist nicht gleich kloppen
Geile Grafik und fetter Sound machen aber allein noch kein gutes Beat 'em up aus – das schafft erst sauberes Gameplay. Auf den ersten Blick haben "Battletoads" und "Streets of Rage 4" dasselbe Spielprinzip: Prügeln, bis die Finger qualmen. Nach ein paar Sekunden am Controller zeigen sich aber deutliche Unterschiede.

"Streets of Rage 4" spielt sich taktischer als "Battletoads". Krachende Kombos mit nur wenigen Tastenkombinationen lässt Du zwar in beiden Games vom Stapel, aber die Gegner in "SoR4" verlangen Dir mehr Geschick und Vorsicht ab. Sie überraschen Dich immer wieder mit vernichtenden Attacken, versuchen Dich einzukreisen und zwingen Dich zum Improvisieren. Dank satter 12 (!) spielbarer Figuren, die allesamt ein eigenes Moveset inklusive persönlicher Special Moves haben, kannst Du Dich hier richtig austoben. Und das Beste: Online kannst Du mit einem weiteren Kumpel losziehen, der lokale Couch-Koop-Modus unterstützt sogar vier Spieler! Das ist mehr "Streets of Rage" als die alten "Streets of Rage" zusammen.

Und bei den "Battletoads"? Da sieht es durchwachsen aus. In den Kämpfen gegen die sich viel zu oft wiederholenden Comic-Gegner musst Du eigentlich nur regelmäßig wegsprinten, um gefährlichen Attacken zu entgehen. Mit stumpfem Button-Mashen kannst Du durchaus weit kommen – ab und zu mal ein besonders harter Angriff oder einen Deckungsdurchbruch. Wirkliche Probleme wirst Du eigentlich nie haben. Das Kampfsystem ist eher flach, dafür sehen die Moves ganz nett aus: Wenn sich die Kröten nach besonders krassen Attacken kurz in einen Dampfzug verwandeln, mit einem riesigen Fuß die Feinde aus dem Bild kicken oder mit einer überdimensionalen Wumme ballern, passt das zum übertriebenen Samstag-Morgen-Cartoon-Charme. Wird gelegentlich recht unübersichtlich und chaotisch, aber ist schön bunt.

Bei "Streets of Rage 4" ist hingegen nicht nur das Kampfsystem filigran, dieselbe Liebe zum Detail ist auch in die Levels geflossen. Das Spielprinzip bleibt in jeder Runde natürlich gleich, dafür überraschen Dich immer wieder kleine inszenatorische Spitzen. Mal kämpfst Du auf dem Dach einer fahrenden U-Bahn (und musst immer wieder im richtigen Moment hochspringen), mal stößt Du Punks aus einem riesigen Fahrstuhl ins Nichts. In einem meiner Lieblings-Level kloppst Du Dich durch ein Dojo, die Gegner kommen von allen Seiten und am Ende warten drei Kickboxer in ihrer eigenen Arena auf Dich – Iko Uwais aus den "The Raid"-Filmen wäre stolz. Langweilig wird's nie.

Bei den "Battletoads" dagegen sind die eigentlichen Prügelpassagen so gleichförmig gestaltet, dass ich schnell gelangweilt war. Von ein paar Spielereien mit dem Bildschirmhintergrund abgesehen, spult das Spiel brav sein Programm ab, haut Dir immer und immer wieder dieselben Gegner pro Level um die Ohren und dehnt jede halbwegs spaßige Passage endlos aus. Schon den ersten Boss im Spiel musst Du nervige dreimal besiegen, bis er endgültig Ruhe gibt. Konkurrent "Streets of Rage 4" ist tiefgründiger, knackiger, kommt schneller auf den Punkt und bleibt da auch bis zum Endscreen. Und da "Battletoads" lediglich einen lokalen Koop-Modus für drei Spieler, aber keine Online-Funktion hat, gibt's noch einen Extrapunkt für die Straßenkämpfer.
Gewinner: "Streets of Rage 4".
Abwechslung: Ja bitte, aber mit Sinn und Verstand!
Kommen wir nun zu dem Punkt, in dem sich "Battletoads" und "Streets of Rage 4" am deutlichsten unterscheiden. Ich habe im obigen Absatz von den "eigentlichen Prügelpassagen" in "Battletoads" gesprochen. Was ich damit meine? Dass gefühlt die Hälfte des Kloppers aus anderem Kram besteht.

Die legendäre Speeder-Bike-Passage des Originalspiels ist natürlich auch im Jahr 2020 dabei (wenn auch nicht mehr annähernd so haarsträubend schwer). Außerdem gibt es in manchen Levels simple Schalterrätsel. Und Jump-and-Run-Passagen. Und Schnick Schnack Schnuck. Und eine viel zu lange Weltraumsequenz. Und Minigames mit Schattenspielereien. Und, und, und.
"Battletoads" bietet weitaus mehr Abwechslung als "Streets of Rage 4", das stimmt. Aber es schmeißt diese unterschiedlichen Elemente so wahllos zusammen, dass jedes Gefühl für Rhythmus und Flow völlig verloren geht. Man kann sich kaum mal auf ein Spielelement einlassen, weil alle paar Minuten etwas völlig anderes passiert. Was anfangs noch frisch und überraschend wirkt, sorgt schnell für ziemliche Teilnahmslosigkeit. Oh, jetzt muss ich hüpfende Bälle in ein Tor bugsieren? Okay. Warum nicht. Ist jetzt auch egal.

Und wie so oft, ist das Ausdehnen dieser Passagen bis zur Schmerzgrenze das eigentliche Problem. Alles dauert zu lang, wiederholt sich zu oft, wird langgezogen wie Kaugummi. Beweis gefällig? Die angesprochene Speeder-Bike-Sequenz, in der Du durch einen Tunnel rast und Hindernissen ausweichen musst. Die Passage war wegen seiner extremen Schwierigkeit das gefürchtete Highlight in den alten Teilen. Hat auf dem NES damals, 1991 war das, rund zwei Minuten gedauert. Und heute? Es gibt ein Ingame-Achievement, wenn Du die Sequenz in unter achteinhalb Minuten schaffst. Achteinhalb Minuten, in denen Du nur von links nach rechts steuerst, ausweichst und gelegentlich mal über einen Abgrund springst, keine Abwechslung, keine Überraschungen, kein nix.

Die Entwickler vom neuen "Battletoads", die Dlala Studios, scheinen der irrigen Annahme erlegen zu sein, dass mehr und länger auch besser bedeutet. Ist aber nicht so. Hätte "Battletoads" einen klareren Fokus und sich auf ein paar Kernelemente beschränkt, anstatt fröhlich jede halbgare Gameplay-Idee mit in den Topf zu werfen, hätte es dem Comic-Prügler zweifellos besser getan. Aber, technisch gesehen ist es nicht zu leugnen: Mehr Abwechslung als "Streets of Rage 4" hat es zweifellos. Weil das aber nicht zum Spielspaß beiträgt und die eigentlichen Levels aufregender und überraschender in "Streets of Rage 4" gestaltet sind, kriegen hier beide einen Punkt.
Gewinner: Unentschieden
Fazit: Klare Sache
Damit steht mein Fazit so fest wie eine Holzpuppe beim Wing Chun. "Streets of Rage 4" ist ein nahezu perfekter Retro-Prügler, der genau verstanden hat, worum es bei einer Neuauflage ging. Hier haben nicht nur Fans der alten Spiele Spaß. Die Technik ist sauber, stellenweise sogar beeindruckend und dank unzähliger Goodies zum Freispielen macht der Titel wochenlang Spaß. Prügelfans mit einer Vorliebe für alte 16-Bit-Dreschereien müssen hier zumindest mal reingucken.

"Battletoads" dagegen ist zu wirr, zu unfokussiert und zu repetitiv, um mich aus den Socken zu boxen. Über den simplen Cartoon-Stil kann man geteilter Meinung sein, aber die endlos gestreckten und zu simpel inszenierten Prügelpassagen und die blindwütig zusammengeworfenen "Das machen wir jetzt auch noch"-Minispiele strapazieren meine Geduld. Was schade ist, denn der Markt bietet ausreichend Platz für mehr als nur einen gloriosen Retro-Prügler.

So heißt es endlich wieder: They are willing to risk anything ... even their lives ... on the ...
Streets of Rage.