360-Grad-Fotos und -Videos ansehen kann mittlerweile jeder. 360-Grad-Inhalte erstellen aber noch nicht. Mit der Gear 360 arbeitet Samsung daran, das zu ändern. Warum die wirklich kinderleicht zu bedienende Kamera aber ihr Potenzial verschenkt, zeigt der Test.
Virtual Reality wird langsam massentauglich
Was Virtual Reality angeht, ist Samsung bereits besser aufgestellt als so manch ein anderer Hersteller. Die Südkoreaner befähigen ihre aktuellen Galaxy-Smartphones nicht nur dazu, VR-Inhalte abzuspielen. Mit der Gear VR hat man sogar schon angefangen, sich ein eigenes kleines VR-Ökosystem aufzubauen. Das Headset ist für verschiedene Galaxy-Modelle erhältlich und lässt Käufer die virtuelle Realität auch mit dem Smartphone erleben. Bei den VR-Inhalten war man bislang aber meist auf fremdes Material angewiesen. Und hier kommt jetzt die Samsung Gear 360 ins Spiel. Sie lässt uns unser eigenes 360-Grad-Material erstellen, das mit dem Galaxy-Smartphone verarbeitet und wiedergegeben und mit der Gear VR angesehen wird. Cool, oder? Das wollten wir im Test herausfinden.
Design: Ein Augapfel auf drei Beinen
Manch einer findet sie niedlich, manch einem lässt sie einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Denn eins ist kaum von der Hand zu weisen: Die Samsung Gear 360 sieht aus wie ein Augapfel. Schraubt man das mitgelieferte Dreibein-Stativ an, könnte die Kamera direkt einem Horrorfilm entsprungen sein – oder als Requisite im Spiel "Portal" mitwirken. Während des Tests hoffte ich inständig, dass die 360-Grad-Cam bei Nacht nicht lebendig wird und sich auf ihren kurzen Beinchen selbstständig macht ...
Etwas nüchterner beschrieben: Bei der Gear 360 handelt es sich um einen Ball mit rund sechs Zentimetern Durchmesser und einer abgeflachten Unterseite. Dort sitzt ein Standard-Stativgewinde, das entweder das mitgelieferte Dreibein oder jedes andere beliebige Fotostativ aufnimmt. Genau gegenüber findet sich der Aufnahmeknopf und ein kleines 0,5-Zoll-PMOLED-Display. Vorne und hinten blickt man in zwei mit Glas abgedeckte Weitwinkel-Kameralinsen – quasi die Pupillen des Augapfels. An der linken Seite kommen zwei weitere Knöpfe unter: ein Power-Button und ein Menü-Knopf. An der rechten Seite sind der wechselbare Akku, ein microSD-Slot und ein Micro-USB-Anschluss hinter einer Klappe versteckt.
Handling: Formfaktor vs. kinderleichte Bedienung
Die Samsung Gear 360 ist also rund, aber ist sie auch eine runde Sache? Zumindest was das Handling angeht, stellt einen der eher ungewöhnliche Formfaktor vor die eine oder andere Herausforderung. Zwar ist die 360-Grad-Kamera nur wenig größer als die meisten Action-Cams. Mit ihrer runden Form lässt sie sich aber schwer in Hosen- oder Jackentaschen verstauen. Immerhin legt Samsung eine Transporttasche bei. Beim Filmen und Fotografieren ist das mitgelieferte Stativ eine Riesenhilfe. Steht die Kamera nämlich direkt auf dem Boden, nimmt dieser natürlich einen sehr großen Teil des Bildes ein. Klappt man die Beine hingegen zusammen, hat man einen wunderbaren Griff, um Fotos und Videos aus der Hand zu machen.
Eine wirklich runde Sache ist wiederum die Bedienung der Gear 360. Anders als im Test der Panono 360 Wurfkamera mussten wir zum Ausprobieren der Samsung-Cam nicht einmal die Kurzanleitung studieren. Der Umgang mit der 360-Grad-Kamera ist denkbar einfach – sowohl via App als auch mit der Kamera selbst. Die drei Knöpfe und das kleine Display lassen Dich alle wichtigen Einstellungen direkt am Gerät vornehmen. Auf dem Mini-Screen ist zu sehen, in welchem Modus Du steckst und zwei kleine LEDs zeigen an, welche Kameralinse gerade im Einsatz ist.
Fotografieren mit der Gear 360
Mit der 360-Grad-Kamera lassen sich nämlich nicht nur 360-Grad-Panoramen machen. Wer möchte, kann die Gear 360 auch Action-Cam-like zur Weitwinkel-Fotografie nutzen. Die einzelnen Linsen decken jeweils ein Blickfeld von 180 Grad in horizontaler und vertikaler Richtung ab. Die Fotos einer einzigen Linse werden 3072 x 1728 Pixel beziehungsweise 5 Megapixel groß und beeindrucken wie GoPro-Bilder mit knackigen Farben. Zu beachten ist aber auch hier der Fisheye-Effekt, der Objekte zu den Rändern hin verzerrt.
Die f/2.0-Blende lässt genügend Licht hindurch, ISO-Wert, Belichtungszeit und Weißabgleich können via App aber auch manuell angepasst werden. Zudem gibt es einen Button für Extraschärfe und einen HDR-Modus. Besonders praktisch fürs Fotografieren: eine Timer-Funktion. Wer als Fotograf nicht mit auf dem Bild sein möchte, kann nicht nur per App aus der Ferne auslösen, sondern sich auch zusätzliche 10 Sekunden Zeit nach dem Druck auf den Auslöser gewähren.
Reichen 180 Grad nicht aus, ist der Foto-Modus auf Knopfdruck gewechselt. Kommen beide Linsen zum Einsatz, macht die Gear 360 zwei Fotos zur selben Zeit, die dann am Smartphone zu einem 360-Grad-Panorama zusammengefügt werden. Die 360-Grad-Fotos bieten eine maximale Auflösung von 7776 x 3888 Pixeln beziehungsweise 30 Megapixeln. Die Qualität auf dem Handy-Display sieht mehr als vernünftig aus. Wie die Panoramen auf höher auflösenden Bildschirmen wirken, kannst Du Dir in unserer Google Fotos-Galerie zum Gear 360-Test ansehen.
Filmen mit der 360-Grad-Kamera
Im Gegensatz zur 1500 Euro teuren Panono Camera kann die Samsung Gear 360 auch Videos aufnehmen. Und zwar in 4K – zumindest theoretisch. Gefilmt wird nämlich maximal mit 3840 x 1920 Pixeln. Das hinterher kein echtes 4K-Video dabei herauskommt, liegt an dem Verarbeitungsprozess. Dabei wird ein wenig hineingezoomt, um die beiden einzelnen Aufnahmen zu einem geschlossenen Rundum-Video zu verbinden. Filmst Du mit einer Linse, entstehen Action-Cam-ähnliche Weitwinkel-Videos in maximal 2K-Auflösung.
Aber nicht nur zwischen 180 und 360 Grad musst Du Dich entscheiden. Die Gear VR macht Videos wahlweise auch in Echtzeit oder im Zeitraffer. Dabei stehen sieben verschiedene Intervalle von 0,5 bis 60 Sekunden zur Auswahl. Des Weiteren gibt es noch einen Videolooping-Modus, der Videos mit einer Maximallänge von 5, 30, 60 Minuten oder mehr aufnimmt und diese anschließend wieder überschreibt. Gespeichert wird dann nur die jeweils letzte Aufnahme-Session vor dem Beenden der Aufnahme. Das spart Platz auf der Speicherkarte und die Mühe, unendlich Videomaterial durchzusehen, wenn es um das Erwischen eines bestimmten Moments geht.
Der Akku hält beim Dauerfilmen je nach Modus etwa zwischen einer und zwei Stunden durch. Mit 1350 mAh ist der Energiespeicher zwar nicht sehr groß, aber immerhin lässt sich der Akku der Gear 360 auswechseln. Man könnte bei längeren Videoprojekten also per Ersatz-Akku oder Power-Bank für Energienachschub sorgen. Ein kleiner Wermutstropfen ist hingegen die IP53-Zertifizierung. Damit ist die 360-Grad-Kamera nicht als wasserdicht eingestuft, sondern nur vor Spritzwasser geschützt.
Fotos & Videos mit der Gear 360-App verarbeiten
Und wie kommt man nun an die fertigen 360-Grad-Fotos und -Videos? Das ist bei Samsung so kinderleicht wie die Bedienung der Kamera. In Sachen Nutzerfreundlichkeit reicht die 360-Grad-Konkurrenz also auch nicht an die Gear 360-App von Samsung heran. Ist diese auf dem Smartphone installiert – wobei es sich übrigens um ein aktuelles Galaxy-Modell handeln muss (Galaxy S6 und aufwärts) – können Cam und App per Bluetooth kommunizieren. Fotos und Videos lassen sich direkt in der App ansehen, wobei das Stitching der Vorschau nur wenige Sekunden dauert.
Gefällt das Material, kannst Du es auf dem Smartphone speichern. Bei Videos dauert das finale Stitching dann allerdings deutlich länger, Fotos sind wiederum in wenigen Sekunden zusammengesetzt. Um die Ergebnisse mit Freunden zu teilen, bietet die App zahlreiche "Senden"-Optionen. Bedenke aber, dass nicht jedes Medium die Wiedergabe in 360 Grad erlaubt. Für Videos bietet sich beispielsweise YouTube an, für Fotos lässt sich etwa Google Fotos verwenden. Facebook kann mittlerweile sogar beides anzeigen, 360-Grad-Fotos und -Videos.
Stitching-Qualität: Noch Luft nach oben
Die Fotos und Videos mit 180 Grad Weitwinkel liefern überzeugende Ergebnisse wie die meisten aktuellen Action-Cams. Selbst beim Autofahren erfolgt die Videoaufnahme auf den drei kleinen Stativbeinchen noch relativ stabil. Die 360-Grad-Panoramen haben hingegen noch etwas Luft nach oben. Unter besten Voraussetzungen und bei Tageslicht liefert die Gear 360 in der Regel zwar tolle Ergebnisse. Allerdings ist auf vielen Fotos eine deutliche Stitching-Linie sichtbar. Denn mit nur zwei Linsen kann die Samsung-Cam natürlich nicht die gleiche Bildqualität liefern wie beispielsweise die Panono Camera mit 36 Linsen.
Daher sollte man beim Filmen und Fotografieren möglichst keine Objekte genau auf der Schnittkante der beiden Linsen platzieren. Ansonsten erhält man Bilder und Videos mit lustig verzerrten Gesichtern oder zusammengestauchten Kaninchen (siehe Galerie-Fotos oben und Video unten). Zudem bekommt die Kamera bei allzu nahen Motiven Probleme. Mitunter wirkt es auch, als würden die beiden Kameras bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen fotografieren. Die Bilder zeigen dann zwei unterschiedlich helle Hälften.
Das ultimative Erlebnis erst mit der Gear VR
Auf dem Smartphone-Display wirken die 360-Grad-Bilder und -Videos zwar schon beeindruckend. Zum ultimativen Virtual-Reality-Erlebnis wird die Wiedergabe aber erst mit einem VR-Headset. In diesem Fall ist es dann natürlich wieder ein Vorteil, dass Samsung sein eigenes VR-Ökosystem bestehend aus Gear 360, Galaxy-Smartphone und Gear VR bieten kann. Wenn man sich selbst gemachte Fotos aus der Froschperspektive mit der VR-Brille ansieht, dann kommt man angesichts riesiger Haustiere, Grashalme oder Bäume schon ins Staunen. Und beim Vorführen eines Testfotos aus großer Höhe wurde einem Kollegen sogar leicht schwindelig. Zwar leidet die Auflösung bei der Wiedergabe mit einer VR-Brille fürs Smartphone. Wer diese Möglichkeit zum Ansehen hat, sollte sie aber unbedingt nutzen.
Fazit: Super Einstieg... aber nur für Galaxy-Besitzer
Die Gamescom 2016 zeigte es wieder: Virtual Reality ist mittlerweile in aller Munde. Wer ganz vorne auf der Trendwelle mitschwimmen will, möchte natürlich nicht nur fremde Inhalte konsumieren, sondern auch eigenes Material erstellen. Und dafür bietet Samsung jetzt eine der attraktivsten Allround-Lösungen am Markt. Die Samsung Gear 360 ist mit einem Preis von 349 Euro eine bezahlbare 360-Grad-Kamera, die nicht nur fotografieren, sondern auch filmen kann – und das wahlweise mit 180- oder 360-Grad-Blickfeld. Damit und mit ihrer kompakten Bauweise macht sie nicht nur den wenigen 360-Grad-Kameras, sondern auch einigen Action-Cams Konkurrenz.
Zu den großen Pluspunkten der Gear 360 zählen aber auch die Nutzerfreundlichkeit sowie die Foto- und Videoqualität. Dass die Stitching-Linien mehr oder weniger stark zu sehen sind, ist dem Kamerakonzept mit nur zwei Linsen geschuldet. Vorschlag an Samsung: Vielleicht wäre ein weiteres Modell mit 6 Linsen ideal?! Dafür bleibt die Samsung-Cam schön klein, wenn auch etwas schwierig zu transportieren.
Größter Nachteil für viele VR-Fans dürfte die notwendige Anbindung an das Galaxy-Universum sein. Wer die Bilder einfach und schnell via App ansehen und teilen möchte, braucht zwangsweise ein Galaxy S6, Galaxy S6 Edge, Galaxy S6 Edge Plus, Galaxy S7, Galaxy S7 Edge oder Galaxy Note 7. Die Bearbeitung am PC ist zwar möglich, aber umständlicher. Auch das ultimative VR-Erlebnis ist an Samsung gebunden. Eine Gear VR ist zwar keine Voraussetzung für die Wiedergabe, aber empfehlenswert. Fazit: Samsung hat mit der Gear 360 ein super Produkt für den Einstieg in die virtuelle Realität geschaffen – allerdings nur für einen eingeschränkten Nutzerkreis.