Sie zählte zu den Stars der IFA 2015 – und das völlig zurecht. Die Samsung Gear S2 gibt die Richtung für Smartwatches vor. Der Clou ist die drehbare Lünette – ist ein vermeintlich einfaches, aber umso effektiveres Bedienelement. Warum ist da bislang noch niemand drauf gekommen? Wir haben die erste runde Uhr von Samsung getestet.
Vom Nerd-Gadget zum Alltagsgegenstand – Samsung war dabei
Während Smartphones aus dem Alltag der meisten Menschen nicht mehr wegzudenken sind, sind Smartwatches noch nicht an allzu vielen Handgelenken angekommen. Viele Hersteller wollen das ändern. Seit vielen Jahren bringen sie eine schlaue Uhr nach der anderen auf den Markt – und Samsung ist ganz vorne mit dabei. Der südkoreanische Hersteller hat in den letzten Jahren rund ein halbes Dutzend Modelle entwickelt, anfangs noch mit Android Wear, später ausschließlich mit Tizen. Aber nicht nur die Benutzeroberfläche und die Hardware haben evolutionäre Schritte vollzogen, auch die Optik der Uhren.
Die neue Samsung Gear S2, die es seit Oktober 2015 ab 349 Euro zu kaufen gibt, ist die erste runde Smartwatch des Herstellers. Damit hat sie nur noch wenig mit dem eckigen, an einen Mini-Taschenrecher erinnernden Design der ersten smarten Armbanduhren gemein.
Design: So geht Understatement
Samsung springt also auf den Trend auf. Im Gegensatz zu Apple, die noch im April 2015 ihre eckige Apple Watch in den Handel brachten, scheint im Herbst nun "rund" das Gebot der Stunde zu sein. LG Watch Urbane, Huawei Watch und die neue Motorola Moto 360 – alle wollen ans klassische Armbanduhrendesign anknüpfen.
Die Samsung Gear S2 kommt ebenfalls rund daher, wirkt in der Basisvariante aber moderner, sportlicher und frischer als die meisten Konkurrenzmodelle. Wer den klassischen Look jedoch bevorzugt, greift zur 379 Euro teuren Gear S2 Classic. Diese besitzt nicht nur ein etwas schlankeres Gehäuse und eine griffigere Lünette. Die teurere Version wird auch mit Standard-Uhrenarmband aus Leder geliefert. Bei der Basisversion kommt hingegen ein sporttaugliches Silikonarmband zum Einsatz. Aufgrund des proprietären Klickmechanismus müssen Ersatzarmbänder für die Basisvariante beim Hersteller selbst nachgekauft werden. An die Classic-Version passen Standard-Uhrenarmbänder.
Hauptaugenmerk liegt bei beiden Gear S2-Varianten aber auf dem Display. Der runde Super-AMOLED-Screen misst 1,2 Zoll und bietet eine Pixeldichte von beachtlichen 302 ppi. Damit hängt sie die ungefähr zeitgleich erschienenen Moto 360 (2015) und Huawei Watch ab. Das Design des Zifferblattes ist Smartwatch-typisch individualisierbar. Ab Werk stehen 15 vorinstallierte Watch Faces zur Auswahl, einige von ihnen können zudem mit anderen Hintergründen, Schriftarten und sogenannten Komplikationen – etwa einer Akku-, Schritt- oder Wetteranzeige – weiter personalisiert werden. Darüber hinaus stehen natürlich auch vorgefertigte Designs – kostenpflichtige und kostenlose – im Gear App Store zur Verfügung.
Handling: Drehbare Lünette hat Suchtpotenzial
Highlight der Samsung Gear S2 ist allerdings weder das zurückhaltende Design noch das hochauflösende Display. Der Clou der Uhr ist ihr Bedienkonzept mit der drehbaren Lünette. Wer einmal eine Sportuhr besessen hat, weiß, dass ein solches Feature schon zu Zeiten von Analoguhren süchtig machen konnte. Das Bedienen der Samsung-Smartwatch via drehbarem Uhrenkranz ist also nicht nur praktisch, sondern macht auch noch Spaß. Umso mehr, weil die Lünette bei jeder Bewegung ein schönes haptisches Feedback gibt.
Was uns schon im ersten kurzen Hands-On auf der IFA 2015 auffiel: wie intuitiv die Bedienung der Smartwatch trotz der Samsung-eigenen Oberfläche erfolgt. Das ist zum Großteil auch dem Drehrad um das Display zu verdanken, das dafür sorgt, dass man nicht ständig Bildschirminhalte bei der Bedienung verdeckt. Zudem hinterlässt man nicht so viele fettige Fingerabdrücke auf dem Screen wie bei Android Wear-Uhren. Zusätzlich zur drehbaren Lünette gibt es bei der Gear S2 keine digitale Krone, sondern zwei wenig auffällige Knöpfe an der rechten Seite: einen Home- und einen Zurück-Button.
Software: Weniger Apps als die Konkurrenz
Mit dem Gesamtpaket aus zwei Knöpfen und der Lünette, aber auch durch Wischen und Tippen lässt sich durch Samsungs Tizen navigieren. Das unterscheidet sich im Aufbau zwar schon deutlich von Android Wear. Im Test fanden wir uns auf der Gear S2 aber sogar schneller zurecht als bei der ersten Begegnung mit einer Android Wear-Smartwatch.
Ein Dreh vom Startbildschirm nach Links führt zu den Smartphone-Benachrichtigungen, durch Drehen nach Rechts gelangt man zu Widgets, wie man sie von Samsung-Smartphones kennt. Diese informieren auf den ersten Blick über das Wetter, Kalendereinträge oder bieten einen Shortcut zur Pulsmessung. Der Zurück-Knopf führt – klar – aus jeder Ansicht einen Schritt zurück und per Home-Button gelangt man jederzeit zum Startbildschirm mit der Uhrzeit. Wird er dort betätigt, öffnet sich der hübsch rund gestaltete App Drawer der Gear S2.
Hier entdeckt man dann auch einen der größeren Nachteile der an sich schönen Smartwatch. Im Vergleich zur Konkurrenz hat Samsung nämlich bislang nur ein kleineres Portfolio an Apps zu bieten. Yelp, Nike+ sowie die News-Apps CNN und Bloomberg zählen aktuell zu den größten Namen auf der Gear S2. Ansonsten gibt es viel Samsung-Eigenes – S Health und S Voice etwa. Eine Navi-App ist ab Werk nicht an Bord, ein Kartendienst allerdings schon.
Dennoch: Sowohl die HERE-Karten als auch S Voice auf der Samsung-Smartwatch können derzeit noch nicht mit Diensten wie Google Maps oder Google Now auf Android Wear-Uhren oder mit Siri auf der Apple Watch mithalten. Die auf der Gear S2 vorinstallierten Dienste arbeiten langsamer und weniger zuverlässig als die Konkurrenz. Grundlegende Befehle werden zwar von S Voice erkannt. So war es beispielsweise kein Problem, einen Wecker zu stellen, einen Anruf via Smartwatch zu initiieren oder einfache Begriffe zu googeln. Einige Befehle, wie etwa das Anlegen eines Kalendereintrages, werden allerdings noch gar nicht unterstützt. Was die Sprachsteuerung oder die Navigation angeht, besteht also noch Nachholbedarf.
Überraschend einfach und gut klappte hingegen das kurze Antworten auf Smartphone-Nachrichten mit der kleinen On-Screen-Tastatur auf der Samsung-Uhr. Dabei kam es im Test des T9-Modus zu weniger Tippfehlern als auf so manch einer fremden Smartphone-Tastatur.
Hardware & Vernetzung: Nicht mehr Samsung-exklusiv
Ebenso einfach ist der Umgang mit der Gear-App. Sie wird zum Einrichten der Smartwatch und als Schnittstelle zum Smartphone benötigt. Hier kann man dem Wearable den Zugriff auf unterschiedliche Telefon-Apps gewähren und so festlegen, welche Handy-Benachrichtigungen auch auf der Smartwatch einlaufen sollen. Die App bietet zudem Anbindung zum bisher noch überschaubaren Gear App Store und erlaubt das Verwalten aller Anwendungen auf der Uhr.
Obwohl Samsung auch mit der zweiten Gear S-Generation noch viel Eigenbrötlerei betreibt, präsentiert sich die neue Smartwatch doch in einem Punkt offener als ihre Vorgängermodelle: Die Gear S2 ist nicht mehr nur mit Samsung Galaxy-Smartphones, sondern mit allen Android-Handys ab Version 4.4 Kitkat kompatibel, die mindestens 1,5 GB RAM mitbringen. Angeblich arbeitet Samsung sogar an einer Verbindung mit iOS-Geräten. Zur Vernetzung nutzt die Smartwatch neben Bluetooth noch WiFi und NFC. Genau wie mit der Apple Watch und Apple Pay soll man künftig auch mit der Gear S2 und Samsung Pay bezahlen können.
Taktgeber der Samsung Gear S2 ist ein Exynos 3250, ein Dual-Core-Prozessor mit einer Taktfrequenz von 1 GHz. Unterstützt wird er von 512 MB RAM. Für Musik, Bilder und weitere Daten stehen 4 GB interner Speicher zur Verfügung. Die Alltagsperformance der Smartwatch ist flott. Wirklich langsam wurde es im Test nur bei der Nutzung der vorinstallierten Karten-App.
Akkulaufzeit: Alltagstauglicher als die Apple Watch
Smartwatches haben in der Gesellschaft auch deshalb noch ein schlechtes Standing, weil ihre Akkulaufzeit gemeinhin ein Witz ist. Nur wenige haben Lust, ihre Armbanduhr tagtäglich aufzuladen. Das ist bei der Gear S2 nicht unbedingt der Fall. Im Test hielt die Samsung-Uhr bei normalem Gebrauch im Schnitt zwei Tage durch – obwohl ihr Akku mit 250 mAh kleiner dimensioniert ist als bei vielen aktuellen Konkurrenzmodellen. Anscheinend arbeitet Tizen also vergleichsweise effektiv. Mit aktiviertem Always-On-Modus ist allerdings tägliches Aufladen ratsam. Dies erfolgt über ein mitgeliefertes magnetisches Dock.
Fazit: Die Richtung stimmt
Die perfekte Smartwatch gibt es auch 2015 noch nicht. Die Samsung Gear S2 macht aber bereits vieles besser als ältere Modelle – und auch vieles besser als die Konkurrenz. Die lauert auf der einen Seite in Form der Apple Watch und auf der anderen Seite durch aktuelle Android Wear-Modelle wie die Huawei Watch, die Moto 360 (2015) und die LG Watch Urbane.
Wer sich für die Samsung-Uhr entscheidet, entscheidet sich damit auch für Tizen und muss – zumindest derzeit – noch mit einer überschaubaren App-Auswahl leben. Aber er erhält für konkurrenzfähige 349 Euro auch eine der aktuell interessantesten und alltagstauglichsten Smartwatches. Das einfache wie geniale Bedienkonzept mit der drehbaren Lünette hat auf jeden Fall Zukunftspotenzial. Warum ist da bloß bisher noch niemand drauf gekommen? Wir wünschen uns noch mehr solcher Ideen von Samsung. Dann wird aus einer guten vielleicht schon bald die perfekte Smartwatch.