Erst Monster schnetzeln, dann Freunde finden: In "Dreamscaper" stellt sich eine schlafende Heldin bei Nacht mit Waffen und Magie ihren Alpträumen. Tagsüber versucht sie, sich in einer neuen Stadt zurechtzufinden. Zwei völlig unterschiedliche Spielkonzepte sollen in dem Rollenspiel zusammenfinden – unser Test der Early-Access-Version prüft, ob das klappt.
- Traumhafte Action ...
- ... trifft Beziehungsbau im Visual-Novel-Stil
- Tag-Nacht-Rhythmus mal anders
- Ein Roguelike auf der Suche nach dem Sinn von Roguelikes
- Stimmige Kämpfe, Dialoge & Präsentation
- Frustrierend frühe Schwierigkeits-Mauer
- Fazit
Böse Träume, psychische Probleme, Einsamkeit oder Trauer als Monster darzustellen, ist ein alter Videospiel-Trick. In "Dreamscaper" von Indie-Entwickler Afterburner Studios sind die Unholde Teil der Träume von Cassidy. Die junge Frau ist gerade vom Dorf in die Großstadt gezogen, arbeitet in einer Marketing-Agentur, schleppt ein dickes seelisches Trauma mit sich herum und wirkt alles andere als glücklich, wenn sie mit hängenden Schultern in ihrem kleinen Zimmer sitzt. Geht sie schlafen, trifft sie ihre depressiven Gedanken als Monster, die ihr an Orten ihrer Erinnerung auflauern. Aber Cassidy träumt luzide, kann also die Kontrolle über ihr Träumen erlangen. Und sie weiß sich zu wehren.
Traumhafte Action ...
"Dreamscaper" ist auf den ersten Blick ein Action-Rollenspiel klassischster Machart mit Roguelike-Elementen: Aus der Schräg-Oben-Perspektive lenke ich Cassidy durch die Spielareale, die aus verschiedenen "Räumen" voller Gegner zu Dungeons zusammengesetzt sind. Ich finde Waffen und Zaubersprüche, rüste sie aus und ersetze sie Stück für Stück durch neuen, besseren Loot – darunter Standards wie Schwert und Langbogen, aber auch Kampf-Yo-Yos, Wasserpistolen und Telekinese. Dazu gibt's Sammelgegenstände und kleine Rätsel, am Ende des Dungeons wartet ein Boss, dann das nächste Areal. Stirbt Cassidy, verliert sie Ausrüstung und Fortschritt und beginnt – so ist das nun einmal in Roguelikes – wieder bei Level eins.
Cassidys Tod im Traum lässt sie in der echten Welt, also im Bett, aber lediglich erwachen. Und dann verändert sich "Dreamscaper" radikal.
... trifft Beziehungsbau im Visual-Novel-Stil
Während die Nacht dem Monsterschnetzeln gehört, nutzt Cassidy den Tag, um ihre neue Heimatstadt zu erkunden, die dem Klischee von hippen Großstadt-Vierteln wie Brooklyn Williamsburg entspricht. In der Bibliothek, in einer Bar, im Café und im Park trifft sie auf eine Handvoll Charaktere, die sie in Dialogen besser kennenlernen kann. Die aufmerksame Barkeeperin Eve, der glücklose Autor Carl und der Geschichtsprofessor Bruce tauschen sich mit ihr über das Leben und seine Schwierigkeiten aus – aber auch über Konzerte, Fahrräder und die beste Art, Kaffee zuzubereiten. Mit selbst gemachten Geschenken wie Gedichten, Fotos, Statuen und Geschichten kann Cassidy die Freundschaft vertiefen und nach und nach mehr über ihre Mitmenschen erfahren.
Im Unterschied zum Action-RPG-Teil von "Dreamscaper" geht es hier nicht um schnelle Reflexe oder einen guten Build, das Gameplay erinnert mehr an eine Dating-Simulation oder Visual Novel. Statt zu entscheiden, ob ich lieber +5 Feuerschaden oder +7 Rüstung auf meinem Schild haben will, stelle ich mir Fragen wie: Wer freut sich wohl über welches Geschenk? Wo treffe ich jetzt einen bestimmten Charakter am ehesten an? Und wessen Geschichte möchte ich als nächstes vorantreiben? Hier ist Planung gefragt, denn ewig Zeit habe ich nicht: Jeder Besuch, jedes Gespräch knabbert an einem Zeitbudget. Ist es verbraucht, muss Cassidy ins Bett – und zurück in den Dungeon.
Tag-Nacht-Rhythmus mal anders
Das Geniale an "Dreamscaper" liegt nun darin, wie es seine beiden Spielhälften schlüssig zusammensetzt. In der echten Welt Freunde zu finden, bevor abends in der Traumwelt Kämpfe gegen Albträume anstehen, ist kein Selbstzweck. Cassidy kann im Inventar den "Einfluss" eines Charakters "anlegen" und bekommt dann Boni auf bestimmte Kampfwerte wie Rüstung, Angriff und Elementarschaden. Je besser sie die Person kennt, desto höher der Bonus. Charaktere und deren Geschichten kennenzulernen, schaltet außerdem neue Waffen und Items frei.

Umgekehrt nimmt Cassidy aus ihren Traum-Kämpfen etwas mit in die Realität: Monster droppen "Items" mit Namen wie "Trost", "Glück" und "Einsicht", die bei Tag zu Zutaten für neue Geschenke werden. Je besser sich Cassidy in einem Run durch den Traum-Dungeon schlägt, desto größer ist außerdem ihr Zeitbudget am nächsten Tag. Das bedeutet: mehr Gespräche, mehr geknüpfte Freundschaften, mehr Boni, größere Chancen im Traum.
Ein Roguelike auf der Suche nach dem Sinn von Roguelikes
Das lückenlose Verweben zweier völlig unterschiedlicher Spielkonzepte kriegt "Dreamscaper" verblüffend gut hin. Fast wirkt es, als hätten sich die Entwickler die Frage nach dem Sinn von Rollenspiel-Mechaniken und zuallererst der Roguelike-Struktur gestellt: Warum sollte ein Spielcharakter immer wieder mit nichts von vorn beginnen? Träume sind da die naheliegende Lösung – und der Rest ergibt sich daraus.
Cassidys Waffen? Manifestationen ihrer guten Erinnerungen und Erfahrungen. Ihr Loot? Überwundene Ängste, die sich als Inspiration in ihrer Kunst niederschlagen. Ihre passiven Boni? Freunde, die ihr als Vorbilder dienen. Selbst das Zeitbudget passt hier hinein: Kämpft Cassidy erfolgreich gegen ihre Albträume, schläft sie besser und hat mehr vom Tag.

Stimmige Kämpfe, Dialoge & Präsentation
Was andere Rollenspiele nur in Menüs präsentieren, baut "Dreamscaper" zum eigenen kleinen Spiel aus. Weil sich das Game mit beiden Hälften gleichermaßen Mühe gibt, ist das mehr als ein Gimmick: Die Träume bieten präzise umgesetztes und manchmal unerwartet taktisches Action-RPG-Gameplay. Waffen und Zauber fühlen sich mächtig und einzigartig an, Synergien zwischen Items zu entdecken macht Spaß und motiviert. Die Visual-Novel-Seite von "Dreamscaper" besticht mit schön geschriebenen Dialogen und warmherzigen Figuren, über die ich auch wirklich mehr erfahren will. Und weil Cassidy sich ihren neuen Bekannten immer mehr öffnet, lerne ich zugleich mehr über sie – eine angenehm unaufgesetzte Art der Erzählung.

Dazu stimmt die Präsentation: Der Art Style erinnert dank seiner gesichtslosen Gliederpuppen-Figuren und warmen Farben ein wenig an das Rollenspiel "Ashen", das 2018 erschien und oft als "hoffnungsvolles "Dark Souls'" bezeichnet wird. "Dreamscaper" wäre analog dazu ein hoffnungsvolles "Diablo": kein Blut, keine Gedärme, keine Folterinstrumente, kein düsterer Orchestersoundtrack – stattdessen abstrakte Monster, die sich in Luft auflösen, sanfte Klavier- und Gitarrenklänge und eine Traumwelt, die realen Orten aus Cassidys Erinnerungen wie einer Stadt oder einem Campingplatz nachempfunden ist, aber immer leicht unwirklich wirkt.

Frustrierend frühe Schwierigkeits-Mauer
"Dreamscaper" schafft es mit Optik und Gameplay-Loop, das melancholische Innenleben seiner Hauptfigur stimmig abzubilden. Sich mit Cassidy in den stetig vertrauter werdenden Gesprächen nach und nach aus Traurigkeit und Fremdheitsgefühl herauszuarbeiten, ist nicht weniger befriedigend als die Dämonen in ihren Träumen handfester anzugehen. Phasenweise ist es sogar motivierender, denn der Schwierigkeitsgrad zieht ganz schön schnell an.

Die berühmte "Mauer" in Form unüberwindbar scheinender Bosse und Levels, gegen die man wieder und wieder anrennt, bis man endlich stark genug ist, gehört zu Action-RPGs und Roguelikes dazu. In "Dreamscaper" steht sie aber schon in Level zwei. Mehr als einmal habe ich mir gewünscht, das Spiel würde seine Roguelike-Gnadenlosigkeit gegen ein etwas weniger radikales Konzept eintauschen, nur um dann doch wieder einen neuen Run zu starten. Irgendwie scheint es bei allem Frust also doch zu funktionieren, ich tippe trotzdem auf einen Balance-Patch in näherer Zukunft – immerhin ist "Dreamscaper" im Early-Access-Stadium, auch wenn sich das Gameplay schon sehr ausgereift anfühlt.
Ein ungewöhnliches ARPG mit zwei gelungenen Hälften
Ansonsten ist bei "Dreamscaper" vieles Geschmackssache. Ja, die "Trauriges Mädchen vom Lande zieht in die Großstadt"-Story und die manifestierten inneren Dämonen sind Klischees, mit denen gerade gefühlige Indie-Produktionen seit Jahren arbeiten. Die Twentysomething-Hipster-Themen der Charaktere werden auch bei einigen Spielern mehr für Augenrollen als Empathie sorgen. Schön erzählt und angenehm unaufdringlich umgesetzt ist das Ganze aber dennoch – und "Dreamscaper" damit eine sichere Empfehlung für Spielefans auf der Suche nach einem etwas anderen Action-Rollenspiel.