Der Titel von Guy Ritchies neuem Film "The Gentlemen" ist irreführend: Ehrenmänner sucht der Zuschauer in dem Crime-Actioner vergeblich. Stattdessen tummeln sich im jüngsten Werk des "RocknRolla"-Regisseurs zahlreiche Ganoven. Die mögen auf den ersten Blick "very British" erscheinen, geizen aber nicht mit Schimpfwörtern und Kugeln. Warum "The Gentlemen" zwischen cool-unterhaltsam und klischeehaft schwankt, liest Du in unserer Filmkritik.
- Unter Wölfen: Die Story
- Die Lady und die Gentlemen lassen es krachen
- Kleider machen Leute – und gute Gangster
- Klischee komm raus, du bist umzingelt
- Fazit
Mit "The Gentlemen" kehrt Guy Ritchie zu seinen Wurzeln zurück: Nach Mainstream-Blockbustern wie den "Sherlock Holmes"-Filmen, "King Arthur: Legend of the Sword" und "Aladdin" liefert der Brite 2020 wieder einen Gangsterfilm ab, der mit coolem Look und tiefschwarzem Humor aufwartet. Wie schon in seinen ersten Spielfilmen "Bube, Dame, König, grAS" (1998) und "Snatch – Schweine und Diamanten" (2000) setzt Ritchie zudem auf gnadenlos brutale Action und schrullige Charaktere, die sich in schrägen Wortgefechten ergehen.
Leider verrennt sich "The Gentlemen" teilweise im typischen Ritchie-Stil. Der Zuschauer kann das Gefühl nicht abschütteln, den Film so schon einmal gesehen zu haben. An neuen Kniffen und Überraschungen mangelt es. Dennoch ist "The Gentlemen" solide Unterhaltung mit einem spielfreudigen Star-Cast, der einem beinahe alles verkaufen könnte.
Unter Wölfen: Die Story
Drogenbaron Mickey Pearson (Matthew McConaughey) will sein millionenschweres Marihuana-Imperium verhökern, der selbsternannte "König des Dschungels" träumt von einem ruhigen Luxusleben an der Seite seiner "Cockney Kleopatra", Ehefrau Rosalind ("Downton Abbey"-Star Michelle Dockery). Ein potenzieller Käufer ist mit dem Milliardär Matthew ("Succession"-Hauptdarsteller Jeremy Strong) schnell gefunden. Doch auch Mickeys Rivalen wittern ihre Chance, den "Silberrücken" zu Fall zu bringen.
Schon die erste Szene verrät, dass das Geschäft nicht sauber über die Bühne gehen wird: Mickey hat kaum Zeit, sich in einer Bar ein Pint und ein eingelegtes Ei zu bestellen, da spritzt auch schon Blut über den Tisch. Cut. Der schmierige Privatermittler Fletcher (ein glorreicher Hugh Grant, ausnahmsweise mal nicht in einer Rom-Com) reibt Mickeys rechter Hand Ray (Charlie Hunnam) genüsslich den "Dreck" unter die Nase, den er über dessen Boss ausgegraben hat. Sogar ein Drehbuch habe er mit seinem Insiderwissen geschrieben, das er aber verschwinden lassen könnte – für eine entsprechende Summe Geld, versteht sich.

Der Schlagabtausch zwischen dem aufdringlichen, überdrehten Fletcher und dem ruhigen, detailverliebten Ray legt den Grundstein für die verdrehte Erzählweise von Guy Ritchies "The Gentlemen": Der Zuschauer sieht einen Film im Film, Fletchers ausführlichen Bericht über die Ereignisse in der Londoner Unterwelt. Hin und wieder greift Ray korrigierend ein. Verdeutlicht wird das mal durch Rays und Fletchers Stimmen aus dem Off, mal durch mehrere Versionen ein und derselben Szene. Dieser Aufbau erschwert es dem Zuschauer, der Handlung zu folgen, gleichzeitig hält das perfekt getaktete Zusammenspiel von Grant und Hunnam die Spannung aufrecht.

Die Lady und die Gentlemen lassen es krachen
Womit wir bei der größten Stärke von "The Gentlemen" angekommen sind: dem Cast. Zwar wird Matthew McConaughey auf jedem Poster zuerst genannt, die wahren Stars des Films sind jedoch Hugh Grant und Charlie Hunnam. Das Duo spielt seine verschrobenen, völlig gegensätzlichen Charaktere mit so viel Spaß und Hingabe, dass der Zuschauer sich das Dauergrinsen kaum verkneifen kann.
Eine ähnliche Wirkung erzielt Colin Farrell als nuschelnder Boxtrainer. Der irische Schauspieler hat eine kleinere Rolle, schafft es aber wiederholt, seinen Co-Stars die Show zu stehlen.
Ebenfalls ein Highlight: die einzige Frau im zentralen Cast. Anders als in den meisten Gangsterfilmen ist Michelle Dockerys Rosalind nicht nur "die Frau von", sondern Mickeys gleichwertiger Partner in Crime. Die unabhängige Geschäftsfrau sagt ihrem mächtigen Gatten stets unverblümt die Meinung und verteidigt sich, wenn nötig, selbst gegen dessen Rivalen. Dabei schafft Dockery problemlos den Spagat zwischen Lady-Mary-Eleganz und tougher Gangsterbraut.

Kleider machen Leute – und gute Gangster
An dieser Stelle geht ein dickes Lob an Kostümdesigner Michael Wilkinson, der bei "The Gentlemen" ganze Arbeit geleistet hat. Jeder Charakter hat seinen ganz eigenen Stil, der sein Wesen unterstreicht und dem Film im Ganzen einen unglaublich lässigen Look verleiht.
Charlie Hunnams Ray sieht aus, als wäre er Stammkunde bei den besten Herrenausstattern Londons. Matthew McConaugheys Mickey trägt ausschließlich Tweet und passt so hervorragend zum britischen Adel, mit dem sich der soziale Aufsteiger so gern umgibt. Nicht zu vergessen: Colin Farrells Coach, der im gemusterten Jogginganzug wie die Entenmama für seine ähnlich gekleidete Teenie-Chaotentruppe wirkt, aber nebenbei mit stoischer Geduld alles erledigt, was eben getan werden muss.

Klischee komm raus, du bist umzingelt
Weniger stilsicher zeigt sich Guy Ritchie bei den Dialogen. Mir ist bewusst, dass der Regisseur eher für einen düsteren Humor bekannt ist, doch in "The Gentlemen" driftet der vermeintliche Wortwitz nicht selten in rassistische Klischees ab, die einen schalen Beigeschmack hinterlassen. So lässt sich Colin Farrells Coach minutenlang mit einem seiner Hip-Hop-liebenden Schützlinge darüber aus, ob es in Ordnung ist, ein Schimpfwort in Verbindung mit der Hautfarbe als Anrede zu nutzen, wenn es "von Herzen" kommt. Und "die Chinesen", Mickeys ärgste Konkurrenten, werden ganz selbstverständlich als Koksdealer, Menschenhändler und Vergewaltiger präsentiert. Fehlt nur noch, dass sie einen Anschlag auf Buckingham Palace planen.
Fazit: Nicht der König im Crime-Dschungel, aber sehenswert
Mit "The Gentlemen" kehrt Guy Ritchie zu seinen Anfängen zurück, ganz zu alter Stärke kann der britische Filmemacher aber nicht zurückfinden. Immerhin: Die hochkarätige Besetzung und das stylishe Design machen den Crime-Film unterhaltsam und lassen den Zuschauer über Klischees und überzeichnete Figuren hinwegsehen.