Ein Schatten-Gnom, ein schlafender König und viel Zeit: Das sind die Zutaten für das originelle Indie-Spiel "The Longing". Wer mag, kann hier in gemächlichem Tempo eine faszinierende Unterwelt erkunden – oder einfach bis zum Abspann warten. Aber das kann dauern.
- Deine einzige Aufgabe: Warten
- In "The Longing" braucht alles Zeit. Viel. Zeit.
- Schatten auf Erkundungstour
- Schöne Einsamkeit
- Halb Adventure, halb Idle Game
Abwarten und Tee trinken begegnet mir als Spielmechanik nicht allzu oft. Ja, gelegentlich steht mal eine Figur ein paar Sekunden rum, bis ein bestimmtes Ereignis eintritt. Aber wann hast Du in einem Game zuletzt mehrere Tage lang darauf warten müssen, dass Moos auf einem Felsen wächst? Oder gar darauf, dass der Abspann ganz von selber beginnt?
Deine einzige Aufgabe: Warten
In "The Longing" geht das. Das Spiel des Stuttgarter Indie-Entwicklers Studio Seufz verordnet sich und den Spielern maximale Langsam- und Einsamkeit. Ich spiele hier einen kleinen Gnom, Schatten genannt, der zu Beginn des Spiels von einem gewaltigen König in einer Berghöhle einen Auftrag bekommt: "Weck mich nach 400 Tagen aus meinem tiefen Schlaf und halte so lange Wache. Gute Nacht." Ab da ist der Schatten allein unterm Berg. Und während er auf das Erwachen des Königs wartet, tickt am oberen Bildschirmrand ein Countdown Sekunde für Sekunde herunter, 400 Tage lang.

Diese Uhr ist Dreh- und Angelpunkt von "The Longing". Sie läuft im Spiel, aber sie läuft auch weiter, wenn ich es beende. Creative Director Anselm Pyta hat schon vor dem Release erklärt, dass man deshalb auch einfach aufs Spielende warten kann – "The Longing" spielt sich dann quasi selber durch. Aber das ist definitiv nicht die spaßigste Variante.
In "The Longing" braucht alles Zeit. Viel. Zeit.
Im Höhlenlabyrinth unter dem Berg warten nämlich einige Geheimnisse und mystische Räume, die der Schatten entdecken und erkunden kann, wenn er schon sonst nichts zu tun hat. Er findet Kohlebrocken, mit denen er ein Feuerchen in seiner kleinen Wohnhöhle machen kann. Bücher, die er im Sessel lesen kann. Papierbögen, auf denen er düstere Kunstwerke anfertigt, um sich die Einsamkeit etwas zu versüßen.
Immer wieder stößt er aber auch auf Hindernisse, die sich ebenfalls nur auf eine Art und Weise beseitigen lassen: durch Warten. Mal ist das eine Tür, die sich knarrend zwei Stunden lang öffnet. Mal eine Spinne, die einige Tage lang ein Netz baut, über das der Schatten dann in einen neuen Höhenabschnitt klettern kann. Und mal muss eben der oben genannte Moosteppich zwei Wochen lang wachsen, bis ein Sprung auf das Pflanzen-Polster gefahrlos möglich ist.

Schatten auf Erkundungstour
Die Uhr am Bildschirmrand lässt sich zwar ein bisschen beschleunigen, indem ich die Wohnhöhle des Schattens gemütlicher ausstatte – mit ein paar Bildern an der Wand und einem Feuer im Kamin vergehen die Sekunden nicht mehr einzeln, sondern im Doppel- oder gar Viererpack. Trotzdem führt am Warten kein Weg vorbei. Da ist es praktisch, dass der Schatten so langsam durch die Gänge schleicht, dass allein das Erkunden schon eine Menge Zeit frisst. Eine Schnellreise gibt es übrigens nicht, ich kann aber bereits besuchte Räume abspeichern und dem Schatten danach dabei zusehen, wie er Schritt für Schritt dorthin zurücktapert.

Schöne Einsamkeit
Dass das bei aller Langsamkeit seinen Reiz hat, liegt an der Atmosphäre des Spiels. Der Zeichenstil erinnert an Kinderbücher oder Märchen-Illustrationen, ist verspielt und düster zugleich. Die Hintergrundmusik besteht aus melancholischen Synthesizer-Klängen, die die weitläufige Einsamkeit der Höhle hörbar machen.
Und der Schatten hat Persönlichkeit: Regelmäßig meldet sich die Spielfigur in Textfenstern zu Wort, freut sich über seine schon wieder etwas wohnlichere Höhle, beklagt die Einsamkeit oder überlegt, ob sie einen Weg hinaus suchen oder besser dem König gehorchen sollte – eine klare Andeutung mehrerer Spielenden und nicht selten bei aller Düsternis zum Schmunzeln. Ohnehin hat das Spiel einen feinen, leicht fatalistischen Humor: Schleppt sich der Schatten etwa in eine Sackgasse, bekomme ich eine "Enttäuschung" – ein Sammelobjekt, das ich an anderer Stelle eintauschen kann.

Halb Adventure, halb Idle Game
Studio Seufz bezeichnet "The Longing" selbst als Mischung aus Adventure und Idle Game – also einem Spiel, das man die meiste Zeit sich selbst überlassen kann und dem man nur ab und zu mal einen Befehl geben muss. Zum aktiven Durchspielen ist es daher kaum geeignet: Dafür sind die Wartezeiten zu lang, die Spaziergänge des Schattens zu träge, die Einsamkeit zu ereignisarm.
Aber: In der richtigen Stimmung ist es regelrecht meditativ, dem Gnom bei seinen Spaziergängen zuzusehen. Außerdem ist "The Longing" perfekt, um es nebenbei laufen zu lassen, während man etwas ganz anderes macht – zum Beispiel diesen Text tippen. Ich kann immer mal wieder per Klick einen neuen Zielort für den Schatten setzen und schauen, ob ich mittlerweile an einer Stelle weiterkomme, an der es bisher nicht weiterging. Und wenn nicht, lasse ich den kleinen Gesellen eben in seiner Höhle und lasse ihn warten.
Bis der König aufwacht, ist ja noch reichlich Zeit.