Ich bekenne: Seit ich Ana de Armas in "Knives Out" gesehen habe, interessiert mich jeder Film, in dem die gebürtige Kubanerin auftaucht. So lag dann auch die Sichtung von Michael Cristofers neuem Film "The Night Clerk – Ich kann dich sehen" nahe. Ob sich das Ansehen für mich letztlich gelohnt hat, liest Du hier.
- Ich sehe was, was du nicht siehst: die Story
- Thriller ohne Thrill
- Starker Cast, mittelmäßiges Drehbuch
- Alles eine Frage der Perspektive
- Fazit
Ich sehe was, was du nicht siehst: die Story
Der 23-jährige Bart Bromley (Tye Sheridan) arbeitet als Nachtportier in einem Hotel. Da der junge Mann unter dem Asperger-Syndrom leidet, fallen ihm soziale Interaktionen schwer und er verhält sich alles andere als einfühlsam im Umgang mit seinen Mitmenschen. Um diese Schwäche auszugleichen, hat Bart einen cleveren, wenn auch unmoralischen Weg gefunden: Er hat versteckte Kameras in den Hotelzimmern installiert, über die er das Verhalten der Gäste studiert.
Eines nachts beobachtet Bart, wie eine schöne Frau in ihrem Zimmer in einen Kampf mit einem Mann gerät. Ein Schuss ist zu hören, die Frau ist tot – und Bart hat alles auf Video. Statt die Aufnahmen jedoch der Polizei rund um Detective Espada (John Leguizamo) auszuhändigen, schweigt der junge Mann. Prompt wird er verdächtigt, den Mord begangen zu haben.
So weit, so unheimlich. Als Zuschauer fragt man sich unwillkürlich, ob Barts Motive für seine "Beobachtungen" wirklich so unschuldig sind, wie er behauptet. Oder ob er nicht doch einfach voyeuristische Neigungen hat, die seine Mutter (Helen Hunt) sich schlicht mit der autistischen Entwicklungsstörung schönredet, wie der Ermittler mutmaßt. Vermutlich ein bisschen was von beidem.
Kurze Zeit später trifft Bart auf einen weiteren Hotelgast, die hübsche Andrea (Ana de Armas). Die Femme fatale scheint sich kein bisschen am ungeschickten zwischenmenschlichen Verhalten des Nachtportiers zu stören. Im Gegenteil: Andrea flirtet sogar mit dem jungen Mann. Unnötig zu erwähnen, dass die "zufällig" direkt nach dem Mord aufgetauchte Schöne ihre ganz eigenen Gründe dafür hat, Barts Nähe zu suchen ...
Thriller ohne Thrill
Angekündigt wurde "The Night Clerk" meist als Crime-Thriller oder Mystery-Thriller. Nach dem Ansehen muss ich allerdings sagen: Von einem Thriller hat dieser Film wenig. Wer der wahre Mörder ist, ist dem Zuschauer von Anfang an klar. Ein Spannungsbogen wird hier nie aufgebaut. Dafür ist die Erzählweise der Story zu ruhig, zu unaufgeregt.
Stattdessen ist "The Night Clerk" vielmehr eine etwas langsam dahinplätschernde, verdrehte Coming-of-Age-Geschichte: erster Kuss, erste Liebe, erster Herzschmerz – nur eben inklusive Mordfall und mit einer Hauptfigur, die sich mit sozialen Interaktionen schwertut. Protagonist Bart kommt im Laufe des Films seinem Ziel, die Welt um sich herum zu begreifen und seinen Platz darin zu finden, scheinbar ein kleines Stück näher. Mehr tut sich eigentlich nicht.
Auch emotional nimmt der Film seine Zuschauer kein bisschen mit. Dafür ist die Handlung schlicht zu vorhersehbar und die Charaktere sind zu wenig ausgearbeitet. Dabei hat das Grundkonzept – junger Mann mit Asperger-Syndrom wird in einen Mordfall verwickelt – durchaus Potenzial.
Starker Cast, mittelmäßiges Drehbuch

Apropos Potenzial: Am Cast liegt es sicher nicht, dass "The Night Clerk" nicht der fesselnde Thriller geworden ist, der er hätte sein können. Ana de Armas hat bereits mit "Knives Out" bewiesen, dass sie selbst in einem hochkarätig besetzten Film herausstechen kann, und ich freue mich darauf, sie in "James Bond 007: Keine Zeit zu sterben" wiederzusehen. Und "Ready Player One"-Star Tye Sheridan steht ihr in Sachen Schauspieltalent in nichts nach. Als sozial unbeholfener Technikgeek mit unstetem Blick und nervösen Tics überzeugt er einmal mehr auf ganzer Linie. Schade, dass die zu simple Story diesen talentierten Stars nicht mehr abverlangt hat.
Alles eine Frage der Perspektive
Ein weiterer Pluspunkt für "The Night Clerk" ist die Kameraarbeit. Immer wieder blickt der Zuschauer aus der Vogelperspektive oder aus einem auffällig schrägen Winkel auf das Geschehen. Das schafft Abstand. Wir werden zum Beobachter aus der Ferne, ebenso vom eigentlichen Geschehen distanziert wie Bart.
Eine schöne Idee, aus der der Film aber leider zu wenig macht. Selbst die besten visuellen Kniffe können eine zu oberflächliche Story nicht wettmachen.
Fazit: Auschecken?
Trotz einer durchdachten Inszenierung und vieler im Ansatz guter Ideen ist der Film von Michael Cristofer ("Original Sin") am Ende weder Fisch noch Fleisch. Ein Krimi um einen jungen Mann mit Asperger-Syndrom, der in einen Mordfall verwickelt wird? Klingt gut! Eine zarte Beziehung, die zwischen einem Mann mit autistischen Zügen und einer selbstbewussten Frau entsteht? Kann funktionieren (hierzu sei Dir der Roman "Das Rosie-Projekt" ans Herz gelegt). Ein Thriller rund um einen voyeuristischen, technikverliebten Protagonisten? Klar, wieso nicht! Aber alles in einem einzigen, 90-minütigen Film unterzubringen ist dann eben doch ein wenig zu viel des Guten.
Wenn Alfred Hitchcocks "Psycho" die Luxusunterkunft unter den Hotel-Thrillern ist, dann ist "The Night Clerk" ein Zwei-Sterne-Gasthof. Mit einem kurzen Zwischenstopp, beispielsweise an einem Sonntagnachmittag auf der Couch, macht man jedoch nichts verkehrt, denn zumindest das Personal gibt sich alle Mühe, Dir den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten.
TURN ON-Wertung: 2,5/5
Originaltitel: "The Night Clerk"
Regie: Michael Cristofer
Mit: Tye Sheridan, Ana de Armas, Helen Hunt
Laufzeit: 1 Stunde 30 Minuten
FSK: ab 12