"The Outsider" ist eine der besten Serien, die derzeit zu sehen sind – und (fast) keiner guckt sie. Ein großer Fehler, denn das Horror-Drama nach einem Roman von Stephen King ist düster, verstörend und mörderisch spannend. Wieso Du noch schnell einsteigen solltest.
- Ein Mörder, der kein Mörder sein kann
- Mordsmäßig unvorhersehbar
- Hass frisst sich durch alles
- Willkommen im Herz der Finsternis
Horror-Autor Stephen King hat seit einigen Jahren einen Lauf – es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht ein neuer Kinofilm oder eine neue Serie angekündigt wird, die auf einem seiner Bücher basiert. Das muss aber nicht heißen, dass jedes Stephen-King-Projekt ein Quotenknüller ist. "The Outsider" von HBO läuft hierzulande bei Sky, scheint aber nur einen Bruchteil der Zuschauer zu interessieren. In sozialen Netzwerken ist die Thriller-Serie nur am Rande ein Thema, es gibt kaum Diskussionen zu Inhalt und Qualität. Das will ich ändern – denn die komplexe Miniserie ist ein absoluter Geheimtipp.

Ein Mörder, der kein Mörder sein kann
"The Outsider" ist wieder so eine Serie, über die Du so wenig wie möglich wissen solltest, um Dir die Freude an den schockierenden Entwicklungen und hirnschmelzenden Story-Twists nicht zu verderben. Schon in der ersten Folge werden die Grundlagen für eine mysteriöse Geschichte gelegt, auf die sich sowohl die handelnden Charaktere in der Serie wie auch die Zuschauer lange keinen Reim machen können.
In einem Waldstück wird die grausam misshandelte Leiche eines kleinen Jungen gefunden. Alle Beweise und Zeugenaussagen sind eindeutig: Der Mörder war der unauffällige Terry Maitland (Jason Bateman nach "Ozark" mal wieder in einer ernsten Rolle), der als Baseball-Coach für Kids arbeitet. Doch Terry ist von dem ungeheuren Vorfall genauso geschockt wie seine Mitmenschen, er beschwört seine Unschuld. Mehr noch: Er könne es gar nicht gewesen sein, beteuert er immer wieder, er sei zum Tatzeitpunkt gar nicht in der Stadt gewesen.
Und tatsächlich: Videoaufnahmen bestätigen, dass er Hunderte von Kilometern entfernt war, als der Mord geschah. Doch sämtliche DNA-Spuren lassen keinen Zweifel zu, es muss Terry gewesen sein. Cop Ralph Anderson (Ben Mendelsohn aus "Ready Player One", hier so eindringlich und wahrhaftig wie wohl nie), der selbst an einem schweren Trauma knabbert, ist völlig ratlos. Erlaubt sich jemand einen makabren Scherz? Ist das Alibi eine perfekt getrickste Lüge? Was zum Teufel wird hier gespielt? Und derweil bemerkt niemand die mysteriöse Gestalt mit dem missgestalteten Gesicht, die plötzlich in der Stadt auftaucht ...

Mordsmäßig unvorhersehbar
Nein, keine Angst, das war jetzt kein krasser Spoiler – das passiert alles schon in Folge eins. Und immer, wenn Du denkst, Du hast das Geheimnis gelüftet, nimmt die Story unvermutete und zunehmend unheimlichere Wendungen. Das ist es, was "The Outsider" so faszinierend macht: Die Serie legt sich nicht auf ein Genre fest.
Sie beginnt wie ein hartes, düsteres Crime-Drama, das vor Tabuthemen wie Kindsmord nicht zurückschreckt und vom ersten Moment an klarmacht, dass das mit seichtem "CSI: Läuft das überhaupt noch?"-Quatsch aber mal gar nichts zu tun hat. Doch da wir bei Stephen King sind, bekommt die Mördersuche schnell einen übernatürlichen Dreh. Wer (oder was) ist der Killer des kleinen Jungen, lautet die zentrale Frage der Serie.
"The Outsider" ist aber nicht nur so packend, weil es eine krimitypische Mördersuche mit Horror-Elementen mixt. Sondern weil es eine beklemmende Abhandlung über Schmerz und Gewalt ist. Und darüber, dass sich Leid und Trauer wie ein Krebsgeschwür ausbreiten, wenn wir das zulassen.

Hass frisst sich durch alles
Der schreckliche Kindermord löst eine Kettenreaktion aus, die tragische Folgen hat. Paranoia, Misstrauen und blanker Hass fordern bald noch mehr Blutvergießen, das Verlangen nach Rache und Vergeltung ist stärker als jede Vernunft. Familien zerbrechen, obwohl sie doch Trost und Halt geben sollten. Gewalt erzeugt Gegengewalt – das mag eine Floskel sein, aber "The Outsider" füllt sie so schonungslos konsequent mit Leben, dass vor allem die ersten Folgen regelrecht niederschmetternd sind.
Stephen King hat oft erklärt, dass die Vorstellung vom Verlust eines geliebten Menschen – und im Speziellen eines seiner Kinder – ein persönlicher Albtraum ist, den er immer wieder neu verarbeitet. "The Outsider" führt diesen Horror so eindrücklich vom Abstrakten ins Konkrete, dass die Momente zwischenmenschlichen Dramas dem übernatürlichen Schrecken absolut ebenbürtig sind. Eigentlich fühlen sie sich sogar noch schlimmer an.

Willkommen im Herz der Finsternis
"The Outsider" ist keine Serie, die Du so nebenher gucken oder bei der Du mal ein paar Folgen ausfallen lassen kannst. Sie erfordert die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers und belohnt aktives Mitdenken, das zentrale Rätsel ist wirklich faszinierend, seine Auflösung sehr eigensinnig. Keine Serie, die im klassischen Sinne Spaß macht – aber eine, die sehr schnell einen dunklen Sog entwickelt, dem sich der Zuschauer kaum entziehen kann. Und da es nur zehn Folgen sind, solle es eigentlich jeder schaffen, dem Horror-Drama bis zum Schluss zu folgen. Ohne nebenher permanent auf dem Handy zu surfen.
Ich weiß nicht, ob "The Outsider" auf vielen Jahresbestenlisten auftauchen wird. Verdient wäre es.