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"The Sinking City": Warum das Cthulhu-Spiel mich wahnsinnig macht

"The Sinking City" soll den kosmischen Schrecken zurück auf den Bildschirm bringen – und hat nur teilweise Erfolg.
"The Sinking City" soll den kosmischen Schrecken zurück auf den Bildschirm bringen – und hat nur teilweise Erfolg. Bild: © Frogwares 2019

Als großer Lovecraft-Fan habe ich mich tierisch auf "The Sinking City" gefreut - eine Neuinterpretation des Cthulhu-Mythos! In einer offenen Spielwelt! Meine schönsten (Alb-)Träume schienen wahr zu werden. Nun ist das ambitionierte Horrorspiel endlich da – und es macht mich im wahrsten Sinne des Wortes wahnsinnig. Nur leider nicht unbedingt aus den richtigen Gründen.

Vor einiger Zeit habe ich mal aufgeschrieben, was ich mir für ein Cthulhu-Spiel wünsche: Ein frisches, unverbrauchtes Setting, keine hässlichen Sanity-Balken und nicht mehr diese wahnhafte Fixierung auf Cthulhu, so als gäbe es im Lovecraft-Mythos keine anderen Gestalten neben dem mittlerweile recht abgenudelten Tentakelkopp. Nun, stellen wir "The Sinking City" nach den ersten Spielstunden doch mal auf den Prüfstand!

Das Setting: Altbekannt, aber mit Fisch-Sex!

Auch "The Sinking City" geht auf Nummer sicher und versetzt sein kosmisches Horror-Abenteuer in ein altes, heruntergekommenes Fischerdorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts – wie 99% aller Cthulhu-Games auf dem Markt. Hat H.P. Lovecraft das bei seinem Tod testamentarisch irgendwie verfügt oder so? Ob es lähmender Respekt vor dem Werk des Autoren ist oder Angst vor dem Gemecker der Hardcore-Fans, die sich nur ungern auf neue Ideen einlassen, einen Punkt für Originalität gibt's dafür schon mal nicht.

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"Sag ... meiner Frau ... dass ich ein Oktopus bin." Bild: © Frogwares/TURN ON 2019

Aber: Das halb-versunkene und offen begehbare Oakmont hat trotz der sattsam bekannten Aufmachung doch einen morbiden Reiz. Klar, dunkle Ecken, überall Verfall, Gaslaternen, vermoderte Boote am Strand und Fischkadaver, das hatte ich erwartet. Aber die Entwickler Frogwares haben sich doch ein paar inszenatorische Spitzen geleistet, die mich zumindest ganz am Anfang unvorbereitet erwischt haben: In der heruntergekommenen Kaschemme am Hafen hängt ein wahrlich monströses Seespinnen-Vieh an der Decke...

...ein riesiges Wandgemälde zeigt einen Seemann in unangenehm erotisch aufgeladener Umarmung mit einem Fisch...

...und ich als Horrorfilm-Fan erkenne in dem Plakat an der Litfaßsäule sofort den unheimlichen Cesare aus dem Stummfilm-Klassiker "Das Kabinett des Dr. Caligari".

Ich trauere immer noch meinem Wunschtraum von einem Lovecraft-Spiel in der Jetztzeit hinterher. Und das unheilvolle Oakmont wird in einem Ranking der besten offenen Spielwelten niemals einen vorderen Platz einnehmen. Aber es gefällt mir immerhin schon mal besser als das wirklich krachend öde Darkwater Island aus "Call of Cthulhu", das im Herbst 2018 erschien. Immerhin.

Die Balken. Immer diese Balken.

Nächster Punkt: Die von mir so verabscheuten Balken und Leisten, die mir anzeigen, ob mein Charakter Charles Reed geistig noch gesund oder schon dem Wahnsinn verfallen ist. Ich finde dieses Design-Element irre abturnend – es ist schon traurig, dass vielen Entwicklern auch im Jahr 2019 keine andere Methode einfällt, mir überlebenswichtige Informationen über meine Spielfigur zu vermitteln als mit klobigen Sanity-Metern, die einfach in die Bildschirmecke geklatscht werden.

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"Sag ... meiner Frau ... dass ich eine kosmische Monstrosität aus dem Weltraum bin." Bild: © Frogwares/TURN ON 2019

Und hier kann ich leider gar nichts Positives berichten, denn "The Sinking City" macht genau das. Rot ist meine Lebensenergie, blau meine geistige Gesundheit, wie man es eben so macht in einem Videospiel. Und zwar in einem, das ironischerweise Verunsicherung und die Furcht vor dem Unbekannten zum Thema macht. Doch zu viel Verunsicherung kann mir als Spieler offenbar nicht zugemutet werden, deswegen sehe ich immer schön auf einen Blick, zu wie viel Prozent mein Charakter jetzt gerade wahnsinnig ist. So ein Nonsens tut mir schon beim Tippen weh.

Und bevor Charly-Boy endgültig irre wird, wähle ich schnell ein paar Beruhigungstabletten aus dem Item-Menü aus und zack – alles ist wieder gut, der traumatisierende kosmische Schrecken, der mich gerade noch fast in den Wahnsinn getrieben hat, ist schon vergessen. Klingt das nur für mich absolut widersinnig? So wird aus einem bestimmenden Element in Lovecrafts Geschichten, nämlich der geistigen Gesundheit der Protagonisten, lediglich eine Ressource, auf die ich hin und wieder mal achten muss – bestenfalls eine Unbequemlichkeit.

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Übernächtigt, irre oder doch nur breit wie'n Otter? Bild: © Frogwares/TURN ON 2019

Und was ist jetzt mit Cthulhu...?

Okay, und damit zum letzten Punkt: Reibt uns auch "The Sinking City" penetrant Cthulhu unter die Nase, als gäbe es in Lovecrafts Pantheon keine anderen – und weitaus spannenderen! – Weltraum-Gottheiten?

Das kann ich leider noch nicht sagen, denn soweit bin ich noch nicht. Nach ein paar Stunden in Oakmont bin ich schon jeder Menge ekliger Monster begegnet, habe blutige Hinweise auf einen geheimen Todeskult entdeckt und sogar schon das Necronomicon gefunden (gab übrigens nicht mal 'ne Trophy, enttäuschend)  – der Name Cthulhu ist allerdings bislang noch nicht gefallen. Und das werte ich ausdrücklich positiv!

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Gibt's eigentlich Tine Wittlers "Einsatz in vier Wänden" noch? Bild: © Frogwares/TURN ON 2019

Ich fresse freiwillig einen Schoggothen, wenn sich Cthulhu nicht trotzdem als ultimativer Endboss entpuppt, der mal wieder die Menschheit in den Abgrund reißen will. Immerhin zeigt uns schon das Intro eine gigantische Tentakelfigur. Zudem beten Oakmonts Bewohner immer wieder zu einem ominösen "Kay" – ist damit Cthulhu gemeint? Wahrscheinlich.

Aber im Zweifel für den Angeklagten: Bislang nimmt sich "The Sinking City" Zeit, seine Story aufzubauen und das Gefühl allgegenwärtiger Bedrohung langsam hochzuschrauben, ohne jede Subtilität von Anfang an mit der Cthulhu-Schaufel plattzuklopfen. Gibt 'nen halben Punkt.

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Das Gefühl der Beklemmung kommt schon ganz gut rüber. Bild: © Frogwares/TURN ON 2019

Fazit: Dieses Spiel macht es Lovecraft-Fans nicht leicht

"The Sinking City" macht mich als Lovecraft-Fan so wahnsinnig wie die Großen Alten einen neugierigen Okkultismus-Forscher. Auf der einen Seite nerven die abgegriffenen Klischees – und von technischen Unzulänglichkeiten wie dem krassen Aufploppen von Menschen und Gebäuden, sonstigen Grafik-Fehlern, Ruckel-Zuckel-Animationen, hakeliger Steuerung und der fummeligen Menüführung will ich nicht mal anfangen.

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Milliarden von Lichtjahren zur Erde gereist. Und kommt dann nicht durch die Tür. Bild: © Frogwares/TURN ON 2019

Auf der anderen Seite merke ich, wie ich mit jeder Spielstunde tiefer in die Abgründe Oakmonts gezogen werde, wie ich immer wieder neue, unheimliche Mini-Details entdecke und wie erfrischend es ist, meine nächsten Aufgaben und Ziele selber suchen zu müssen, statt sie mir vom Spiel einfach per Questmarker anzeigen zu lassen. Immerhin spiele ich einen Detektiv – und dass ich als solcher eben auch mein Köpfchen anstrengen will, das haben die Macher eindeutig verstanden.

Heute Abend spiele ich "The Sinking City" weiter. Und wer weiß – vielleicht ist ja doch nichts so, wie es scheint und das Spiel hält noch ein paar schockierende Überraschungen für mich bereit.

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Eine Seefahrt, die ist lustig, eine Seefahrt, die ist schön... Bild: © Frogwares/TURN ON 2019

Würde ja irgendwie auch zum Thema passen, oder?

Release
"The Sinking City" ist ab sofort für PC, PS4 und Xbox One erhältlich.
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