Unsere Filmkritik zu "Rocketman": Wie ein Fiebertraum

Taron Egerton haut in "Rocketman" als Elton John in die Tasten.
Taron Egerton haut in "Rocketman" als Elton John in die Tasten. Bild: © David Appleby / Paramount Pictures 2018

Nach "Bohemian Rhapsody" steht der nächste Film über eine Musiklegende in den Startlöchern. Diesmal geht es um Sir Elton John – und dessen schillerndes Leben verlangt nach einem ebenso schillernden Kinofilm. Ob "Rocketman" abhebt oder abstürzt, liest Du in unserer Kritik.

Elton John, der Rocketman: Hoch geflogen ...

"Mein Name ist Elton John und ich bin Alkoholiker ... und ein Kokain-Süchtiger", ist einer der ersten Sätze, die Hauptdarsteller Taron Egerton in "Rocketman" von sich gibt. Dann taucht plötzlich sein junges Ich mitten im Raum auf, entführt Egertons Elton John gemeinsam mit dem Zuschauer in dessen Kindheit und singt dabei "The Bitch is Back".

Schnell wird klar: Reginald Dwight, so der echte Name des Sängers, war immer anders, immer etwas Besonderes. Später erschafft er die schillernde Kunstfigur Elton Hercules John, um sein schüchternes Wesen zu überspielen. Kurz darauf trifft er auf den Songtexter Bernie Taupin. Zusammen schreiben sie unzählige Nummer-eins-Hits wie "Your Song". John legt eine steile Karriere hin, hinter der Glitzer-Fassade sieht es jedoch anders aus.

Taron Egerton Elton John ROCKETMAN fullscreen
"Es ist nicht alles Gold, was glänzt", trifft auch auf Elton John zu, denn hinter der Glitzer-Fassade sieht es anders aus. Bild: © David Appleby/PARAMOUNT PICTURES. ALL RIGHTS RESERVED. 2018

... und tief gefallen

Alkohol-, Drogen- und Sexsucht, Einsamkeit, Wutausbrüche und der verzweifelte Wunsch, geliebt zu werden, sind zentrale Themen in "Rocketman". Elton John, der selbst als ausführender Produzent an der Verfilmung seines Lebens beteiligt ist, beleuchtet seine persönlichen Tiefpunkte. "Der Film musste so ehrlich wie möglich sein. Ich bin hoch geflogen, aber auch sehr tief gefallen. So sollte der Film auch sein", erklärt der Musiker selbst in einer Kurzdokumentation. Auf diese Weise wird "Rocketman" zeitweise wirklich zum "wilden Ritt", wie es Eltons Johns Manager John Reid im Film ausdrückt – auch für den Zuschauer.

So bricht die Handlung beispielsweise in den Zeiten seiner ausufernden Drogenexzesse mehrfach ab und springt plötzlich in eine andere Szenerie. Im einen Moment befindet sich der Protagonist noch in seinem Schlafzimmer, im nächsten Moment sitzt er schon in einem Privatflugzeug und blickt sich verwirrt um. Der Zuschauer leidet in diesen Momenten mit dem drogenabhängigen Elton John unter seinen Blackouts und braucht ebenso wie er einige Sekunden, um sich wieder zu fangen, und in der Story zu orientieren.

Taron Egerton in Rocketman fullscreen
Wo kommen all die Menschen plötzlich her? Elton Johns Drogensucht beschert ihm Blackouts. Bild: © David Appleby / Paramount Pictures 2019

Fantasy-Musical statt klassisches Biopic

Zu verdanken haben wir diese eigenwillige Inszenierung neben Elton John selbst dem Regisseur Dexter Fletcher, der jüngst die Produktion von "Bohemian Rhapsody" zu Ende führte, nachdem Bryan Singer mitten in den Dreharbeiten gefeuert worden war. Bis auf Fletcher und einen epischen Soundtrack haben die beiden Filme allerdings wenig gemeinsam.

Wie von Elton John und den Produzenten im Voraus mehrfach angekündigt wurde, handelt es sich bei "Rocketman" nämlich viel mehr um ein Fantasy-Musical statt um ein konventionelles Biopic. Heißt im Klartext: Alle paar Minuten gehen Gespräche nahtlos in Gesangs- und Tanzeinlagen über. Ganze Gruppen von Leuten tanzen plötzlich völlig synchron drauf los oder ein Orchester erscheint aus dem Nichts. Das gefällt sicherlich nicht jedem Kinogänger, mich spricht es allerdings deutlich stärker an als beispielsweise die unzähligen Musikstudio- und Bühnen-Sequenzen in "Bohemian Rhapsody".

Die Kehrseite: Teilweise lenken diese spektakulären Showeinlagen von der emotionalen Seite des Films ab. Kaum ist man berührt vom Geschehen auf der Leinwand, wird man als Zuschauer von bunten Kostümen und lauter Musik mitgerissen – wo waren wir doch gleich stehen geblieben?

Ein weiterer Haken: Auch das Biopic, das keines sein will, kommt nicht ganz ohne einige typische (und etwas kitschige) Filmbiografie-Elemente aus. Wie zum Beispiel die obligatorischen Text-Einblenden vor dem Abspann, in denen zusammengefasst wird, was Elton John seit den Film-Ereignissen alles erreicht hat. Wäre der Film stattdessen einfach mit "I'm Still Standing" geendet, hätte ihm meiner Meinung nach auch nichts gefehlt. Der Song spricht schließlich – wie bei jedem guten Musical – für sich.

Taron Egerton überstrahlt sie alle

Dass das Konzept des Musical-Biopics aufgeht, liegt vor allem an Hauptdarsteller Taron Egerton. Der "Kingsman"-Star glänzt als Elton John – und das nicht nur aufgrund unzähliger Strasssteinchen an seinen ausgefallenen Kostümen. In den stillen, emotionalen Momenten, eingefangen von Nahaufnahmen, ist der Schauspieler ebenso glaubhaft wie in den Momenten, in denen er den Showman Elton rauskehrt. Und als wäre das allein nicht genug, singt Egerton alle Songs selbst, was dem Film im wahrsten Sinne des Wortes eine zusätzliche authentische Note verleiht.

Jamie Bell (links im Bild), Taron Egerton, ... fullscreen
Jamie Bell (links im Bild), Taron Egerton, ... Bild: © David Appleby / Paramount Pictures 2019
... und Richard Madden (rechts im Bild) liefern in "Rocketman" gleich im doppelten Sinne eine gute Performance ab! fullscreen
... und Richard Madden (rechts im Bild) liefern in "Rocketman" gleich im doppelten Sinne eine gute Performance ab! Bild: © Gavin Bond / Paramount Pictures 2019
Jamie Bell (links im Bild), Taron Egerton, ...
... und Richard Madden (rechts im Bild) liefern in "Rocketman" gleich im doppelten Sinne eine gute Performance ab!

Zur Erinnerung: Bis Mitte 2017 war noch Tom Hardy im Gespräch für die Hauptrolle – und so gerne ich den "Venom"-Star auf der Leinwand sehe, bin ich doch froh, dass es anders gekommen ist.

Doch nicht nur Taron Egerton liefert in "Rocketman" eine überzeugende Performance ab. Jamie Bell als Johns Songtexter Bernie Taupin sowie Richard Madden als Johns langjähriger Manager und kurzzeitige Affäre John Reid überzeugen ebenfalls. Dabei kommt Reid wie schon im Queen-Biopic "Bohemian Rhapsody" nicht besonders gut weg: Beide Filme unterstellen dem Musikmanager Geldgier und Rücksichtslosigkeit.

Zudem gibt es eine weitere Parallele: In beiden Filmen wird Reid von einem ehemaligen "Game of Thrones"-Star verkörpert. In "Rocketman" ist es Robb-Darsteller Richard Madden. In "Bohemian Rhapsody" war es Aidan Gillen, den Fans der Fantasyserie als Kleinfinger kennen.

Fazit: And the Oscar goes to ...

Die Lebensgeschichte, die "Rocketman" erzählt, erscheint vielleicht nur allzu bekannt: das ungeliebte Kind, das zum drogensüchtigen Rockstar aufsteigt, um am Ende zu sich selbst zu finden. Es ist jedoch die Art und Weise, die das selbst ernannte Fantasy-Musical so charmant macht. Unstet erzählt, mit abrupten Zeitsprüngen und Fantasy-Elementen wie in einem Fiebertraum. Dazu geliebte Hits, die das Geschehen auf der Leinwand weiterführen, ohne jemals fehl am Platze zu wirken. Und als I-Tüpfelchen ein Taron Egerton, der voll und ganz in seiner Rolle als Elton John aufgeht. Sicher kein Film für jedermann, doch wenn es nach mir geht, geht der nächste Oscar als bester Hauptdarsteller nach Rami Malek an Taron Egerton!

TURN ON-Wertung: 4/5

Angebot
Rocketman
Rocketman
  • Datenblatt
  • Hardware und software
  • Genre
    Biopic, Fantasy, Musical
  • Laufzeit
    2 Stunden 1 Minute
  • Release
    30. Mai 2019
  • FSK
    ab 12
TURN ON Score:
4,0von 5
Kommentar schreiben
Relevante Themen:

Neueste Artikel zum Thema Rocketman

close
Bitte Suchbegriff eingeben