Ich bin mit Leib und Seele Horrorfan – schon immer gewesen, werde ich immer sein. Mir kann es gar nicht unheimlich, düster und hart genug sein. Dachte ich. Denn ich ertappe mich dabei, dass ich gewisse Szenen in Horrorfilmen kaum noch ertragen kann – seit ich selber ein Kind habe. Ein Geständnis.
- Horror und die Spätfolgen
- Mir ist nichts zu hart! Dachte ich.
- Selbst "Frankenstein" wirkt jetzt fies
- Und trotzdem: Horror muss einfach sein!
Zwei Männer versuchen panisch, in ein offenstehendes Fenster einer alten Kirche zu klettern, während unheimliche Gestalten, die möglicherweise von Dämonen besessen sind, ihnen langsam näher und näher kommen – mit dieser kurzen Szene aus dem Carpenter-Klassiker "Fürsten der Dunkelheit" von 1987 begann meine glühende Liebe zum Horror, die bis heute anhält. Ich war noch ein Kind, ich hätte diesen Film noch gar nicht sehen dürfen, aber ich war unrettbar verloren.
Horror und die Spätfolgen
In den folgenden Jahren und Jahrzehnten pflegte ich meine Leidenschaft zum filmischen Grusel, sah hunderte und aberhunderte von Horrorfilmen und suchte stets nach dem nächsten Kick. Härter, immer härter musste es sein – ich wollte mit dem Genre zusammen an Grenzen gehen. Sie vielleicht sogar überschreiten. Es gibt kein anderes Genre, das so frei ist, das sich so rotzfrech über die Regeln von Moral und gutem Geschmack hinwegsetzt wie der Horrorfilm. "Das darf man nicht zeigen", diese faustgrobe Bevormundung war mir schon immer zuwider. Natürlich darf man. Der Horrorfilm darf ALLES.
Die Folge: In meinem Filmregal stehen heute Streifen, für deren Besitz ich in manchen Ländern wahrscheinlich direkt in den Knast wandern würde. Zu krass, zu hart – das gibt's für mich nicht. Das hat aber nicht unbedingt was mit plumper Gewaltgeilheit zu tun: Ich bewundere die Tricktechnik hinter einer wirklich mitreißenden Horrorfilmszene, die überzeugende Maske, das realistisch aussehende Blut, die lebensechten Schreie der Schauspieler.
Sicher ist eine Sequenz wie die Glasscherben-Szene aus der Stephen-King-Verfilmung "Das Spiel" schwer durchzustehen, selbst ich musste da die Zähne zusammenbeißen – aber letztendlich ist es eben doch "nur" ein toll getrickster Spezialeffekt in einem Film. Damit hatte ich nie Probleme, ach was, ich war sicher: Mit keiner Szene, egal aus welchem Horrorfilm, würde ich jemals Probleme haben!

Mir ist nichts zu hart! Dachte ich ...
Doch das änderte sich vor etwa zwei Jahren. Da wurde nämlich meine Tochter geboren – der unbestrittene Höhepunkt meines bisherigen Lebens, ein Quell ewiger Freude! Und seitdem bin ich emotional verletzlicher, als ich es mir je hätte träumen lassen. Wäre ich ein Endboss in einem Videospiel, hätte ich eine hell leuchtende Markierung genau auf dem Herzen – meine Schwachstelle, gut sichtbar für die ganze Welt. Sobald in einem Horrorfilm kleine Kinder zu Schaden kommen, werde ich zu einem übersensiblen Weichei.
Sein Kind zu verlieren – diese Vorstellung ist so entsetzlich, so monströs, dass sich mein dummes Papa-Gehirn schlichtweg weigert, sie an mich ranzulassen. "Weil nicht sein kann, was nicht sein darf", wie es bei Christian Morgenstern heißt, blende ich die schreckliche Möglichkeit eines Unglücks einfach aus. Das klappt die meiste Zeit auch ganz wunderbar – bis ich mal wieder einen Horrorfilm sehe, der mich kälter erwischt als der Wintereinbruch in Hamburg.

Selbst "Frankenstein" wirkt jetzt fies
Der wunderschön gefilmte, aber emotional so grausame Anfang von "Antichrist" geht mir mittlerweile ebenso durch Mark und Bein wie das berüchtigte Magenschwinger-Ende von "Der Nebel". "Frankenstein" ertränkt unwillentlich ein kleines Mädchen, sein Vater trägt den Leichnam seiner kleinen Tochter durch das gesamte Dorf – und mir schnürt sich vor Beklemmung die Kehle zu.
Den überfahrenen Jungen in der dritten Staffel "Twin Peaks" möchte ich ebenso wenig noch mal sehen wie die gesamte Anfangssequenz von "Arrival". Herrgott, selbst absoluter Trash wie "Feast 2" verstört mich dezent, wenn ein weinendes Baby durch die Luft fliegt. Ich meine, hallo, "Feast 2"! Und ich verspüre jetzt schon eine gewisse Nervosität, wenn ich an das Remake von "Friedhof der Kuscheltiere" denke – der tragische Tod des kleinen Gage Creed war schon im Original von 1989 niederschmetternd.
Ich könnte noch stundenlang so weitermachen. Der zärtliche (und letzte) Nasenbiss in "Cargo", die durchgeknallte Babysitterin "Emelie", die uns erst zur Filmmitte eröffnet, dass sie eines Nachts unbemerkt ihr Baby im Schlaf erdrückt hat, der hypnotische Schmerz von "Wenn die Gondeln Trauer tragen": Das alles nimmt mich mittlerweile ernsthaft mit.
Meinen persönlichen Bruchpunkt habe ich aber mit "Train to Busan" erreicht, genauer gesagt: Mit dem Ende. Ich wusste ja ungefähr, was mich in dem koreanischen Zombiestreifen erwartet, aber auf das Finale war ich nicht vorbereitet – dieser Abschied, diese Tränen, dieses Lied. Ich habe geheult wie ein kleines Mädchen, das gerade die Bedeutung des Wortes "einschläfern" erfahren hat. Hier, das habe ich direkt danach getwittert:
Tja, es stimmt eben einfach: Ein Kind verändert Dich.
Und trotzdem: Horror muss einfach sein!
Und nun? Soll ich dem Horror abschwören oder nur noch "sichere" Filme gucken, in denen keine schutzbedürftigen Kinder vorkommen? Nix da! Auch auf die Gefahr hin, völlig unvorbereitet in das nächste emotionale Minenfeld zu latschen – wie in dieser einen Szene in "Hereditary", in der die nichts ahnende Toni Collette zu ihrem Wagen geht –, bleibe ich meinem Lieblingsgenre natürlich auch weiterhin treu. Horror ist nun mal kein Nonnenhockey und nie im Leben käme ich auf die Idee, meine persönlichen Befindlichkeiten zum allgemeingültigen Maßstab machen zu wollen.

Horror muss aufregend sein, unberechenbar und immer auch ein bisschen gefährlich. Horror hat Zähne und mit denen beißt er zu, wann immer er will – um mal ein etwas abgewandeltes Zitat von Stephen King zu benutzen. Wenn sich mir der Magen umdreht, zeigt das nur, dass ein Film funktioniert: Der Schock ist ja keine unerwünschte Nebenwirkung, sondern gerade gewollt und gesucht.
Und der Tod eines Kindes im Film ist bis heute eines der letzten großen Tabus. Die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern ist etwas, das wir alle intuitiv verstehen, unabhängig von Kultur, Nationalität oder Religion. Einem Kind passiert etwas Schlimmes: Das berührt etwas sehr tief sitzend Instinktives in uns, mit dem wir uns nicht gerne auseinandersetzen.
Klar: In einem bewusst überzogenen Splatterfest wie "Planet Terror", der sich zu keiner Sekunde ernst nimmt, sorgt eine entsprechende Szene natürlich für große Heiterkeit – das liegt in der Natur der Sache. Aber wenn ein Regisseur Kinder sterben lässt ohne dramaturgische Berechtigung, ohne Fingerspitzengefühl und Empathie, sondern nur um das Publikum zu schocken – dann merken wir das sofort. Und werden höchstens sauer über derart plumpe Manipulationsversuche, aber ganz sicher nicht betroffen.

Ich bin ein großer Verfechter künstlerischer Freiheit. Und die darf, nein: muss auch mal wehtun. Wem ein Film zu hart ist, soll ihn einfach ausmachen. Aber wer bei derben Szenen, die an die Grenze des Zeigbaren gehen, nach Entschärfung oder gar Zensur schreit, hat wirklich gar nichts verstanden. Und leidet an massiver Selbstüberschätzung.
Ich jedenfalls bin gespannt, bei welchem Horrorfilm ich das nächste Mal so richtig zusammenzucke. Das kann möglicherweise aber noch ein Weilchen dauern. Denn manchmal – und nur echte Liebhaber von Horror werden das nachvollziehen können – ist das unglückliche Ende eines Kindes in einem Horrorfilm vor allem eines:
Awesome.
