Singleplayer-Spiele sind tot oder liegen zumindest im Sterben – seit Jahren ist dieser Spruch ein Dauerbrenner. Das heißt aber nicht, dass er stimmt, im Gegenteil: Einzelspieler-Games geht es ziemlich gut. Und für das ausgehende Jahr 2019 gilt das ganz besonders.
Im November 2019 brach Electronic Arts endlich den "Star Wars"-Fluch. Viele Jahre lang fiel dem Publisher nicht so recht ein, was man mit einer der beliebtesten Lizenzen der Mediengeschichte anfangen könnte. Der Multiplayer-Shooter "Star Wars: Battlefront 2" löste mit seinen frechen Pay-to-Win-Mechaniken sogar einen regelrechten Skandal aus. Doch dann kam "Star Wars Jedi: Fallen Order" – und plötzlich steht EA bei Sternenkrieg-Fans wieder hoch im Kurs. Das Zauberwort, das den Wandel einleitete? "Singleplayer".

Selbst EA sieht ein: Einzelspieler lebt!
Dass gerade Electronic Arts plötzlich wieder ein geradliniges "Star Wars"-Abenteuer ohne Online-Funktion veröffentlichte, ist bemerkenswert: Schließlich schloss der Publisher in der Vergangenheit bereits Studios, die an ähnlichen Spielen gearbeitet hatten, und wird gern mit der Meinung zitiert, dass Singleplayer-Games einfach nicht mehr beliebt seien.
In den vergangenen Jahren wurde diese Aussage gern zum Sinnbild für die Spieleindustrie an sich erhoben. Wer den Tod des Einzelspieler-Spiels und die totale Online-Lootboxisierung liebgewonnener Reihen beklagte, konnte mit betroffenem Kopfnicken und reichlich Sympathiepunkten rechnen.
Das Narrativ vom toten Singleplayer ist allerdings verkürzt. Gemessen an Zuschauerzahlen bei Videoportalen wie Twitch oder YouTube und am Monetarisierungspotenzial bei Publishern sind Singleplayer-Games vielleicht weniger populär als (kompetitive) Multiplayer-Spiele. Das heißt aber nicht, dass kein Bedarf nach ihnen besteht und dass dieser Bedarf nicht bedient wird.
2019 ist das Jahr, in dem das selbst EA eingesehen und sich mit "Jedi: Fallen Order" in beste Gesellschaft begeben hat – denn anders lässt sich die diesjährige Ausbeute an mutterseelenallein durchspielbaren Geschichten kaum bezeichnen.

Würdige Fortsetzungen beliebter Reihen
Da wäre zunächst eine Fülle an Fortsetzungen, die beliebte Reihen nach teils langer Pause weiterführten. Satte 18 Jahre warteten Fans auf "Shenmue 3", gut 14 auf "Kingdom Hearts 3", elf auf "Devil May Cry 5" und immer noch sechs auf "Luigi's Mansion 3". Dazu gesellten sich Titel wie "Metro Exodus" und "Pokémon Schwert & Schild", deren Wartezeit vielleicht kürzer ausfiel, die aber deshalb nicht minder erseht waren.

Fast noch erstaunlicher als die plötzliche Sequel-Schwemme: Totalausfälle fehlen fast komplett. Klar, ein paar enttäuschte Fans gibt es immer, aber im Großen und Ganzen gaben Singleplayer-Fortsetzungen 2019 ein äußerst würdiges Bild ab. Mit dem "Resident Evil 2"-Remake zeigte Publisher Capcom sogar eindrucksvoll, dass man ein über 20 Jahre altes Game schon im Januar als Spiel-des-Jahres-Kandidaten ins Rennen schicken kann.

Urknall für neue Spiele-Universen
Doch 2019 hatte nicht nur Sequels zu bieten. Einige der besten Spiele des Jahres trauten sich, ganz neue Spiele-Universen zu eröffnen. "Control" von Remedy Entertainment begeisterte mit zum Schneiden dichter Atmosphäre wie aus einem David-Lynch-Film und ließ Technik-Nerds von der Next-Gen träumen. From Software zeigte mit "Sekiro", was ein Souls-Game abseits der nächsten Kopie noch sein kann. Platinum Games versuchte sich in "Astral Chain" an einem wilden Mix aus Cyberpunk-Action und Anime-Detektivspiel – mit Erfolg. "The Outer Worlds" gab "Fallout"-Fans ein in sich geschlossenes Rollenspiel ohne Schnickschnack – also genau das, was ihnen "Fallout 76" verwehrte.

"Death Stranding" denkt das Alleinsein neu
Und dann ist da natürlich noch Hideo Kojimas "Death Stranding", an dem sich die Geister scheiden: Geniestreich sagen die einen, zäher Paketboten-Simulator die anderen. Dass das Game mal versucht, Dinge so ganz anders anzugehen, lässt sich aber kaum bestreiten. Und ja, es stellt sich durchaus die Frage, ob "Death Stranding" in eine Reihe mit Einzelplayer-Spielen gehört – der indirekte Multiplayer, über den sich die Spieler gegenseitig helfen, ohne einander je zu begegnen, ist schließlich ein essenzieller Bestandteil. Aber wenn schon Experimente mit Mehrspieler-Anteilen, dann doch so, oder?

Indie-Games als Kreativ-Motor
Apropos Experimente: 2019 zeigte auch, dass die große Kreativ-Goldgrube für Einzelgänger und Games-as-a-Service-Verächter nicht im milliardenschweren AAA-Bereich liegt, sondern bei Indie-Studios mittlerer bis kleiner Größe.
In einer Games-Landschaft, die zumindest im Mainstream vor allem Konflikte erlebbar macht, brach "Outer Wilds" mit seinem Mix aus Weltraum-Erkundung und "Täglich grüßt das Murmeltier"-Setting eine Lanze für friedliches Forschertum. "Untitled Goose Game" taugt zwar nicht für Dutzende Spielstunden, aber perfekt für die kleine Schadenfreude zwischendurch. Und "Disco Elysium" vom estnischen Studio ZA/UM stellte sich einer Spieleindustrie, die beim Wörtchen "politisch" winselnd den Schwanz einzieht, mit einer Breitseite radikaler Ideen und scheinbar unbegrenzten Rollenspiel-Möglichkeiten entgegen.

Singleplayer & Service-Games in friedlicher Koexistenz
Es ließen sich noch viel mehr große und kleine Spiele hier auflisten, um zu unterstreichen, warum man als Fan klassisch erzählter Videospiel-Geschichten in den vergangenen zwölf Monaten keinen Mangel leiden musste – wohlgemerkt obwohl mit Spielen wie "Call of Duty: Modern Warfare", "The Division 2", "Anthem" und einer großen "Destiny 2"-Erweiterung auch zahlreiche Multiplayer-Service-Games auf den Markt kamen. Von Battle-Royale-Neuzugängen wie "Apex Legends" und den plötzlich populären Auto Battlern ganz zu schweigen.
Dass es einen sichtbaren Bedarf an beidem gibt und beides nebeneinander existieren kann, ist ein beruhigendes Jahresfazit, das außerdem Lust auf das Gaming-Jahr 2020 macht. Da bringt sich bekanntlich eine ganz neue Konsolen-Generation in Stellung – und aktuell deutet nichts darauf hin, dass es Singleplayer-Fans auf PS5 und Xbox Scarlett schlechter gehen wird als bisher.