"Octopath Traveler" sieht aus wie der Traum jedes Fans klassischer japanischer Rollenspiele. Wer mit dem Kauf des Switch-Games liebäugelt, sollte aber über ein paar seiner Eigenheiten Bescheid wissen – sonst droht womöglich eine Enttäuschung. Wir haben "Octopath Traveler" angespielt und verraten, was gelungen ist – und worauf Du Dich einlassen musst.
Die in Sachen Exklusiv-Rollenspielen etwas unterversorgte Nintendo Switch bekommt mit "Octopath Traveler" von Square Enix endlich ihr großes Rollenspiel der alten japanischen Schule. Mittlerweile gibt es das Game auch für den PC und vieles erinnert hier an JRPG-Klassiker wie "Final Fantasy 6" oder "Secret of Mana", an einigen Stellen macht das Game aber entscheidende Dinge anders – wenn auch nicht immer besser. Hier sind die größten Stärken und Schwächen von "Octopath Traveler" im Überblick.
- Stärken: Was Retro-Gamer an "Octopath Traveler" lieben werden
- 1. Stimmungsvolle Pseudo-Retro-Grafik & epischer Soundtrack
- 2. Spielzeit: Richtig viel zu tun
- 3. Geniales Kampfsystem
- 4. Interessanter Story-Ansatz
- Schwächen: Das ist gewöhnungsbedürftig
- 1. Isolierte Kurzgeschichten statt Fantasy-Roman
- 2. Durchwachsene Charaktere
- 3. Zahlreiche Logiklöcher
- 4. Grinden, grinden, grinden ...
- Zusammenfassung: "Octopath Traveler" im Pro/Contra-Schnellcheck
Stärken: Was Retro-Gamer an "Octopath Traveler" lieben werden
Der Eindruck aus Trailern und Screenshots täuscht nicht: "Octopath Traveler" ist ein tolles Spiel für alle, die früher zum Beispiel auf dem Super Nintendo klassische JRPGs gezockt haben und sich ein klassisches Party-Rollenspiel im modernen Gewand wünschen. Hier sind vier gelungene Features, die das Game auszeichnen.
1. Stimmungsvolle Pseudo-Retro-Grafik & epischer Soundtrack

"Octopath Traveler" ist ein ausnehmend hübsches Spiel, das mit seiner märchenhaften Optik von der ersten Spielminute an verzaubern kann. Der Mix aus 2D-Sprites wie aus einem SNES-Game, 3D-Umgebungen und modernen Lichteffekten klingt auf dem Papier nach einer seltsamen Kompromisslösung, funktioniert aber perfekt und verleiht dem Spiel einen ziemlich einzigartigen Stil, der durch nicht minder hübsch gezeichnetes Artwork in den Menüs passend ergänzt wird.
Aber nicht nur die optische, auch die akustische Präsentation von "Octopath Traveler" ist erstklassig: Der orchestrale Soundtrack wäre eines epischen Fantasy-Films würdig, geht direkt ins Ohr und wird auch nach vielen, vielen Spielstunden nicht langweilig.
2. Spielzeit: Richtig viel zu tun
Apropos Spielstunden: Bei der Spielzeit lässt sich das Game definitiv nicht lumpen. Wer bloß die Haupt-Quests spielt, dürfte gut 50 Stunden zu tun haben, wer alle Geheimnisse und Nebenaufgaben lösen will, kann mit "Octopath Traveler" mit Sicherheit das Doppelte rumbringen.

3. Geniales Kampfsystem
Das Kampfsystem ist neben der schicken Optik mit Sicherheit der wichtigste Pluspunkt für "Octopath Traveler". Dabei ist es alles andere als revolutionär, sondern schnappt sich klassisch rundenbasiertes Party-RPG-Gameplay und ergänzt es um einige neue Impulse.
Zum einen ist da das sogenannte Boost-Feature: Sind Deine Helden am Zug, kannst Du einen oder mehrere Boost-Punkte einsetzen, um ihre Attacken zu verstärken. In jeder Runde erhält jeder Charakter automatisch einen dieser Punkte. In der Runde direkt nach dem Einsatz bekommst Du allerdings keinen Punkt. Ständig abzuwägen, ob Du stark angreifen oder für einen besonders furiosen Angriff sparen solltest, ist daher ein wichtiger Teil des Kampf-Gameplays.

Ebenfalls genial ist die "Bruch"-Mechanik: Alle Gegner habe eine bestimmte Zahl von Schild-Punkten, die in einem Symbol neben ihren Namen zu sehen sind. Außerdem haben sie spezifische Schwächen, sind also zum Beispiel gegen Axthiebe oder Feuerzauber anfällig. Triffst Du sie mit einer solchen Attacke sinkt ihr Schild-Wert. Fällt er auf Null, zerbricht der Schild, der Gegner setzt eine ganze Runde lang aus und ist in dieser Zeit leicht verwundbar.
Kombiniere das mit dem Boost-System, durch das Du manchmal mehrmals pro Runde zuschlagen kannst, und Du bekommst ein simples aber ungemein elegantes Kampfsystem.

4. Interessanter Story-Ansatz
Und dann wäre da noch die Story – der Aspekt, mit dem "Octopath Traveler" seit den ersten Trailern hausieren geht und von dem es seinen Namen hat. "Octopath" bedeutet nämlich "acht Pfade", die von den acht Protagonisten des Games beschritten werden und in sich geschlossene Geschichten darstellen.
Du beginnst Dein Abenteuer als einer der acht Helden, spielst das erste Kapitel seiner Geschichte und reist dann durch die offene Spielwelt. Hier triffst Du nach und nach die anderen Charaktere (auf der Karte sind ihre Heimatorte verzeichnet) und kannst sie in Deine Party aufnehmen – musst aber nicht. Auf diese Weise hast Du viel Freiheit, Dein Spiel nach Deinen Wünschen zu gestalten.

Schwächen: Das ist gewöhnungsbedürftig
Der innovative Story-Ansatz hat allerdings seinen Preis – und hier verlassen wir die Aufzählung der Stärken von "Octopath Traveler" und wenden uns vier gewöhnungsbedürftigen, etwas weniger gelungenen Eigenschaften des Rollenspiels zu.
1. Isolierte Kurzgeschichten statt Fantasy-Roman
Statt einer epischen Geschichte, wie Du sie von einem Rollenspiel vermutlich erwartest, erzählt "Octopath Traveler" acht kleine Einzelschicksale. Die Suche der Tänzerin Primrose nach den Mördern ihres Vaters, der Raubzug des listigen Diebs Therion und die Pilgerreise der frommen Klerikerin Ophilia (um nur drei zu nennen) verlaufen völlig isoliert voneinander – auch, wenn die Figuren als Gruppe umherziehen.
Es gibt deshalb auch kein großes Finale in "Octopath Traveler", auf das das Geschehen zusteuert. Stattdessen erlebt jede Figur ihr persönliches kleines Finale nach je vier Story-Kapiteln. Die daraus entstehenden 32 Kapitel sind dabei recht ähnlich aufgebaut und gipfeln im Grunde stets in einem Besuch im Dungeon mit anschließendem Bosskampf.

"Octopath Traveler" gibt sich dabei wenig Mühe, diese Checklisten-Natur des Storytellings zu kaschieren und macht auch sonst viele Kompromisse: In den Cutscenes, die Du in jedem Story-Kapitel freischaltest, ist der jeweilige Protagonist etwa stets alleine, selbst wenn Du den aktuellen Ort mit der ganzen Party aufgesucht hast.
In sehr seltenen Momenten reden die Helden miteinander über ihre Quests, zusammengeführt werden ihre Erzählstränge aber nicht. Nur ganz am Ende des Spiels gibt es eine Art Mini-Crossover der einzelnen Story-Stränge in einem Extra-Dungeon. Vorher ist davon im Spiel aber nichts zu bemerken.
Das ist schade, aber auch verständlich: Die spielerische Freiheit des Games beizubehalten und gleichzeitig eine übergreifende Story zu entwerfen, wäre wohl zu kompliziert gewesen. Wichtig ist aber, dass Du Dir über diese Erzählweise im Klaren bist und Deine Erwartungshaltung entsprechend anpasst – sonst kann "Octopath Traveler" zur Enttäuschung werden.

2. Durchwachsene Charaktere
Mit gleich acht Helden und Heldinnen, die jeweils eine eigene Geschichte haben, schultert "Octopath Traveler" eine ziemliche Story-Last. Die zwingt es leider gelegentlich in die Knie: Die Charaktere sind fast alle äußerst typenhaft, die Dialoge strotzen vor Klischees und sind oft kitschig, ungelenk und bierernst zugleich.

Hartgesottene JRPG-Liebhaber wird das vielleicht nicht allzu sehr stören, viele typische Albernheiten des Genres umschifft das Game sogar. Dass nur einige Mitglieder der Party eine wirklich interessante Geschichte und eine glaubhafte Motivation haben, in die Welt hinauszuziehen, während andere Helden blass und unglaubwürdig bleiben, könnte Fans guter Geschichten aber stören.
3. Zahlreiche Logiklöcher
Generell solltest Du bei der Handlung nicht zu kritisch hinsehen, denn klaffende Logiklöcher tun sich ständig auf. Der Dieb erzählt zweien seiner Konkurrenten in einer Cutscene, dass er allein arbeitet und sie nicht mit auf seinen spektakulären Beutezug nimmt? Das hindert ihn nicht daran, zwei Minuten später Deine gesamte Party aus (für ihn) wildfremden Abenteurern zu engagieren, ohne dabei mit der Wimper zu zucken! Momente wie diesen musst Du ausblenden können, um "Octopath Traveler" zu genießen.

4. Grinden, grinden, grinden ...
Deine Heldengruppe besteht in "Octopath Traveler" aus vier Charakteren. Das heißt: wenn Du alle acht eingesammelt hast, musst Du einige zurücklassen. Du kannst zwar jederzeit durchwechseln, indem Du eine Taverne aufsuchst. Allerdings leveln immer nur die Helden auf, mit denen Du auch kämpfst. Willst Du die Story eines bislang eher vernachlässigten Protagonisten weiterspielen, musst Du ihn erst einmal in Zufallsbegegnungen mit Gegnern aufleveln, um das benötigte Level zu erreichen.

Sammelst Du einen Helden erst ein, wenn Du mit den anderen schon fast am Ende ihrer Geschichten bist (was ohne Probleme möglich ist), musst Du ihn sogar von Level 1 an hochzüchten. Bei acht Helden kann das echt mühsam werden. Dank des Kampfsystems machen die Gefechte zwar Spaß, ein bisschen weniger Grind hätte es trotzdem gern sein dürfen.
Zusammenfassung: "Octopath Traveler" im Schnellcheck
"Octopath Traveler" hat mehr Potenzial als es einlösen kann und vergibt mit mäßigem Storytelling und einer flachen Struktur einige Chancen. Wer seine Erwartungen zurechtrückt und sich mit den Schwächen arrangiert, bekommt aber ein wunderschön präsentiertes Rollenspiel, das überraschenderweise mehr mit seinem Gameplay als mit seiner Story punktet.
Das hat mir gut gefallen | Das hat mir weniger gefallen |
+ Schicke Pseudo-Retro-Grafik + Tolles Kampfsystem mit viel taktischer Finesse + Epischer, stimmungsvoller Soundtrack + Viel spielerische Freiheit + Interessanter Storytelling-Ansatz |
- Keine echte Haupt-Story und kein übergreifender Spannungsbogen - Mittelmäßige Charakterzeichnung, viel Kitsch und oft durchwachsene Handlung - Ärgerliche Logiklücken, die aus der ambitionierten Struktur des Spiels entstehen. Weniger wäre hier mehr gewesen - Lange Trainings-Passagen dehnen das Spiel teils unnötig aus |