Mit Android 9.0 P verfolgt Google das Ziel, unsere tägliche Smartphone-Nutzung zu beschränken – zu unserem eigenen Besten. Eine riskante Strategie für ein Unternehmen, das darauf angewiesen ist, dass wir seine Dienste möglichst stark nutzen. Doch Google hat anscheinend einen Plan, der es am Ende sogar noch mächtiger machen könnte.
- Vier Tools für die digitale Entgiftung
- Riskante Strategie eines App- und Web-Entwicklers
- Nutzer sollen das Gefühl haben, etwas zu bekommen, statt etwas zu verpassen
- Die KI ist der Kern von Googles Strategie
- Der Trick, mit dem Google arbeitet
- Der Ansatz von Google ist im Grunde richtig
Ganze 56 Mal am Tag schauen Menschen zwischen 18 und 24 im Durchschnitt auf ihr Smartphone. Diese Zahl wurde im Februar 2018 von einer Studie des Marktforschungsunternehmens Deloitte ermittelt. Die Smartphone-Nutzung hat im Laufe der Jahre stetig zugenommen und richtige Heavy-User greifen natürlich sogar noch viel öfter zum Mobiltelefon. Auch ich erschrecke mich manchmal, wenn ich in den Akku-Einstellungen nachlese, wie lange ich bestimmte Apps seit der letzten Aufladung genutzt habe.
Doch wenn es nach Google geht, soll sich dieser Trend in Zukunft wieder umkehren. Für Android 9.0 P, das Anfang Mai erstmals vorgestellt wurde, möchte der Konzern ein neues Konzept umsetzen, das auf den Namen "Digital Wellbeing" hört. Das Ziel ist es, die Zeit, die wir unsere Smartphones täglich verwenden, wieder zu senken.
Vier Tools für die digitale Entgiftung
Insgesamt vier verschiedene Tools sollen in Android P dafür sorgen, dass wir effektiv weniger Zeit mit unseren Smartphones verbringen:
- Ein Dashboard soll die gesamte Nutzungszeit dokumentieren und den Usern einen Überblick darüber geben, wie viel Zeit sie mit einzelnen Diensten verbringen – und teilweise verschwenden.
- Über einen App-Timer können Nutzer die maximale tägliche Nutzungszeit mit bestimmten Apps von vorn herein begrenzen. Ist die Zeit überschritten, wird der Zugriff gesperrt.
- Benachrichtigungen lassen sich ebenso wie Klingeltöne und Vibrationsalarme für bestimmte Zeiträume abstellen
- Die Wind-Down-Funktion kann dafür sorgen, dass das Smartphone-Display zu einer bestimmten Uhrzeit nur noch Schwarz-Weiß-Inhalte anzeigt. So sollen Nutzer daran erinnert werden, dass es Zeit ist, ins Bett zu gehen.
All diese Tools sollen natürlich optional sein. Wer also kein Interesse daran hat, seine tägliche Smartphone-Nutzung einzuschränken, kann sie auch mit Android P ignorieren. Wer es jedoch mit der digitalen Entgiftung versuchen möchte und tatsächlich vorhat, weniger Zeit am Display zu kleben, soll mit der kommenden Android-Version die nötige Unterstützung vom Betriebssystem selbst erhalten.
Die riskante Strategie eines App- und Web-Entwicklers
Die Strategie, die Google mit seiner Digital-Wellbeing-Initiative verfolgt, ist dabei durchaus mutig und scheint dem eigentlichen Geschäftsmodell des Unternehmens auf den ersten Blick sogar komplett entgegen zu laufen. Immerhin ist Google der größte App- und Web-Entwickler der Welt und möchte nun erreichen, das seine Nutzer weniger Zeit mit Apps und Web-Diensten verbringen. Man könnte auch sagen, dass Unternehmen gräbt sich selbst das Wasser ab. Wie soll das Ganze also funktionieren und welche Überlegung steckt dahinter?
Wirklich verraten hat Google den Plan, den das Unternehmen mit Digital Wellbeeing verfolgt, bislang nicht. Doch die aktuellen Entwicklungen des Konzerns deuten zumindest eine Strategie an.
Nutzer sollen das Gefühl haben, etwas zu bekommen, statt etwas zu verpassen
Vornehmlich möchte Google wohl vor allem die Zufriedenheit seiner Nutzer erhöhen. Wir sollen in Zukunft nicht mehr das Gefühl haben, etwas zu verpassen, wenn wir nicht alle paar Minuten auf das Display unseres Smartphones starren, sondern vielmehr den Eindruck haben, etwas Bedeutendes zu bekommen, wenn wir es dann doch tun.
Damit das funktionieren kann, müssen Googles Apps und Dienste gut genug sein, um uns Nutzern nach Möglichkeit nur noch wichtige Inhalte und Benachrichtigungen zu zeigen und alle unbedeutenden Dinge auszublenden – oder sie am Besten gleich komplett von selbst zu erledigen.
Die KI ist der Kern von Googles Strategie
Und an dieser Stelle kommt der eigentliche Twist der Geschichte: Der Grund, warum Google glaubt es sich leisten zu können, seinen Nutzern eine Auszeit von Apps und Web-Diensten zu geben, heißt nämlich Künstliche Intelligenz. Kein anderer Entwickler oder Digitalkonzern hat in den vergangenen Jahren ähnlich große Fortschritte bei der Entwicklung von KI-Software und digitalen Assistenten erzielt wie Google – und kein anderes Unternehmen baut KI-Features so konsequent in seine Apps und Web-Applikationen ein, wie die Kalifornier.
Durch maschinelles Lernen und integrierte Dienste wirken viele von Googles Diensten schon heute so, als würden sie auf magische Art und Weise genau das machen, was wir von ihnen erwarten, ohne das wir selbst etwas tun müssen. Ich selbst hatte dieses Erlebnis zuletzt, als ich vor meiner letzten Urlaubsreise probeweise die App Google Trips zur Reiseplanung installiert habe. Direkt nach dem ersten Start der App fand ich dort schon alle wesentlichen Daten wie Flugzeiten, Hoteladresse oder den Abholungsort des Mietwagens hinterlegt. Google hatte sich diese automatisch aus den Buchungsmails der entsprechenden Dienste herausgesucht.

Die Präzision und Zuverlässigkeit, mit der Googles Software mittlerweile solche Tricks vollführt, ist irgendwie erschreckend, aber gleichzeitig auch unfassbar praktisch. Ganz gleich ob es um die automatische Bildoptimierung oder Alben-Sortierung in Google-Fotos geht, um die Echtzeit-Navigation in Google Maps oder schlicht um die gebündelte Funktionalität des Google Assistant im Allgemeinen – überall webt Google seine KI-Technologie ein, um Prozesse für den Nutzer zu optimieren und zu automatisieren.
Der Trick, mit dem Google arbeitet
Genau hier scheint auch der Trick von Google zu liegen: Der Software-Anbieter möchte uns Nutzern zwar Tools an die Hand geben, die es uns ermöglichen, unser Smartphone in Zukunft weniger und fokussierter zu nutzen – setzt jedoch offenbar darauf, dass wir uns dafür noch mehr auf die automatisierten Dienste des Unternehmens verlassen, von denen viele tief in Android verankert sind. Google hofft also, dass wir unterm Strich noch mehr Kontrolle an seine Software abgeben.
Die Versuchung, das wirklich zu tun, ist durchaus groß, denn wie erwähnt, funktionieren vieler dieser automatisierten Dienste beeindruckend gut und erweisen sich im Alltag immer wieder als praktisch. Trotzdem erscheint es mir wichtig, sich vor Augen zu halten, dass Google, wie jedes Unternehmen, nicht vorrangig aus Nächstenliebe handelt.
Der Ansatz von Google ist im Grunde richtig
Bitte nicht falsch verstehen: Ich möchte den Ansatz des Digital Wellbeing hier keineswegs verurteilen. Er ist nämlich im Kern absolut richtig. Smartphone-Sucht ist laut einer aktuellen Studie der DAK und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf eine ernste Angelegenheit, die schätzungsweise allein in Deutschland mehr als 100.000 Kinder und Jugendliche betrifft. Dass ein Unternehmen wie Google hier Verantwortung übernimmt, ist daher wichtig.

In YouTube ist es seit dem letzten Update der App beispielsweise schon möglich, Benachrichtigungen zu aktivieren, die Nutzer in regelmäßigen Abständen daran erinnern sollen, eine Pause zu machen. Instagram, das bekanntlich nicht zu Google, sondern zu Facebook gehört, plant ein ähnliches Feature. Es sieht also wirklich danach aus, als hätten die größten App-Entwickler die Notwendigkeit erkannt, auch darauf zu achten, dass ihre Programme die User nicht krank machen.