In der vorletzten "Watchmen"-Folge bekommen wir endlich Antworten. Eines der größten Mysterien der Serie wird aufgeklärt – die Identität von Dr. Manhattan. Außerdem sehen wir uns mit einem Zeitparadoxon konfrontiert, das die komplette Serie auf den Kopf stellt. Es gibt atemberaubende Enthüllungen – aber auch viele, viele Fragen. Das wird kein ganz einfaches Recap.
- Ein Feierabendbier für Gott
- Was fürs Herz. Und was ist mit dem Hirn?
- Dr. Manhattan: Mal so, mal so
- Gutes tun? Och nö.
- Lebensziel Leben
- Ich rette die Welt! Und dann sitze ich einfach so rum
- Alles nur Nitpicking?
- Fazit: Eine schicksalhafte Folge
- Was mir sonst noch aufgefallen ist:
Ein Feierabendbier für Gott
"A God Walks Into A Bar" heißt die Folge im Original, und das ist nicht nur ein spitzenmäßiges Wortspiel (Angela Abar – gecheckt?), es beschreibt auch ziemlich akkurat die Prämisse dieser Episode. Wir erfahren, wann und wo Manhattan und Angela sich kennen und lieben gelernt haben, wieso Manhattan aussieht wie Cal, wie Manhattan (mutmaßlich) den Tod findet und was das alles mit Ozymandias zu tun hat.
Nach zwei Monaten des Verwirrspiels und rätselhafter Andeutungen haben wir das Puzzle nun also beinahe zusammengesetzt. Wir haben "Watchmen" als extrem selbstbewusste und mutige Serie kennengelernt, die keine Scheu davor hat, den etablierten Comic-Kanon um eigene Ideen zu erweitern, ob das den Puristen nun schmeckt oder nicht. Dass es in dieser Folge ein paar faustdicke Überraschungen gibt, ist also eben keine Überraschung. Aber leider habe ich "Watchmen" auch noch nie so knirschen gehört wie in dieser Folge. Die Erklärungen, die wir bekommen, wirken im ersten Moment zwar versponnen, aber doch schlüssig und überzeugend. Im ersten Moment.

Doch beim genaueren Hingucken zeigen sich die Nahtstellen im Skript. Handlungen und Motivation etablierter Serienfiguren sind wenig überzeugend, irgendwie passt das alles nicht zusammen. Kurz vor dem Ende haben die Macher offenbar mehr Wert auf einen emotionalen Knalleffekt gelegt statt auf stringente Figurenzeichnung. Deswegen möchte ich das Recap in dieser Woche ein wenig anders angehen.
Ich werde diesmal nicht die ganze Folge nacherzählen, sondern sie so kurz und knapp wie möglich zusammenfassen. Stattdessen will ich mich auf die Ungereimtheiten konzentrieren, die mir beim und nach dem Gucken aufgefallen sind. "Watchmen" hat uns darauf trainiert, genau hinzugucken und alles zu hinterfragen. Also lasst uns das tun, Freunde – auch wenn uns vielleicht nicht gefällt, was wir dann sehen.
Was fürs Herz. Und was ist mit dem Hirn?
Was passiert? 2009 trifft Manhattan in einer Bar in Saigon Angela Abar – der Beginn ihrer Beziehung, die im Jahr 2019 durch den Angriff der Seventh Kavalry ihr vermeintliches Ende findet. Weil Manhattan alias Cal mehrere Zeitebenen parallel erlebt, springt auch die Folge wüst in der Chronologie herum. Wir erfahren, warum Manhattan Leben auf Europa geschaffen hat, dass er sich freiwillig die Erinnerung an seine Identität hat löschen lassen und dass Angela ihn nicht wird retten können. Heavy Stuff.
Zunächst das Positive: Regina King als Angela Abar und Yahya Abdul-Mateen II als Cal/Dr. Manhattan haben eine fantastische Chemie. Ihr Geflirte, ihre Kabbeleien – Angela ist kühl, aber nicht unfreundlich und eindeutig fasziniert von dem seltsamen Typen, der behauptet, der wahre Manhattan zu sein – wirken authentisch, warmherzig, real. Eine tolle Leistung von beiden Schauspielern; und das, obwohl wir von Manhattan zunächst noch nicht mal das Gesicht sehen. Das unterstreicht nur das Prickeln des Unbekannten, das Angela und damit auch wir verspüren. Handwerklich ist das alles top.

Aber manche der Enthüllungen sind so grundlegend, dass sie wichtige Ereignisse der Serie und des zugrunde liegenden Comics radikal umdeuten und rekontextualisieren. Und das funktioniert nicht immer. Auch auf die Gefahr hin, mich als pedantischer Korinthenkacker unbeliebt zu machen – aber es zählen eben nicht nur die großen Gesten, die atemberaubenden WTF-Momente, sondern auch die Details, das vermeintlich Unwichtige, das im emotionalen Rausch so gerne untergeht. Wirklich überzeugend ist in dieser Woche wenig.
Dr. Manhattan: Mal so, mal so
Warum zum Beispiel ist Manhattan so besessen von Angela? Warum bearbeitet er sie so lange, bis sie unwissentlich den Grundstein für ihre zehnjährige Beziehung legt? Er hat sich halt "verliebt", sagt uns die Serie. Aber wann? Wie? Warum? Wir erinnern uns kurz daran, dass Manhattan sich am Ende des Comics endgültig von der Menschheit abwendet und fortan sein Leben in den endlosen Weiten des Alls verbringt, um Dinge zu tun, die ein Gott nun mal so tut, auf der Oberfläche der Sonne spazieren gehen zum Beispiel.
Seine emotionale Abspaltung von den Menschen war ein ganz entscheidender Plotpunkt im Original-"Watchmen". Und ja, er war auch schon vorher mit Frauen in einer Beziehung, zuletzt mit Laurie Juspeczyk alias Silk Spectre II. Nur hat diese Verbindung ja gerade kein glückliches Ende gefunden, eben weil Manhattan, der ehemalige Jon Osterman, nahezu keinerlei emotionale Verbundenheit zu ihr im Speziellen und der Menschheit im Allgemeinen hat. Er betrachtet unsere Spezies eher mit dem neutralen Interesse eines Insektenforschers. Er ist keiner mehr von uns.

Und nun auf einmal diese Hals-über-Kopf-Verknalltheit in Angela? So wie er auf ihre Liebe besteht, wirkt es fast, als sei sie vorherbestimmt, als stünde alles schon fest. Ich frage nochmal: Wann? Wie? Warum? "Na ja, er weiß das eben, weil er es schon erlebt hat, er nimmt Zeit ja nicht linear wahr" – ja, schon klar, aber das ist mir als Erklärung für eine gewichtige Umdeutung eines so klar definierten Charakters dann doch ein bisschen zu faustgrob und lapidar. Ist halt so, weil ist halt so – das ist als Erklärung nicht so clever, wie es zunächst scheint.
Gutes tun? Och nö.
Das Skript gibt sich alle Mühe, Manhattans Rest-Menschlichkeit zu betonen und den Charakter für uns greifbarer zu machen, nicht so unnahbar und emotional abgestorben. Es tut ihm leid, dass er als Superwaffe der USA tausendfachen Mord begangen und die Vietcong-Streitkräfte mühelos atomisiert hat. Sagt er. Aber warum sollte ihm das noch leid tun? Es sollte keinen Unterschied für ihn machen. Nicht, weil er ein sadistischer Psychopath ist, sondern weil er das Konzept von Trauer und Bedauern zusammen mit seiner Menschlichkeit schon vor langer Zeit verloren hat. Hat er uns im Comic nicht einen Vortrag darüber gehalten, dass ein toter und ein lebendiger Körper die gleiche Anzahl von Atomen haben und Leben und Tod letztendlich irrelevant sind?
Und auch Angela: Sie erfährt, dass ihr neuer Lover ein allmächtiges Superwesen ist, buchstäblich ein Gott. Drängt sie ihn, seine Kräfte zum Guten einzusetzen, die Welt besser zu machen? Vielleicht, indem er – hm, keine Ahnung – Kriege beendet, Kinder beschützt? Oder Selbstmordattentäter daran hindert, Unschuldige in den Tod zu reißen, und wem nochmal ist das passiert? Angela ist nicht nur traumatisiert, sondern hat einen tief verankerten Gerechtigkeitssinn, das haben wir in der letzten Folge erfahren. Und nun teilt sie sich das Bett mit einem Gott. Und macht – nichts daraus. Keine Motivation, irgendwas zu tun, kein Kampf gegen Gewalt und Unterdrückung. Und plötzlich wirkt Angela nicht nur ungewohnt antriebslos, sondern auch wie eine Heuchlerin.

Lebensziel Leben
Okay, Manhattan hat also menschliches Leben auf Europa geschaffen, aus dem Nichts. Beeindruckend, keine Frage. Aber nicht, weil es das ist, was ein Gott nun mal so macht, sondern weil ihm als Kind zwei religiöse Weirdos zunächst erklärt haben, was Sex ist und ihm dann das Versprechen abgerungen haben, einmal "etwas Schönes" zu erschaffen. Das ist der Grund. Diese zweiminütige Unterhaltung mit Menschen, die der junge Jon Osterman noch nie zuvor im Leben getroffen hat. Die scheint ihn fundamental geprägt zu haben. Und sorry, aber da gehe ich nicht mit.
Ich dachte immer, dass Manhattan Leben erschaffen will, weil das zu seinem genetischen Programm als Neu-Gott gehört – was auf seine ganz spezielle Art ein gruseliger Gedanke ist. Aber nein: Es ist schon wieder diese unpassende Sentimentalität, die ihm vom Drehbuch hier übergestülpt wird. Und wenn es ihm so irre wichtig war, dieses uralte Versprechen zu ehren, warum hat er das nicht früher getan? Nein, natürlich nicht Leben erschaffen, wie sollte das gehen, aber eben "etwas Schönes"? Konkreter war der Wunsch des Rammel-Pärchens ja nicht. Jon Osterman ist dann aber Atomphysiker geworden und nicht etwa Geburtshelfer, Architekt oder Dichter, in all diesen Berufen kann man durchaus sehr viel Schönes bewirken. Nö. War ihm wurscht. Teilchen und Atome, das hat ihn interessiert. Die Serie deutet seinen Wesenkern aber komplett um und ich kaufe ihr das nicht ab.

Ich rette die Welt! Und dann sitze ich einfach so rum
Was ich ihr auch nicht abkaufe: Dass Ozymandias nach seinem gescheiterten Versuch, die Welt vor sich selbst zu retten, 20 Jahre lang völlig sinnlos im zerfallenen Karnak rumhängt, seinem Tempel in der Antarktis. Was wäre denn gewesen, hätte er Erfolg gehabt und alle würden in Frieden und Eintracht leben? Er wäre so oder so ein Ausgestoßener gewesen, denn als Mörder von drei Millionen Menschen wird man vom Rest der Menschheit wohl nicht mit offenen Armen empfangen. Also war schon immer der Plan ... zwei Jahrzehnte lang auf Monitore zu starren, ganz allein in der Schweinekälte? Wovon ernährt er sich? Wann hat er diese Unmengen Nahrung in die Arktis geschafft?
Noch besser: Neben dem Bau und der Instandhaltung eines geheimen Forschungslabor/Tempels in der Arktis, der Erschaffung eines außerirdischen Killer-Aliens und eines Notfallplans, falls das allmächtige Überwesen Dr. Manhattan reinpfuscht, hat er auch noch ein Gerät entworfen, dass die Erinnerungen eines Gottes löscht. Ich wiederhole: Adrian Veidt alias Ozymandias hat nebenbei ein Gerät entworfen, dass die Erinnerungen eines Gottes löscht. Und das war eigentlich sein Plan A, nicht etwa das intrinsische Feld, das Manhattan kurzfristig in seine Bestandteile zersetzte. Ozymandias wollte Manhattan das Ding ... auf die Stirn drücken, falls alle Stricke reißen? Wirklich, das war eigentlich seine erste Wahl?

Oh, und natürlich sieht dieses Gerät aus wie das Wasserstoff-Symbol auf Manhattans Stirn, obwohl diese Dinge absolut keinen Bezug zueinander haben und Manhattan dieses Symbol aus freien Stücken gewählt hat. Aber weil alles eine Bedeutung und tiefen Sinn haben muss, weil alles "klicken" muss, wird uns eben auch dieses grotesk unwahrscheinliche Detail als profunde Enthüllung verkauft. Ich bin nicht überzeugt. Übrigens auch nicht davon, dass Manhattan freiwillig seine Superkraft aufgibt, weil ... ja, warum eigentlich? Weil er so doll verliebt ist in Angela? Und gibt er sie wirklich auf oder nur diese eine Version von ihm, die diese Zeitebene erlebt? Oder wie oder was? Alles sehr wackelig.
Alles nur Nitpicking?
Ich kann mir vorstellen, dass viele von Euch mit den Augen rollen und meine Einwände als kleingeistiges Nitpicking abtun. Vielleicht hat Dich die Folge emotional völlig mitgerissen und tief befriedigt zurückgelassen, vielleicht ist für Dich die Summe größer als die Teile und manche Details sind ziemlich irrelevant. Und das ist absolut legitim. Aber so funktioniere ich einfach nicht. Auch und gerade wenn alles auf den großen "Whoa!"-Effekt ausgerichtet ist, gucke ich umso genauer hin. Und viele der "Watchmen"-Puzzleteile wollen einfach nicht recht zusammenpassen – oder nur, wenn man anderthalb Augen zudrückt. Dann bleibt aber immer noch ein halbes offenes Auge.
Aber hey: Ich mochte das Ende, vor allem das Zeitparadoxon, das Angela durch ihre Frage an Will auslöst. Diese "Was war zuerst, die Henne oder das Ei?"-Grundsatzfrage gehört zwar zum Basisrepertoire des Science-Fiction-Genres und ist in Zeitreise-Storys schon fast ein Klischee, aber zusammen mit der Musik sorgte die Sequenz am Pool dann doch für ein gewisses Kribbeln. Apropos Pool: Warum ist es Manhattan so wichtig, dass Angela sieht, wie er auf dem Wasser geht? Mein Tipp: Angela selbst wird der/die nächste Dr. Manhattan und realisiert ihre neuen Superkräfte, indem sie auf dem Wasser geht. Nächste Folge.

Fazit: Eine schicksalhafte Folge
"Watchmen" macht es mir mal wieder nicht leicht. Inszenatorisch, handwerklich und schauspielerisch war diese Folge top, daran gibt es nichts zu rütteln. Das Problem ist nur, dass sie in einer Tour Erklärungen liefert, unter anderem auf Fragen, die man sich nie gestellt hat – wie eben zum Beispiel, warum Manhattan Leben erschaffen will. Und wenn man diese Erklärungen nicht einleuchtend findet, sondern zurechtgeschrieben, zu unwahrscheinlich und ein bisschen zu bequem für die Drehbuchschreiber, dann stolpert man quasi über jede Einzelszene. So bleibe ich sehr gespalten zurück und sehe dem Finale nächste Woche mit einer gewissen Anspannung entgegen.
"Watchmen" ist seit der ersten Folge große künstlerische Risiken eingegangen; für einige zahlen sie sich jetzt aus, für andere nicht. Ich gehöre bislang zur zweiten Kategorie. Schauen wir, wie es nächste Woche aussieht, wenn die erste Staffel ihr Ende findet. Aber eines steht jetzt schon fest: "Watchmen" hat nach den Sternen gegriffen. Und egal was am Ende passiert, das rechne der Serie sehr, sehr hoch an.

Was mir sonst noch aufgefallen ist:
- Manhattan latscht durch den Folgentitel am Anfang, was die erste Interaktion zwischen einem Seriencharakter und der typischen "Watchmen"-Schrift ist. Ein winzig kleines Detail, das zeigt: Manhattan ist anders. Gefällt mir sehr, so was.
- Endlich hat Jeremy Irons mal was zu tun – und sichtlich Spaß, den nach zwei Jahrzehnten freiwilliger Isolationshaft schrullig gewordenen Ozymandias am Rand der Abgedrehtheit zu spielen.
- Und das finde ich wiederum sehr nachvollziehbar, dass Ozymandias vor Langeweile in seinem "Paradies" schlicht umkommt und alles tut, um da rauszukommen. Careful what you wish for.
- Die erste Post-Credits-Szene in "Watchmen". Die Enthüllung, dass der Game Warden der erste Phillips ist, ist aber ein Stück weit egal.
- Manhattan kann seine Kräfte per Nahrungsaufnahme weitergeben, okay, meinetwegen, was auch immer. Und was macht er nach seiner Erweckung? Waffeln. Die liegen da immer noch rum. Zwinker zwinker.
- Billy Crudup als Dr. Manhattan hat mir im Zack-Snyder-Film weitaus besser gefallen, weil er dort diese Aura der Trauer und Tragik verströmt hat. Hier ist Manhattan ... eigentlich nur stoisch.