Wer hat Polizeichef Judd Crawford getötet? Das erfahren wir in der dritten "Watchmen"-Folge immer noch nicht. Dafür treffen wir auf eine alte Bekannte. Es geht um Faschisten mit Bombengürteln, blaue Dildos und ein Telefongespräch mit Gott. Willkommen zurück in der bizarren Welt von "Watchmen"!
- Silk Spectre war gestern
- Sie hasst ihren Vater. Und trägt doch seinen Namen.
- Haben wir nichts aus "Watchmen" gelernt?
- Die alte und neue Generation treffen aufeinander
- Einen Witz zu erzählen, ist eine Kunst
- Ozymandias macht mobil. Zum Mars.
- Fazit: Wenig Plot, viel Worldbuilding
Silk Spectre war gestern
Wer "Watchmen" nicht gelesen und auch nicht zumindest Zack Synders Kinofilm von 2009 gesehen hat, dürfte nach Folge 3 der HBO-Serie endgültig aussteigen. Auf Nicht-Eingeweihte muss das Geschehen in dieser Woche noch bizarrer und unerklärlicher wirken als auf uns vermeintliche "Experten".
Nicht nur, dass mit Laurie Blake eine der Hauptfiguren aus dem Comic ihren großen Auftritt hat. Sie telefoniert auch mit Dr. Manhattan, dem blau leuchtenden Übermenschen, der sich mit Fug und Recht als Gott im "Watchmen"-Universum bezeichnen lässt. Von einer speziellen Weltraum-Telefonzelle aus. Die bis zum Mars reicht. Wo Dr. Manhattan lebt. Es ist alles so herrlich abgedreht.

Sie hasst ihren Vater. Und trägt doch seinen Namen.
Laurie Blake (Jean Smart, die schon in der zweiten "Fargo"-Staffel bleibenden Eindruck hinterlassen hat) ist natürlich Silk Spectre II, eine Figur, die im Original-"Watchmen" immer ein bisschen zu unterentwickelt war. Sie hat ihren echten Nachnamen Juspeczyk abgelegt und trägt nun den Nachnamen ihres Vaters, Edward Blake. Der war als Comedian bekannt, sein Tod hat damals den "Watchmen"-Plot erst ins Rollen gebracht. Und wie ihr Vater arbeitet Laurie nun für die Regierung – als FBI-Agentin, die maskierte Superhelden jagt. Einer davon, der sich offenbar seine Inspiration bei Batman geholt hat, geht ihr bei einem fingierten Banküberfall ins Netz.
Laurie ist abgebrüht, viel härter und durchsetzungsfähiger, als wir sie zuletzt gesehen haben. Sie hat eine Menge Mist durchgemacht. Zusammen mit dem Rookie-Agenten Dale Petey soll sie den Mord an Polizeichef Judd Crawford untersuchen und düst per Flugzeug nach Tulsa. Das Zusammentreffen der alten und neuen "Watchmen"-Generation ist für mich ein Highlight dieser Folge.
Haben wir nichts aus "Watchmen" gelernt?
Laurie hat schon lange genug von Versteckspielen, Masken, geheimen Identitäten und Selbstjustiz. Sister Night, Looking Glass, Red Scare und die neue Figur Pirate Jenny – für Laurie eine Bande von Kindern in albernen Kostümen, die ein bisschen Abenteuer spielen und keinen Schimmer haben, was sie da tun. Sie durchschaut Looking Glass, der sich in seiner Rolle als geheimnisvoller Einzelgänger gefällt, im Bruchteil einer Sekunde. "Das ist also ein Rassisten-Detektor?", fragt Laurie spöttisch, als sie mit ihm in seiner Verhörkammer sitzt. Und die vermeintlich undurchdringliche Fassade von Looking Glass bröckelt: Ihm dämmert, wie albern das alles eigentlich ist.
Laurie reflektiert und dekonstruiert "Watchmen". Im Original-Comic haben sich echte, normale Menschen als Superhelden verkleidet und das Gesetz in die eigenen Hände genommen. Manche, weil sie schlichtweg Gutes tun wollten wie Night Owl. Andere, um wie Rorschach der Welt ihren moralischen Absolutheitsanspruch aufzuzwingen. Und Lauries eigener Vater, der Comedian, versteckte unter seiner Maske nur seinen menschenverachtenden Nihilismus und sah sein Vigilantentum als Freifahrtschein, jede moralische Grenze zu übertreten. Es war faszinierend. Es war sexy. Es war ... irgendwie cool.

Bis uns "Watchmen" den Boden unter den Füßen weggerissen und die Figuren ungeschönt gezeigt hat: gestörte Persönlichkeiten, die sich in Allmachtsfantasien ergehen. Kinder, die Verkleiden spielen. Nun heißen diese Kinder Sister Night, Looking Glass und Red Scare. Und wir sind zwei Folgen lang wieder in die Falle getappt, ihr illegales Treiben heimlich zu bewundern. Blutige Selbstjustiz gegen die Faschisten der Seventh Kavalry: Das ist nicht in Ordnung, natürlich nicht. Aber es ist faszinierend. Es ist sexy. Es ist ... irgendwie cool.
Nein, macht uns die desillusionierte Laurie in Folge drei klar: Das ist nicht cool. Das ist gestört und gefährlich und führt zu Leid und Blutvergießen. Woher sie das weiß? Ihr Ex-Lover Jon Osterman alias Dr. Manhattan hat sich von den Menschen abgewandt. Und ihr ehemaliger Mitstreiter Ozymandias alias Adrian Veidt hat drei Millionen Menschen auf dem Gewissen. Laurie ist nicht hier, um an die gute alte Zeit zu erinnern. Sie ist hier, um vor ihr zu warnen.
Die alte und neue Generation treffen aufeinander
Laurie Blake und Sister Night, die alte und neue Generation, haben ihre große Aussprache sicher nicht zufällig in einer Krypta, nachdem Laurie einen Anschlag auf Judds Beerdigung gerade noch verhindern konnte ("Diese Idioten behaupten immer, ihre Bomben wären an ihre Herzfrequenzen gekoppelt", sagt Laurie achselzuckend. "Aber normalerweise machen sie sich nie die Mühe, das auch zu tun"). Laurie macht Sister Night/Angela Abar unmissverständlich klar, dass sie nicht auf derselben Seite stehen. Angela mag sich als Gute sehen, wie es auch schon ihr Chef und Mentor Judd getan hat. Laurie: "Aber ich verspeise die Guten zum Frühstück."
Und ich liebe Angelas Reaktion darauf. Sie ist nicht beeindruckt und noch weniger eingeschüchtert von dieser lahmen Drohung. Normalerweise kriegt ein Charakter solche Machosprüche in Mund gelegt, um ihn als superkrassen Badass zu inszenieren, die Coolness wird einfach behauptet. Aber das zieht bei Angela nicht. "Ooh!", fächelt sie sich spöttisch Luft zu. Angela hält Laurie für alt, müde und bitter. Was weiß die schon? Und Laurie sieht in Angela nur ein naives, kleines Mädchen, das Superheldin spielt. Was weiß die schon? Hier bahnt sich etwas an, wahrscheinlich nichts Gutes.

Einen Witz zu erzählen, ist eine Kunst
In einer Parallelmontage ruft Laurie Dr. Manhattan auf dem Mars an und erzählt ihm einen Witz, der nochmals das Schicksal ihrer ehemaligen Kollegen Nite Owl, Ozymandias und Manhattan selber aufgreift. Laurie scheint zu glauben, dass sie alle für ihre Vergehen in die Hölle kommen oder schon längst dort sind. Die Serie greift hier ganz klar Rorschachs Witz über den traurigen Clown Pagliacci aus den Original-"Watchmen" auf. Nur war der kurz und knapp und auf den Punkt, Lauries Geschichte ist dagegen verworren und so voller Meta-Text, dass er nicht zieht. Hier irritiert der Blick zurück, den die Serie sonst so mühelos schafft, und reißt uns aus dem aktuellen Geschehen – einer der wenigen Schwachpunkte dieser Folge.
Vor Lauries Füßen kracht ein Auto auf den Boden, scheinbar aus dem Nichts. In dem wurde in der Folge davor Angelas Großvater Will ausgeflogen. Von wem, wissen wir nicht. Laurie guckt in den Nachthimmel, sieht den Mars rot funkeln und beginnt zu lachen: War das ein Wink von Manhattan? Beobachtet er sie? Oder war das nur ein dummer Zufall? Keine Ahnung, aber mich hat der blaue Riesendildo viel mehr beschäftigt, mit dem sich Laurie nachts etwas Entspannung verschafft und der Dr. Manhattans, ähm, bestem (und sehr frei schwingendem) Stück nachempfunden ist. In der "Watchmen"-Welt wird selbst Gott zu Geld gemacht.

Ozymandias macht mobil. Zum Mars.
Adrian Veidt alias Ozymandias ergeht sich derweil auf seinem Landsitz in einem bizarren Spiel mit dem "Game Master", der offenbar jeden seiner Schritte überwacht. Wir wissen nun, dass Veidt tatsächlich ein Gefangener ist. Und dass er seine geklonten Diener für Experimente mit einer Art selbst gebasteltem Raumanzug missbraucht.
Meine Theorie: Adrian Veidt wird sich auf den Mars teleportieren, um dort Dr. Manhattan zu treffen. Vielleicht will er finale Absolution für seinen millionenfachen Massenmord. Vielleicht will er ein Ende erzwingen, wo es laut Manhattan keines gibt und nie eines geben wird. Vielleicht sucht er das Exil, weil er sich der Menschheit ebenso wenig zugehörig fühlt wie Manhattan.
Am Schluss legt Veidt seine Ozymandias-Rüstung an. Und wenn uns die "Watchmen"-Geschichte eines gelehrt hat, dann das:
Das ist gar kein gutes Zeichen.

Fazit: Wenig Plot, viel Worldbuilding
Folge drei treibt den Plot nur langsam voran, gibt uns aber hoch spannende Einblicke in das Seelenleben unserer Figuren – und schlägt mit dem Auftritt von Laurie Blake eine weitere Brücke in die Vergangenheit. Und immerhin hat Laurie sofort die Rollstuhlspuren unter Judds Leiche entdeckt – ich rechne also mit neuen Erkenntnissen in der nächsten Woche. Ich tauche gern immer tiefer in die groteske "Watchmen"-Welt ein und lasse mich völlig überraschen, welche skurrilen Ideen mir als nächstes um die Ohren gehauen werden.
"Watchmen" mausert sich weiter zu einer meiner absoluten Lieblingsserien der vergangenen Jahre.
Was mir sonst noch aufgefallen ist
- Jagt Laurie maskierte Superhelden aus schlechtem Gewissen heraus, oder hat das FBI sie erpresst? Immerhin hat schon ihr Vater für die Jungs gearbeitet. Ich hoffe, dass wir dazu noch ein bisschen mehr erfahren.
- In der Serie ist das Comic-Ende mit dem außerirdischen Tintenfisch Kanon. Dafür ist mir dieses Element deutlich zu wenig repräsentiert. Da gibt's also ein allmächtiges Superwesen auf dem Mars UND Tintenfisch-Aliens, drei Millionen Leute sind gestorben – aber im Großen und Ganzen geht alles seinen Gang? Finde ich noch nicht überzeugend.
- Kann jeder in so eine Weltraum-Telefonzelle und Dr. Manhattan irgendein Gelaber aufs Band sprechen? Oder nur Laurie? Und was kostet ein Anruf zum Mars? Gibt's da 'ne Flatrate?
- Die neue Heldin Pirate Jenny ist eine klare Referenz auf die Seeräuber-Jenny aus Kurt Weills Dreigroschenoper, die schon eine Inspiration für den Comic-im-Comic "Tales from the Black Freighter" war.
- Adrian Veidt und der Game Master haben ein nicht näher erklärtes "Spiel" mit unklaren Regeln laufen. Ich erinnere mich da sofort an "Lost" mit Jacob und dem Man in Black, die genau so einen Quatsch abgezogen haben und die zwei der am schlechtesten geschriebenen Seriencharaktere seit Jahrzehnten waren. Wage es nicht, Damon Lindelof. WAGE ES NICHT!