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Wie ich in einer Social-Media-Filterblase verloren ging

Social Media hat viel zu bieten, aber auch seine Schattenseiten.
Social Media hat viel zu bieten, aber auch seine Schattenseiten.

Ich bin Feministin, ich habe einen Hund und ich interessiere mich für gesellschaftliche Strukturen. Für all diese Themen finde ich auf Social-Media-Plattformen Gleichgesinnte. Ich fühle mich gehört, bestätigt und bestärkt durch die immer wieder gleiche Meinung von anderen – doch genau das hat mich am Ende unglücklich gemacht. 

Social Media gehört zu meinem Beruf. Ich bin auf TURN ON als Redakteurin und Moderatorin unterwegs, ich stehe für meinen eigenen Kanal vor der Kamera. Ich nutze Twitter, Instagram, YouTube und TikTok (als Konsumentin) täglich, sowohl privat als auch beruflich. All diese Plattformen nutzen Algorithmen, die dafür verantwortlich sind, welche Inhalte ich sehe und welche mir empfohlen werden. Das bedeutet aber auch gleichzeitig, dass sie bestimmen, was ich nicht zu sehen bekomme. Ich merke das tagtäglich, doch gerade auf TikTok habe ich wie auf keiner anderen Plattform zu spüren bekommen, welches Ausmaß solche Filterblasen annehmen können.

TikTok – krasser als andere Plattformen?

So ist die erste Sache, die man auf TikTok lernt, die, dass die Nutzer und Nutzerinnen eine fast religiöse Sicht auf den Algorithmus haben. Viele sind fast schon besessen davon, wie der Algorithmus sie mit Gleichgesinnten zusammenbringt, ganz nach dem Motto: "Wenn TikTok dich hierher gebracht hat, bedeutet das, dass Du wie ich bist – ein introvertierter, bücherliebender Retro-Nerd". Die Plattform schafft ein Gemeinschaftsgefühl und prägt dadurch Meinungen und Ansichten von Millionen Teenagern und Erwachsenen.

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TikTok ist eine der am stärksten genutzten Social-Media-Plattformen. Bild: © bloomicon - stock.adobe.com 2021

TikTok bietet einen konstanten Nachrichten- und Informationsstrom, wie es keine andere Plattform derzeit tut. Besonders während der Black-Live-Matter-Proteste in den USA glänzte TikToks Algorithmus und zeigte seine Vorteile. Man bekam einen ungefilterten Eindruck davon, was an der vordersten Front geschah, weil es die Demonstranten roh veröffentlichten.

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere zeigt, wie Filterblasen funktionieren. Je nachdem, für welche politischen Inhalte ich mich schon vor den Protesten interessiert habe, so habe ich auch nur die Clips gesehen, die auf meine Meinung ausgerichtet waren. Am Ende politisierte dies die App und plötzlich gab es zwei Seiten, links und rechts. Schwarz und weiß. Und genau das ist das Problem.

Was TikTok mit mir gemacht hat

Lange Zeit habe ich mich gegen die Nutzung von TikTok gewehrt. "Zu jugendlich, zu Mainstream und zu viel Singsang", dachte ich mir damals. Irgendwann lud ich mir die App doch herunter, nur "um mal zu gucken" und war sofort süchtig. Aus dem "nur mal gucken" wurden Stunden, in denen ich keine Sing- und Tanzvideos zu sehen bekam, sondern vor allem "Harry Potter"-Content. Das ist doch genau mein Ding, wie hat der Algorithmus das so schnell rausgefunden? Doch irgendwann bestand mein ganzer Feed aus Clips über die romantischen Fantasien junger "Harry Potter"-Fans, die Draco Malfoy fast allesamt fanatisch anbeteten. Da wollte ich doch gar nicht hin! Der TikTok-Algorithmus spülte mir immer absurderen Content zu, bis ich das Gefühl hatte, ich kam aus diesem tiefen Strudel nicht mehr heraus.

All das hat mich nicht unglücklich gemacht – ich spüre jetzt nur mehr Sympathien in Richtung Draco Malfoy. Durch das Liken von anderen TikTok-Videos schaffte ich es, mich aus diesem Strudel zu befreien – um direkt im nächsten zu versinken. Mein Interesse für Feminismus und gesellschaftliche Strukturen wurde genährt durch TikTok.

Bei jedem Video, das ich sah, wollte ich am liebsten die Arme über den Kopf reißen und jubeln, weil ich mich so verstanden und bestärkt fühlte. "Das sind die Leute, die wie ich denken und sie sind überall auf der Welt", dachte ich. Das dadurch entstandene Gemeinschaftsgefühl löste regelrechte Dopaminschübe in meinem Gehirn aus und ich bekam nicht genug. Wo ist das nächste Video, dass mir meine Meinung nochmal wiederkäut?

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Auf keiner anderen Plattform habe ich die Filterblase so deutlich gespürt wie auf TikTok. Bild: © Michael Reimann 2020

Auf einmal ertappte ich mich in Diskussionen dabei, wie ich Dinge zitierte, die ich auf TikTok gesehen und gehört hatte – ohne sie zu hinterfragen. "Wenn so viele Leute diese Meinung teilen, dann muss da ja was Wahres dran sein", war mein Gedanke. Was mir TikTok vorschlug, wurde immer extremer.

Ging es anfangs noch um einfache Informationen über Gleichberechtigung und wie wir diese erzielen können, arteten die Inhalte irgendwann in regelrechten Männer- und Systemhass aus. Und ich sog alle Informationen wie ein Schwamm auf, nur um sie dann Familie und Freunden in Diskussionen an den Kopf zu werfen. Ich war voller Hass. Hass auf alles und jeden, aber irgendwann vor allem auf mich selbst. Der Algorithmus hatte es geschafft, dass die Filterblase nicht nur meinen Feed beherrschte, sondern auch meine Gedanken.

Die Filterblasen-Hypothese

Keiner, der sich auf TikTok und Co. herumtreibt, kann sich gegen Social-Media-Algorithmen wehren. Sie analysieren, welche Inhalte Du likst, teilst und kommentierst – so wissen sie bald ganz genau, welcher Typ Mensch Du bist. Dir wird weiterer Content in genau diese Richtung vorgeschlagen und Du steckst somit unweigerlich in einer Filterblase. Oder etwa doch nicht?

Der Wissenschaftsjournalist Rolf Degen veröffentlicht auf Twitter regelmäßig Zusammenfassungen zur Forschung bezüglich der "Filterblasen-Hypothese". Laut verschiedener Untersuchungen scheint es eine so starke Unterteilung innerhalb sozialer Netzwerke nicht zu geben. Viele der zitierten Untersuchungen beziehen sich auf politische Sachverhalte und sind vor allem auf Facebook gemünzt.

Nun muss ich jedoch anmerken, dass ein soziales Netzwerk wie Facebook vollkommen anders funktioniert als beispielsweise TikTok. Facebook basiert auf Community-Inhalten wie Gruppen – das heißt, ich habe hier eine gewisse Entscheidungskraft, welchen Gruppen ich beitrete und welche Inhalte ich folglich auch zu sehen bekomme. TikTok sucht mir stattdessen die Inhalte automatisch zusammen – basierend auf dem Content, mit dem ich interagiert habe. Das heißt, TikTok ermächtigt sich selbst, mir Videos zu zeigen, die mir vielleicht gefallen könnten. TikTok ist viel mehr als Facebook darauf angewiesen, mich in eine Filterblase zu stecken, einfach aufgrund seiner Funktionsweise.

Nicht jede Social-Media-Plattform und ihr Algorithmus funktioniert gleich. Deswegen halte ich es für vollkommen natürlich, dass die Hypothese der Filterblase mal mehr und mal weniger auf eine Plattform zutrifft. Im Fall von TikTok habe ich es selbst erlebt, doch es kommt drauf an, wie man damit umgeht.

Wie Du Filterblasen zerplatzen lässt

Wie heißt es immer so schön? Man müsse Medienkompetenz besitzen, um sich in den neuen Medien zu bewegen. Ich habe Medienkompetenz oder zumindest dachte ich das. Es bedeutet erst mal nichts anderes als kritisch zu hinterfragen, wachsam zu sein und Dinge einordnen zu können. Besser gesagt: Um medienkompetent zu sein, braucht es ein hohes Maß an Rationalität. Doch Social-Media ist kein rationaler Ort – es ist ein hochemotionales Pflaster. Beispielsweise spricht Werbung allein die Gefühlsebene an und wenn wir ehrlich sind, sind Social-Media-Plattformen zu internationalen Werbetafeln verkommen.

Wenn ich beruflich auf Social-Media unterwegs bin, habe ich mir diese Rationalität bewahrt. In meiner Freizeit möchte ich mich einfach nur unterhalten fühlen und abschalten. Ich hatte meine Medienkompetenz schlichtweg einfach schleifen lassen, weil es anstrengend ist! Ständig wachsam sein, ständig hinterfragen. Einfach nur berieseln lassen ist bei den ganzen Fake News und zerhackten Informationen im Netz kaum noch möglich.

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Soziale Netzwerke sind darauf ausgelegt, Nutzer an sich zu binden. Bild: © TURN ON 2017

Nach meinem TikTok-Absturz setzte ich mir zunächst ein wochenlanges TikTok-Verbot. Ich hatte erkannt, dass es mich unglücklich macht und, dass ich mich zu sehr von den Inhalten beeinflussen lasse. Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Weg zur Besserung und es hat geholfen! Mittlerweile nutze ich TikTok zwar wieder, aber nur noch sehr selten und wenn, dann mit geschärftem Blick. Ich habe es aus meiner Filterblase rausgeschafft und mir werden vorwiegend süße Hundevideos angezeigt. Und ich denke, darauf kommt es an: Social-Media ist ein toller Ort zum Vernetzen, zum Lachen, zum Mitteilen und zum Kennenlernen. Es sollte jedoch kein Ort werden, von dem man sämtliche Informationen bezieht und seine Ansichten formen lässt. Zugegeben, ein ziemlich schwieriges Vorhaben, wo einem doch auf Social-Media Meinungen von abertausenden um die Ohren fliegen.

Schwarz und Weiß gleich Grau?

Ich bin immer noch der Meinung, dass sich viel tun muss, bis wir beispielsweise bei der vollkommenen Gleichberechtigung angekommen sind. Ich will mich weiterhin über Missstände aufregen, meine Wut zum Ausdruck bringen und Stellung beziehen, da spricht nichts gegen. Nur hassen möchte ich nicht mehr, denn mit Hass überzeugt man niemanden von einer Idee. Vor allem aber will ich wieder alle Grautöne zwischen Schwarz und Weiß sehen.

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